
04.10.2018 | 04.10.2018, 08:55
Bielefeld. Aus musikalischer Sicht war der Sommer 2018 - sagen wir mal - „interessant". In einer Zeit, in der wieder Nazi-Horden durch die Straßen marschieren und Menschen rechtsextreme Parteien wählen, wird plötzlich ein antifaschistisches Arbeiterlied zum Sommerhit des Jahres. Die Rede ist von „Bella Ciao".
Das italienische Partisanenlied, das einst als Botschaft gegen Nazis und Faschismus geschrieben wurde, steht im Sommer wochenlang auf Platz 1 fast aller europäischen Hitlisten. Grund dafür ist zum einen die Netflix-Serie „Haus des Geldes" - und zum anderen der französische DJ Hugel, der den Song als einer der ersten in eine tanzbare Deephouse-Version umwandelte.
Nicht jedem gefällt das. Ein so geschichtsträchtiges Lied zum Partykracher machen? Darf man das überhaupt?
Wunderbar bizarr
Man kann das cool oder uncool finden. Doch allein die Vorstellung, dass das ausländerhassende AfD-Protestwählerpärchen Klaus und Bärbel abends in seinem Pauschalurlaub in der DomRep zu einem antifaschistischen Protestsong abhottet, ist einfach nur wunderschön bizarr.
Zugleich ist „Bella Ciao" nicht der erste Song mit ernstem Hintergrund, der mit der Zeit zur Partyhymne avancierte. Der Titel „Zombie" von den Cranberries, der den blutigen Nordirlandkonflikt thematisiert, lief schon in den Neunzigern rauf und runter in jedem Party-Rockschuppen. Inzwischen tanzen Hardstyle-Fans auf der ganzen Welt zur Version des Produzenten Ran-D.
Der Hype um „Bella Ciao" nimmt inzwischen allerdings Formen an, die man nicht unwidersprochen so stehen lassen kann. Nach Remixen diverser Kinderzimmer-Produzenten und einer Version von Teenie-Schwarm Mike Singer, gibt es seit letzter Woche auch eine Variante von - ja, richtig gelesen: DJ Ötzi. Und es ist noch schlimmer als man denkt.
Ötzi-Version: Eine respektlose Beleidigung
Im Musikvideo zum Song steht der Urvater anspruchsvoller Poplyrik („Hey Baby, uh ah") auf dem Balkon einer Almhütte und schmettert folgende Textzeilen:
Komm, lass uns lieben!
Komm, lass uns leben!
Bella Ciao, Bella Ciao, Bella Ciao Ciao Ciao!
Noch lauter singen,
Noch lauter feiern,
Denn diese Welt ist g'rad so schön!
Zur Einordnung: "Bella Ciao" ist bis heute eine der bekanntesten Freiheits-Hymnen, die von Demonstranten und Revolutionären auf der ganzen Welt gesungen wird. Im Ursprungssong verabschiedet sich der Sänger vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten von seiner Geliebten. Im Text heißt es unter anderem „Denn ich spüre, ich muss sterben" und „gestorben für die Freiheit".
Daraus die Textzeilen „denn die Welt ist grad so schön" zu dichten, ist schon eine ziemlich respektlose Beleidigung dieses Stücks Musik. Geschrieben wurden sie im Übrigen vom Rosenstolz-Produzenten Peter Plate.
Die Kasse klingelt
Im Interview mit der Münchner Abendzeitung sagte DJ Ötzi, der geänderte Text habe ja durchaus auch eine Botschaft. Es gehe um die "globale Situation". Schließlich heiße es im Songtext ja auch: "Der Vulkan, auf dem wir tanzen, der ist kurz vorm Explodieren (...) Komm, lass uns lieben, komm, lass uns leben."
Viel näher liegt jedoch die Vermutung, dass Ötzi und Plate beim Schreiben des Stückes vor allem an das eigene Portemonnaie gedacht haben. „Bella Ciao" ist inzwischen so alt, dass jeder, auch ohne ausdrückliche Erlaubnis, den Titel covern kann. Auch lästige Lizenzabgaben an den Originalinterpreten entfallen.
Man kann DJ Ötzi nur wünschen, dass möglichst viele Menschen nun seine CD kaufen. Sollte man uns in absehbarer Zeit ein weiteres Mal von den Nazis befreien müssen, werden seine Textzeilen vielleicht ja auch den Weg in ein Geschichtsbuch finden.