Behörden drohen mit Kindesentzug

Kommentar: Behörden gefährden Kinder und liefern Corona-Gegnern Munition

Gesundheitsämter in mehreren Bundesländern ordnen bei Corona-Verdachtsfällen die Isolation von Kindern an. Sie sollen getrennt vom Rest der Familie separiert werden. Bei Zuwiderhandlung droht die Inobhutnahme des Kindes.

Gesundheitsämter in Hessen und Baden-Würtemberg haben Eltern von Kleinkindern angeordnet, diese bei Corona-Verdacht zu isolieren. | © picture alliance

Carolin Nieder-Entgelmeier
06.08.2020 | 06.08.2020, 19:48

Wenn Kinder massiv gefährdet sind, dürfen das Jugendamt oder die Polizei sie zeitweise oder dauerhaft aus der Familie nehmen. Die Inobhutnahme eines Kindes ist das schärfste Mittel von Behörden, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Ein wichtiges Instrument, um Kinder zu schützen. Doch die Hürden dafür sind hoch, und das ist ebenso wichtig, weil es sich um einen massiven Eingriff in das Familienleben handelt. Mit Blick auf diese Einordnung fällt es schwer zu glauben, dass Gesundheitsämter Eltern die Kindesentziehung androhen, wenn sie sich nicht an die Regeln der häuslichen Quarantäne handeln. Doch genauso passiert es aktuell in mehreren Bundesländern.

In mehrseitigen Schreiben fordern die Behörden die ohnehin schon verunsicherten Eltern dazu auf, ihr Kind, das unter Corona-Verdacht steht, getrennt von der Familie in einem Raum zu isolieren und auf gemeinsame Mahlzeiten zu verzichten. Bei Zuwiderhandlung droht die Unterbringung des Kindes in einer geschlossenen Einrichtung. Die Behörden verweisen dabei auf das Infektionsschutzgesetz, das nicht zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheidet. Doch auch mit Blick auf den aktuell wichtigen Bevölkerungsschutz sind die Anordnungen der Behörden nicht nur unverhältnismäßig und lebensfremd, sondern auch brandgefährlich.

Mit der Anordnung, selbst Kleinkinder von ihrer Familie zu separieren, und der Drohung, Kinder aus ihrer Familie herauszuholen, schüchtern die Behörden Eltern und Kinder nachhaltig ein und erschüttern das Vertrauen in den Staat. Gleichzeitig befeuern die Behörden die ohnehin schon aufgeheizte Diskussion über die Pandemie, die aktuell zwar noch von wenigen, aber dafür lauten Verschwörungstheoretikern angeführt wird. Die Reaktionen auf den Bericht machen das deutlich: Denn es melden sich nicht nur besorgte Eltern, sondern eben auch Menschen, die die Existenz des Coronavirus leugnen oder gar Bill Gates für die Krise verantwortlich machen. Behörden liefern Verschwörungstheoretikern damit Munition für ihre kruden Theorien.

Und das, obwohl es so einfach sein könnte, wie die Gesundheitsämter in OWL zeigen: Muss hier ein Kind in Quarantäne, gilt diese auch für mindestens ein Elternteil oder gleich die gesamte Familie. Stattdessen flattern Dutzenden Eltern in Hessen und Baden-Württemberg Anordnungen zur Isolation ins Haus, die nach Einschätzung von Juristen eine Kindeswohlgefährdung darstellt. Das Vorgehen dieser Gesundheitsämter zeigt, dass Deutschland mit Blick auf die Einhaltung der Kinderrechte noch einen langen Weg vor sich hat.

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Schreiben der Gesundheitsämter liegen der Redaktion vor 


Die Städte Bruchsal im Kreis Karlsruhe (Baden-Württemberg) und Dreieich im Kreis Offenbach (Hessen) haben Dutzenden Eltern von Kindern im Alter zwischen drei und elf Jahren Anordnungen geschickt, die besagen, dass Kinder aufgrund eines Corona-Verdachts getrennt vom Rest der Familie isoliert werden sollen. Zudem drohen die Behörden bei Zuwiderhandlung mit der Herausnahme des Kindes aus der Familie und der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung. Beide Schreiben liegen nw.de vor. 

In einer Stellungnahme verweist das Landratsamt Karlsruhe darauf, dass es sich bei der Formulierung "zwangsweise in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung abgesondert werden" um einen entsprechenden Text im Infektionsschutzgesetz handelt. Zudem heißt es: „Eine solche Zwangsmaßnahme ist Extremfällen vorbehalten und müsste von einem Richter angeordnet werden. Das Landratsamt Karlsruhe hat von dieser Regelung im Falle von Covid-19 bisher keinen Gebrauch gemacht." Die Existenz des Schreibens leugnet das Amt nicht.