
Bielefeld. Dass ein Arbeiter auf dem Bau länger arbeiten muss als jemand im öffentlichen Dienst, wird niemanden überraschen. Dass die Arbeitszeiten aber im Schnitt so weit differieren (1.614 zu 1.226 Stunden), ist dann doch erstaunlich. Auch innerhalb der Branchen gibt es große Unterschiede zwischen den Kreisen in Ostwestfalen-Lippe. Wie kann es sein, dass Landwirte im Kreis Höxter 2014 im Schnitt weit mehr Stunden auf dem Acker verbringen mussten, als Landwirte in Bielefeld oder im Kreis Paderborn? Warum muss jemand, der in Bielefeld im Handel oder in der Gastronomie arbeitet, im Schnitt 78 Stunden mehr leisten als sein Kollege im Kreis Lippe? Antworten auf diese Fragen hat Tobias Schreiner gesucht.
Wer arbeitet mehr?
Die Arbeitszeiten pro Kopf im Jahr 2014 zeigen auf: Im OWL-Baugewerbe (1.614 Stunden) und in der Landwirtschaft (1.600 Stunden) wird am längsten gearbeitet. Weit abgeschlagen folgt auf Platz 3 das Produzierende Gewerbe mit 1.440 Stunden. Es folgen Handel, Verkehr, Gastgewerbe, Informations- und Kommunikationsbranche mit 1.316 Stunden im Jahr 2014. Darauf das Finanz-, Versicherungs-, Unternehmensdienstleister-, Grundstücks und Wohnungswesen (1.301 Stunden). Schlusslicht ist der öffentliche Dienst mit 1.226 Stunden im Jahr.
Viele Überstunden
Dass jemand auf dem Bau mehr Stunden arbeitet, als jemand im öffentlichen Dienst, war zu erwarten. 388 Stunden mehr sind jedoch überraschend, gibt es im Baugewerbe doch einen Tarifvertrag von 40 Wochenstunden. Ruprecht Hammerschmidt, Sprecher der IG Bau, erklärt diese Zahlen mit den lockeren Überstundenregelungen im Bauwesen: „Im Sommer werden hier oft sehr viele Überstunden gesammelt, die eigentlich im Winter abgebaut werden sollten." Wie viele Überstunden das im Schnitt sind, konnte die IG Bau jedoch auf Anfrage nicht mitteilen.
Wer arbeitet kürzer?
In fast allen Bereichen müssen die Menschen in OWL mehr Stunden pro Jahr arbeiten als noch 2013 (nicht in der Grafik). Nur im Finanzwesen und in der Landwirtschaft sinkt die Arbeitszeit um bis zu 2 Prozent. Warum das so ist? „Durch neue Technologien wie moderne Melkmaschinen können wir effektiver arbeiten", sagt Wilhelm Brüggemeier, Vize-Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. Viel wichtiger als die Technologisierung sei jedoch die wachsende Zahl von Landwirten, die ihren Beruf nur noch in Teilzeit ausüben, sagt Leo Krüll von IT-NRW.
Landwirtschaft
Ein Landwirt in Höxter arbeitet im Schnitt 370 Stunden mehr als ein Landwirt in Bielefeld. Wie kann das sein? „Die Arbeitszeit ist stark davon abhängig, was bewirtschaftet wird", sagt Wilhelm Brüggemeier. „Spargel kostet mehr Aufwand als Getreide, weil er von Hand geerntet wird." Besonders Viehzucht mache den Unterschied. Milchkühe kosten mehr Arbeit als Hühner oder Schafe. IT-NRW bestätigt die Vermutung: So sei die Zahl der Großvieheinheiten in den OWL-Kreisen zehnmal so groß wie in Bielefeld. Außerdem gebe es in Bielefeld mehr Nebenerwerbsbetriebe.
Gastro und Handel
Im Bereich Handel und Gastronomie arbeiten Bielefelder jährlich 78 Stunden mehr als in Lippe. Das liegt jedoch nicht am Einzelhandel: „Unsere Arbeitszeiten sind nach dem Tarifvertrag auf 37,5 Wochenstunden geregelt", sagt Thomas Kunz, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands OWL. Wer arbeitet also länger? Die Aushilfs- und Teilzeitkräften in der Gastronomie, erklärt Thomas Keitel, Hauptgeschäftsführer der DEHOGA Ostwestfalen: „In Bielefeld ist die geschäftlich generierte Gastronomie viel größer. In Lippe arbeiten viele Teilzeitkräfte nur am Wochenende."