Diskriminierung

Asterix, Tim und Struppi: Schulen vernichten 5.000 Bücher in Ontario

Jahrzehntelang haben bestimmte Bücher Kinder und Jugendliche begeistert, die aus heutiger Sicht falsche Bilder vermitteln können.

Sieht so eine indigene Bewohnerin Amerikas aus? Aus Sicht von Pädagogen in Ontario ist "Asterix in Amerika" gefährlich. | © picture alliance / ZB

Talin Dilsizyan
09.09.2021 | 09.09.2021, 21:10

Windsor. Die katholische Schulbehörde Providence, die in der  kanadischen Provinz Ontario für rund 10.000 Schülerinnen und Schüler zuständig ist, hat rund 5.000 Kinder- und Jugendbücher, in denen indigene Völker vorkommen, aus ihren Bibliotheken verbannt. Teils wurden Bücher sogar verbrannt.

Wie Radio Canada jetzt berichtet, habe es bereits 2019 eine Aktion zur "Säuberung durch die Flamme" gegeben, bei der etwa 30 Buchtitel demonstrativ verbrannt wurden, die in der Lehre keine Rolle mehr spielen sollten. Ein Mitglied des Bildungsministeriums von Ontario habe der Aktion beigewohnt. Die Asche wurde als Dünger verwendet um einen Baum zu pflanzen und so "das Negative ins Positive umzukehren". In einem Video, das sich an die Schüler richtete, wurde erläutert: "Wir beerdigen hier die Asche des Rassismus, der Diskriminierung und der Stereotypen in der Hoffnung, das wir in einem inklusiven Land aufwachsen, in dem alle in Wohlstand und Sicherheit leben können." Ähnliche Aktionen sollte es an weiteren Schulen geben - die Behörde ist für 23 Grundschulen und 7 Mittelschulen in Windsor, London und Sarnia zuständig. Allerdings kam die Pandemie dazwischen.

Stereotypen in Kinder- und Jugendbüchern

Aus einem 165-seitigen Dokument geht laut Radio Canada hervor, welche Buchtitel nicht mehr für Schülerinnen und Schüler zugänglich sind. Sie seien von einem Gremium bestimmt worden, das aus Mitgliedern des Lehrerkollegiums und indigenen Beratern bestand. Die Gruppe hat hunderte Bücher dahingehend geprüft, wie dort Ureinwohner dargestellt werden. Aus Sicht von Suzy Kies, die das Video produziert hat und in ganz Ontario Kurse zum Thema der Ureinwohner anbiete, werden die indigenen Figuren in den vernichteten Büchern als "wenig vertrauenswürdig, faul, alkoholabhängig und dumm" dargestellt. Ein solches Bild von bestimmten Menschen solle sich nicht in den Köpfen der Jugend festsetzen.

Einer der 155 Buchtitel, die die Schulkommission als inakzeptabel eingestuft hat, ist "Tim in Amerika" aus der Comic-Reihe "Tim und Struppi" von Hergé. Kritikpunkte: Die Sprache - es findet sich der Begriff "Rothäute", "falsche Informationen", "eine fehlerhafte Darstellung der Indigenen in den Zeichnungen". Im Sachbuch "Jäger des hohen Nordens: Die Eskimos" aus dem Jahr 1981 von Wally Herbert werde ein aus heutiger Sicht abwertender Begriff für Inuit verwendet. Stein des Anstoßes bei weiteren Büchern ist die Verwendung der Bezeichnung "Indianer".

Autor will Comic nicht als Geschichtsbuch verstanden wissen

Comic-Autor Marcel Levasseur versteht nicht, dass auch sein Comic "Der Pfeil", das während der Zeit der Eroberung in Neufrankreich spielt, der Zensur zum Opfer gefallen ist. Er empfinde es als "sehr traurig", stellt er gegenüber Radio Canada fest. Sein Buch amüsiert sich über die Beziehungen zwischen französischen und englischen Soldaten und Indigenen. Die Schulkommission in Ontario kann den Humor nicht teilen, sondern ist auch in diesem Fall über die "inakzeptable Sprache" und "fehlerhaft gezeichneten Indigenen" erbost. Levasseur kann dies nicht nachvollziehen, schließlich handele es sich nicht um ein Geschichtsbuch, sondern um ein humorvolles Comic, das lediglich Geschichte als Hintergrund nutze, ähnlich wie Asterix.

Auch ein Buch zu den Abenteuern des Galliers und seiner Freunde gehört nicht mehr in die Schulbüchereien in Ontario. in "Asterix in Amerika" werde aus Sich von Suzi Kies eine Indigene, die sich in Obelix verliebt, durch ihr tiefes Dekolleté und ihren Minirock sexualisiert. "Würdest Du etwa durch die Wälder in einem Minirock laufen", entrüstet sich die "unabhängige Expertin". Man habe ein Bild "sexueller Wildheit" geschaffen, das Ureinwohnerinnen als leichte Mädchen darstelle. Aus dieser Perspektive ist auch Pocahontas kein Vorbild. Sie stehe für Sexualität und Sinnlichkeit - das sei für indigene Frauen gefährlich, argumentiert Kies.

Das Aussortieren bestimmter Buchtitel hat aber auch nicht Bücher verschont, die von Indigenen selbst geschrieben worden sind. So fand die Kommission etwa, dass Kinder und Jugendliche nicht mehr "Indianischer Winter" von Michel Noel lesen sollten. Es enthalte rassistische Äußerungen, Falschinformationen und weise darauf hin, dass Indigene "unfähig seien, ohne die Weißen zu funktionieren". Verleger Arnaud Foulon kann dies nicht nachvollziehen. Er argumentiert, dass Ethnologe Noel - der im vergangenen April gestorben ist - sich in der Regierung von Québec für den Schutz der indigenen Kultur engagiert habe, insbesondere in den Schulen.

Kritiker der Büchervernichtung

Foulon, der auch Vorsitzender des kanadischen Verbandes der Buchverleger ist, erläutert zudem, dass die Verwendung des Begriffs "Indianer" lediglich die Realität in einer Epoche widerspiegele. Er kritisiert das Vorgehen in Ontario: "Es gibt einen Unterschied, ob man ein Buch in einem Kurs behandelt oder nicht und es aus einer Bücherei entfernt." Wenn man massiv Bücher aussortiere wegen einer Reihe von Themen, dann werden kaum noch alte Bücher übrigbleiben und man wird nur noch neue Buchtitel auffinden.

Überdies können einige Kritiker nichts Gutes daran finden, Bücher einfach zu verbrennen. Philosoph Norman Baillargeon findet die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Indigenen zwar richtig. "Aber das man Bücher verbrennt, das beunruhigt mich sehr, das hat einen üblen historischen Beigeschmack, den ich überhaupt nicht mag." Das Bildungsministerium von Ontario sieht sich nicht in der Verantwortung einzuschreiten, da jede Schulbehörde für sich bestimme, welche Titel in ihrer Bibliothek zur Verfügung stehen. Dabei gehe es darum Inklusion sicherzustellen, dass Quellen keine Vorurteile bedienen oder diskriminieren.