
Der 9. November ist ein besonderes Datum in der deutschen Geschichte. Die Novemberrevolution ereignete sich am 9. November 1918. Der Putschversuch Hitlers geschah am 9. November 1923 in München. Die Nazis initiierten die Pogromnacht und damit den Auftakt zur systematischen Verfolgung und Auslöschung der jüdischen Mitbürger am 9. November 1938. Und am 9. November vor 30 Jahren fiel die Mauer – ein Tag der Freude über eine geglückte, friedliche Revolution.
Anlass genug also, um sich heute mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen und einige Sorgen zu formulieren. Denn, 81 Jahre nach den Pogromen von 1938 haben laut einer aktuellen Studie des Jüdischen Weltkongresses 25 Prozent der Deutschen antisemitische Einstellungen, wurde ein rechtsterroristischer Anschlag auf Juden in der Synagoge von Halle nur dank einer Tür, die standhielt, verhindert. Zwei Menschen wurden im Umfeld von dem Rechtsterroristen ermordet.
86 Jahre nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 zählt der Bundesverfassungsschutz deutschlandweit 12.700 Menschen zur gewaltbereiten rechtsradikalen Szene, erhalten die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Claudia Roth Morddrohungen von Nazis, nennt Alexander Gauland, Fraktionschef der AfD, die zwölfjährige Nazi-Herrschaft einen „Vogelschiss" und Björn Höcke vom rechten Flügel der AfD das Holocaust-Denkmal in Berlin ein „Mahnmal der Schande".
Die Erinnerung an den Holocaust hat sich nicht erledigt
Und 81 Jahre nach den Pogromen vom 9. November 1938 marschieren heute erneut Nazis durch Bielefeld. Das Mindener Verwaltungsgericht hat das erlaubt, die Polizei, nicht alle Rechtsmittel ausschöpfend, hat sich nicht deutlich genug dagegen zur Wehr gesetzt.
All das zeigt: Die Erinnerung an den Holocaust hat sich nicht erledigt. Sie muss weiterhin aktiv, mit neuem Nachdruck und neuen Formen angegangen werden, darf nicht zum Ritual erstarren – gerade weil die Rechtsextremisten wieder erstarken und die Verharmloser und Hetzer in der AfD sich auf den Weg gemacht haben, verbal den Boden zu bereiten für rechtsradikale Taten und das wieder Sagen des Unsäglichen.
"Die Vergangenheit ist noch nicht einmal vergangen"
Verbinden wir also an diesem so geschichtsträchtigen Tag das Gedenken an den 9. November von 1938 mit aktiven Engagement gegen alte und neue Nazis heute. Gehen wir in Bielefeld und überall dort, wo es notwendig ist, auf die Straße und zeigen ihnen rote Karten. Sich erinnern und Widerstand gegen die Rechtsextremen gehören zusammen. Es ist höchste Zeit, wieder wachsam zu sein. Der Autor William Faulkner hatte recht, als er formulierte: „Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen."
Das gilt auch für den Tag des Mauerfalls. Die AfD versucht sich nicht nur an der Umdeutung und Verharmlosung der NS-Geschichte, sondern auch daran, die friedliche Revolution von 1989 für sich zu reklamieren, indem sie sich als die Kraft aufspielt, mit der es angeblich gelingen soll, die Wende zu vollenden.
Nein, es ist nicht alles gut gelaufen nach dem 9. November 1989. Aber vielleicht erinnern wir uns an diesem Gedenktag auch einmal daran, wofür die Bürger der DDR damals mutig auf die Straße gegangen sind – für Freiheit, Bürgerrechte und Demokratie. Diese Ideale lassen sich nicht verwirklichen, indem wir Rechtspopulisten, Nationalisten, Verächtlichmachern der Demokratie und den großen Vereinfachern mit ihren schlichten Antworten in komplexen Zeiten das Feld überlassen.
Die Wende zu vollenden heißt, einzutreten für eine freie, pluralistische, tolerante Gesellschaft. Eine Rederepublik, in der um die besten Wege zäh und hart aber ohne Hass gestritten wird, eine offene Republik, die sich nicht von der Welt abschottet.
In diesem Sinne sollten wir die Wende vollenden, mehr Demokratie wagen und deren Verächtern deutlich entgegentreten – nicht nur an diesem 9. November. Wohin Abschottung führt, das hat die Mauer, die unser Land 28 Jahre getrennt hat, ja gerade gezeigt.