
Bielefeld. Kerstin Hahne ist Buchhändlerin. Und hat über viele Jahre hinweg Bilderbücher gesammelt. "Darüber bin ich auch zur Kunst gekommen", sagt die 54-Jährige, die aus den 400 Werken, die zur Zeit in der Kunsthallen-Ausstellung "Das Glück in der Kunst" zu sehen sind, Victor Tuxhorns "Lüneburg" aus dem Jahr 1920 ausgewählt hat, um es in der Serie "Starke Bilder" von Kunsthalle und NW vorzustellen.
"Ich komme nicht aus Lüneburg, und ich habe auch keine Beziehung zu der Stadt", sagt die Bielefelderin mit einem Lachen bei der Annäherung an das Bild des Bielefelder Malers (1892 bis 1964), dessen Name ihr bekannt gewesen sei – aber weniger sein Werk. "Ich habe es schlichtweg wegen seiner Farben ausgewählt", betont Hahne. Es gäbe zwar viele interessante Bilder in dieser Ausstellung, "aber letztendlich haben sie mich wegen ihrer oft eher gedeckten Farbtöne nicht so sehr angesprochen".
Bei Tuxhorn, der 1892 in Bielefeld geboren wurde, sei das anders. "Die klare Struktur und die expressive Farbigkeit haben mich sofort angezogen." Es strahle sie regelrecht an – dieses Bild. In der Realität dürfte Lüneburg wohl nicht so farbig, so warm daherkommen, mutmaßt Hahne. Als wohltuend empfinde sie es, dass Tuxhorn die Farben nicht so heftig aufgetragen habe wie andere Maler in der Schau. "Es erschließt sich dadurch sehr viel schneller, ohne deshalb uninteressant zu sein." Das sei schön.
Neben der Farbgebung habe sie auch die strenge Komposition aus Dreiecken, aus denen die Dachlandschaft zusammengesetzt ist, fasziniert. Hahne: "Das Bild, in das ich weiter gar nichts hineininterpretieren möchte, ist schlicht, aber es ist mit seiner warmen Ausstrahlung dennoch ein starker Haltepunkt in der Ausstellung und einfach eine schöne Stadtansicht."
Gestört habe sie an dem so wohlkomponierten Werk lediglich, "dass die Spitze des Kirchturms nicht ganz drauf ist. Das hat mich so sehr umgetrieben, dass ich am liebsten hinter den Rahmen geschaut hätte, um zu sehen, ob er sich dahinter nicht noch verbirgt".
Ob sich die Spitze womöglich unter dem oberen Rahmen doch noch findet, weiß auch Kuratorin Jutta Hülsewig-Johnen nicht. "Ich habe noch nicht dahintergeschaut, aber ich finde die Frage auch interessant." Doch auch ohne Spitze sei es "ein sehr schönes Bild, das ganz aus der Farbe heraus lebt", stimmt Hülsewig-Johnen den Deutungen Hahnes zu.
Bei Farben sehr expressiv
Für die Kuratorin verbindet Tuxhorn, der ab 1909 in Bielefeld an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule eine Lehre absolviert hat, den Expressionismus in der Farbe mit einer Zurückhaltung in der Form. Vom Bildaufbau her arbeite der Maler eher realistisch-naturalistisch, aber in der Farbe eben sehr expressiv. Die Farbgebung lebe vom komplementären Kontrast von Rot und Grün. Aber auch das Gelb im Himmel sei mit Grünwerten durchsetzt, "so dass eine Farbkraft hervortritt, die das Bild für viele Besucher auffallend macht".Für die stellvertretende Direktorin der Kunsthalle gehört "Lüneburg" zu den herausragenden Werken des Malers, der ab 1921 in Dresden an der Kunstakademie unter anderem bei Oskar Kokoschka studiert hat. 1923 kehrte Tuxhorn nach Bielefeld zurück, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1964 als freischaffender Maler gelebt und gearbeitet hat. Anregungen für seine Werke erhielt er auf zahlreichen Studienreisen auf die Nordsee-Halligen, nach Holland, Sizilien und in die Schweiz.
Auffällig am Werk Tuxhorns ist, "dass er auch sehr viel grafisch gearbeitet hat". Er hat stets die Spannung zwischen Gegenständlichkeit und Expression ausgelotet und, wie in "Lüneburg" zu sehen, Farbe und Form zusammengespannt.
INFORMATION
Die Serie
- In Zusammenarbeit mit der Kunsthalle stellen Leser der Neuen Westfälischen in den nächsten Wochen ihre Lieblingsbilder aus der aktuellen Ausstellung "Das Glück in der Kunst" vor.
- Im Zentrum der Ausstellung stehen Bilder des Bielefelder Expressionisten Hermann Stenner und seines Umfelds.
- Der Bielefelder Kunstsammler Hermann-Josef Bunte hat für die Ausstellung mehr als 400 Werke aus seiner mehr als 900 Arbeiten umfassenden Sammlung zur Verfügung gestellt.
- Bisher erschienen: Leonore Franckensteins Deutung von Stenners "Skizze zu einem Selbstbildnis" (1912), Sabine Ehlers Betrachtung zu Adolf Hoelzls "Herbstliche Parklandschaft" (1904) sowie Thomas Nauerths Betrachtungen zu Stenners "Auferstehung" (1914).
- Die Ausstellung ist noch bis zum 17. August zu sehen. Infos unter www.kunsthalle-bielefeld.de (ram)