Kommentar

Angst frisst Demokratie

Der Protest der Landwirte gegen die Kürzungen ihrer Subventionen durch die Bundesregierung droht sich gegen die Demokratie selbst zu richten. Politik muss durch Mehrheiten bestimmt werden.

Bauern mit ihren Traktoren im Konvoi auf einer Straße. | © Arne Dedert

Thomas Seim
08.01.2024 | 08.01.2024, 18:23

Streit ist ein Schlüsselwert der Demokratie, wenn es der Streit um den besten, im Idealfall den richtigen Weg zum gemeinsamen Ziel ist. Geht dieses Gemeinsame verloren, dann wird der Streit zur Lebensbedrohung für die Demokratie. Die Bauernproteste gegen die Haushaltskürzungen der Bundesregierung stehen an diesem Scheideweg.

Die Ampel-Koalition hat mit ihrem Angebot, nach den heftigen Protesten der Landwirte die geplanten Kürzungen von Subventionen zurückzunehmen, der Demokratie einen mindestens zweifelhaften, wenn nicht gar schädlichen Dienst erwiesen. Sie mag vordergründig ihr Haushaltsziel erreichen. Mit dem Nachgeben allerdings liefert sie eine gesellschaftliche Mehrheitsentscheidung der Willkür und Durchsetzungskraft von Einzelinteressen aus. In einer ähnlichen Richtung sind die SPD-Ministerpräsidenten von Brandenburg, Niedersachsen und dem Saarland unterwegs. Schließlich verrennt sich der sächsische CDU-Ministerpräsident in eine irrsinnige Bemerkung, wenn er die Worte des Grünen-Landwirtschaftsministers Özdemir, wonach die Regierung nicht erpressbar sei, ein Unding in einer Demokratie nennt.

Wie bitte? Umgekehrt ist es richtig: Es ist ein Unding der Demokratie, wenn ihre gewählte Regierung sich dem Protest, der Erpressung durch die Straße ergibt, ergeben muss. Das war bei den Demonstrationen der Bergleute gegen die Politik der Kohl-Regierung Mitte der 1990er-Jahre so. Und das gilt heute auch für die Landwirte. Oder morgen für die Lokführer. Selbstverständlich gibt es für alle Genannten das Recht zur Reklamation eigener Interessen. Und es versteht sich, dass in einer Demokratie die gewählten Machthaber einen angemessenen Interessenausgleich mit den Demonstranten suchen sollen und müssen.

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Allerdings findet dieser Streit seine demokratische Grenze, wenn er sich nicht mehr um den besten oder gar richtigen Weg, sondern um die Demokratie selbst dreht. Die demokratische Kultur der Bundesrepublik wird nicht vom Protest der Straße bestimmt. Demokratische Ziele bestimmt die Mehrheit durch die Wahl einer Regierung. Das hat jeder Protest zu achten. Das war vor 30 Jahren bei den Bergleuten so und das gilt auch für die Bauern heute. Die Richtlinien für die Politik zu diesem Ziel bestimmt der Kanzler dieser Regierung. Das ist die Pflicht des Amtes. Davor darf er keine Angst haben. Angst frisst Demokratie.