"Die da oben": Gelten für Politiker etwa andere Corona-Regeln?

Was für eine bemerkenswerte Gleichzeitigkeit der Ereignisse. Am selben Tag, an dem in Berlin der Entwurf für das neue Infektionsschutzgesetz vorgestellt wird, läuft eine hitzige Debatte über Bilder aus dem Regierungsflieger nach Kanada. Obwohl derzeit generell in Flugzeugen und Fernzügen die Maskenpflicht gilt, sieht man dort in einer gut besetzten Maschine Journalisten, die ohne Mundschutz eng beieinander sitzen. Ebenso Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der Vorgang wirft die Frage auf, ob für &bdquo;die da oben“, wie Justizminister Marco Buschmann (FDP) es formuliert, andere Regeln gelten als für alle anderen Bürger. Die Antwort müsste lauten: Natürlich nicht. Aber die Realität schaut offensichtlich anders aus. Und das ist ein schlechtes Zeichen für den Zustand der Gesellschaft kurz vor dem zu erwartenden Corona-Herbst. Es ist bedenklich, wie sich vor allem der Gesundheitsminister auf Nachfragen windet. Die Passagiere hätten vor dem Start einen aktuellen PCR-Test vorgelegt, damit seien die Regeln der Flugbereitschaft eingehalten worden, argumentiert Karl Lauterbach. Und schließlich: &bdquo;Es ist einfach so.“ Mag sein, dass tatsächlich bei der Flugbereitschaft der Bundeswehr eigene Richtlinien gelten. Aber das entbindet die Politiker und Berichterstatter nicht davon, sich der Außenwirkung ihres Verhaltens bewusst zu sein. In Bundestagsreden und Leitartikeln verantwortliches und rücksichtsvolles Verhalten zu fordern, aber sich zu benehmen, als könne man selbst nach Gutdünken Ausnahmen beanspruchen – das gehört sich schlicht nicht. Glaubwürdigkeit der Bundesregierung steht auf dem Spiel Gleiches trifft auf die Regierungsmitglieder und deren Mitarbeiter zu. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht darum, sich nicht erwischen zu lassen. Sondern um die Frage, wie andere geschützt werden können und wie glaubwürdig die Politik und deren Vertreter noch sein können, wenn sie sich nicht einmal an die von ihnen selbst beschlossenen Bestimmungen halten. Es wäre angemessen gewesen, wenn Minister Lauterbach wenigstens so etwas wie Kritik hätte verlauten lassen. Stattdessen übertünchte er in der Pressekonferenz am Mittwoch den Sachverhalt wortreich. Vor dem Hintergrund der Vorbildwirkung von Mitgliedern der Bundesregierung muss konstatiert werden: Ein Problembewusstsein scheint nur in Bezug auf andere vorzuliegen. Während also die Bundesregierung mit dem neuen Infektionsschutzgesetz die Maßnahmen für die Bevölkerung verschärfen will, gelten für die Mitglieder von Regierung und Presse nicht einmal die bestehenden Regeln? Das Argument aus dem Bundesverteidigungsministerium, Regierungsflieger gehörten nicht zum &bdquo;öffentlichen Personenfernverkehr“, das Tragen von Schutzmasken werde dort lediglich &bdquo;empfohlen“, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Aber der Bundesjustizminister hat völlig recht, wenn er sagt, das Ganze sei politisch zumindest fragwürdig. Auf die von ihm angekündigte Befassung des Parlaments mit diesem Sachverhalt werden sich die Redner der Opposition schon schwungvoll vorbereiten. Es wäre zu wünschen, dass wenigstens dann, in der öffentlichen geführten Debatte, die Verantwortlichen nicht so tun, als hätten sie alles richtig gemacht. Folgen für den Zusammenhalt der Gesellschaft? Die Folgen dieser Episode für das ganze Land sind von heute aus noch nicht zu überblicken. Wenig erregt die Gemüter mehr als offensichtliche Ungleichbehandlung. Und eine solche liegt hier unübersehbar vor. Wer schon immer fand, dass es die Mitglieder vom &bdquo;Team Vorsicht“ übertreiben würden, kann jetzt sein Handy aus der Tasche ziehen und die Fotos vom Kanzler ohne Maske vorzeigen. Die Debatte darüber, wie sinnvoll das Masketragen überhaupt noch sein soll, wird in der kommenden Zeit vermutlich noch an Druck zunehmen. Dem Land ist zu wünschen, dass es nicht schon wieder von der Faktenlage eines Besseren belehrt werden muss. Die Corona-Welle vom zurückliegenden Frühsommer hat eindrucksvoll gezeigt, wie schwer manche Verläufe der Infektion sein können. Von den entstandenen Personallücken in allen wirtschaftlichen Bereichen ganz zu schweigen. Man kann nur hoffen, dass die Bürger dann klüger sind als Teile ihrer Regierung.

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