Kommentar

Kommunalwahl in Thüringen: Die blaue Gefahr ist nicht gebannt

Die AfD ist bei der Kommunalwahl in Thüringen hinter ihren eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Dennoch ist die rechtsextreme Partei erschreckend stark. Etablierte Parteien müssen endlich nicht nur reden – sie müssen handeln.

Zur Kommunalwahl in Thüringen wurden unter anderem Bürgermeister, Landräte, Stadträte und Gemeinderäte neu gewählt. | © Heiko Rebsch

Carsten Heil
27.05.2024 | 27.05.2024, 17:11

Man mag es für Folklore halten. Ist es aber nicht. Bei der Kommunalwahl in Thüringen hat in der Kleinstadt Bleicherode ein Kandidat des Bündnisses Sahra Wagenknecht mit 56,6 Prozent das Rathaus erobert. Nur wenige Monate nach der Gründung der Partei. Der Wirt einer Kneipe war zuvor bei den Linken und durch beide Positionen vermutlich gut bekannt im Ort. So geht Kommunalpolitik, so geht aber auch Demokratie. Bei den Menschen sein, deren Bedürfnisse und Gedanken kennen. Wer wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei jedem Ereignis mit immer gleichen Sprüchen daherkommt, denen nichts folgt, macht sich nicht nur unglaubwürdig, sondern lächerlich.

Egal, ob Politiker im Wahlkampf oder Feuerwehrleute im Einsatz angegriffen werden, Nobel-Rassisten auf Sylt zu einem Pop-Song ausländerfeindliche Texte brüllen oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte aus welchem Grund auch immer Passanten niederstechen. Immer verspricht Faeser im Ton der Erschütterung „die ganze Härte des Gesetzes anzuwenden“, „schnell und intensiv zu ermitteln“ oder „Gesetze zu verschärfen“.

Und, ach ja, „die Demokratie ist unter Druck“. Warum wohl? Frau Faeser ist nicht die einzige, die so spricht. Folge: Wählerinnen und Wähler merken, dass diesem Gerede nur wenig folgt oder nur spät – und sie sind frustriert. Dennoch ist am Sonntag keine braune oder blaue Welle durch Thüringen geschwappt. Weil genug Demokraten an die Urnen gegangen sind. Und weil – zum Glück – die AfD sich selbst in den vergangenen Wochen geschadet hat, was viele genauso bemerkt haben wie das obenbeschriebene Gerede in Berlin. Die AfD ist eben keine Alternative für sie.

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Aber die rechte Gefahr in Thüringen und anderswo ist nicht gebannt. Ein bekannter Neonazi sackte gut 24 Prozent in Hildburghausen ein, erreicht die Stichwahl. Das ist erschreckend, auch wenn aus vielen Studien bekannt ist, dass rund 20 Prozent der Menschen in Deutschland festgefügte rassistische, antisemitische und autokratische Grundüberzeugungen haben. In vielen Kreisen und Kommunen ist die AfD satt über 20 Prozent gekommen. Da können etablierte Parteien wie CDU, SPD und Grüne oft nur von träumen. Von der FDP ganz zu schweigen. Auch wenn die Kommunalwahl für die AfD nicht so erfolgreich lief wie von ihr selbst erhofft, ist der Spuk nicht zu Ende. In ihrer Hochburg Thüringen nicht, aber auch andernorts nicht. Die Landtagswahlen im Herbst stehen noch bevor. Wenn Politiker und Politikerinnen oft fordern, dass die Demokratie geschützt werden müsse, haben sie recht. Aber sie selbst müssen damit anfangen. Gern reden – aber auch machen. Weil Wahlen keine Folklore sind.