Kreis Höxter. Der Kreis Höxter schiebt ordentlich Überstunden. Rund 1,5 Millionen Stunden haben Beschäftigte im vergangenen Jahr im Kreis Höxter zusätzlich gearbeitet. Davon rund 768.000 Überstunden zum Nulltarif – ohne Bezahlung. Das geht aus dem „Arbeitszeit-Monitor“ hervor, den das Pestel-Institut im Auftrag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) gemacht hat. Allein in Hotels und Gaststätten im Kreis Höxter leisteten Köche, Kellnerinnen, Barkeeper und Co. 2024 rund 36.000 Überstunden. Das hat das Pestel-Institut auf Basis einer Auswertung der Bundesagentur für Arbeit ermittelt.
Die Wissenschaftler haben dabei für den Kreis Höxter bundesweite Durchschnittswerte von Arbeitszeiten in der Gastronomie herangezogen. Demnach waren 53 Prozent aller im Kreis Höxter geleisteten Überstunden in Hotels, Restaurants, Gaststätten und Biergärten unbezahlt. Der Überstundenberg im Kreis Höxter dürfte laut der Gewerkschaft demnächst noch größer werden. Grund seien Pläne der Bundesregierung, die Arbeitszeit neu zu regeln.
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„Schwarz-Rot will eine wöchentliche Höchstarbeitszeit und den Acht-Stunden-Tag abschaffen. Betriebe könnten von ihren Beschäftigten dann verlangen, auch zehn, elf oder in der Spitze sogar zwölf Stunden und 15 Minuten pro Tag zu arbeiten“, sagt Thorsten Kleile von der NGG Ostwestfalen-Lippe. Die NGG schlägt Alarm. Bereits jetzt betrage die maximale Arbeitszeit 48 Stunden pro Woche. In der Spitze seien sogar 60-Stunden-Wochen möglich.
Wozu Arbeitgeber ihre Beschäftigen verdonnern könnten
Doch noch schlimmer werde es, wenn die Bundesregierung tatsächlich ans Arbeitszeitgesetz Hand anlege und den Acht-Stunden-Tag kippte. Dann würde nur noch das europäische Recht ein Wochen-Limit für die Arbeitszeit setzen. Arbeitgeber könnten dann ihre Beschäftigten sogar zu 73,5-Stunden-Wochen verdonnern – nämlich zu sechs Tagen à zwölf Stunden und 15 Minuten im Job. Das wäre fast das doppelte Wochen-Pensum von heute – „und damit Arbeitszeit-Stretching pur“, so Kleile.
Der Geschäftsführer der NGG Ostwestfalen-Lippe macht seinem Ärger Luft und spricht von einem „Arbeitszeit-Monopoly“ der Bundesregierung: „Das ist wilde Zeit-Zockerei. Für Beschäftigte bedeutet das: Arbeiten bis ans Limit – und darüber hinaus“, so Kleile. Er hat dabei die Gesundheit der Beschäftigten im Blick, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Nach acht Stunden Arbeitszeit steigt die Gefahr von Arbeitsunfällen rasant an. XXL-Arbeitstage bedeuten auf Dauer eine Belastung für den Körper und für die Psyche: von Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen bis zum Burnout“, so Kleile.
Warum planbare und verlässliche Arbeitszeiten so wichtig sind
Zudem brauche, wer Familie, Beruf und die Pflege von Angehörigen unter einen Hut bringen müsse, vor allem planbare und verlässliche Arbeitszeiten. Und die müssten auch zu den Betreuungszeiten von Kita und Hort passen. „Denn wer holt die Kinder dort ab, wenn die Schicht zwölf Stunden geht?“, fragt Kleile.
Die geplante Aufweichung des Acht-Stunden-Tages gehe in die falsche Richtung. Anstatt das Fachkräftepotenzial von Frauen zu nutzen, verhinderten XXL-Schichten eine echte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die NGG Ostwestfalen-Lippe nennt dazu auch Zahlen: So werden zurzeit 69 Prozent aller Teilzeit-Jobs im Kreis Höxter von Frauen gemacht. Die Gewerkschaft beruft sich dabei auf Angaben der Arbeitsagentur. Kleile appelliert daher an die Bundestagsabgeordneten aus dem Kreis Höxter und der Region, dem „Herumschrauben am Arbeitszeitgesetz in Berlin einen Riegel vorzuschieben“.
Wie mehr Fachkräfte gewonnen werden können
Bereits jetzt seien flexible Arbeitszeiten im Arbeitszeitgesetz und durch Tarifverträge, die die NGG abgeschlossen habe, für viele Beschäftigte Alltag. „Noch mehr Flexibilität ist gar nicht nötig“, so Kleile. Zudem ersetzten Zehn- oder Zwölf-Stunden-Tage keine fehlenden Fachkräfte. „Gute Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, systematische Qualifizierung und mehr Ausbildung sind die richtigen Hebel für mehr Fachkräfte. Verschiebereien bei der Arbeitszeit sind nichts anderes als das Löcherstopfen bei einer zu dünnen Personaldecke“, so Thorsten Kleile.