Salzkotten-Upsprunge. Viele Jahre hing das Schild aus der frühen Nachkriegszeit an den Wänden diverser Partykeller und fristete ein eher vergessenes Dasein. Mehrmals verkauft, gelangte es irgendwann nach Upsprunge, wo es der Ortschronist Rainer Wester erwarb. Jetzt in der Coronakrise ist der Text darauf aktueller denn je. „Hamsterer werden hier rücksichtslos festgenommen" steht auf der großen emaillierten Tafel. „Inhaltlich passt das Schild derzeit an die Tür eines jeden Supermarktes", sagt Wester angesichts der Menschenmassen, die Toilettenpapierregale leerkaufen, als wäre eine Durchfall-Epidemie übers Land gezogen.
Rainer Wester mag die neuerliche Verwendung des Wortes für die jetzt laufende künstliche Verknappung in den Läden nicht sonderlich. „Das Leid der Hamsterer, etwa nach dem letzten Krieg, ist kaum vergleichbar mit einer Zeit, in der Menschen trotz voller Geschäfte Mehl und Dosen horten", meint der 47-Jährige.
Seit 25 Jahren führt Wester, der schon immer sehr geschichtsinteressiert war, Gespräche mit älteren Zeitzeugen und bringt deren Erlebnisse zu Papier. In den Lebenserinnerungen der zumeist ehemaligen Eisenbahner hatte das Hamstern stets eine ganz andere Bedeutung, weiß der Upsprunger.
Die Menschen hingen an den Waggons
Ein Bahnbeamter der Fahrkartenausgabe Salzkotten erinnerte sich vor vielen Jahren noch gut an die Hamsterer, die nach dem Krieg vor allem aus dem Ruhrgebiet mit total überfüllten Zügen nach Salzkotten kamen. Die Menschen hingen an den Waggons oder standen auf den entlang eines jeden Wagens angebrachten Trittbrettern. Vielen sei selbst die Fahrt auf dem Puffer nicht erspart geblieben. „Die Fahrpreise waren damals so günstig, dass sich der Weg aufs Land lohnte, um hier Habseligkeiten gegen Essbares einzutauschen", hat Wester recherchiert.
Scharmede sei nach dem Krieg ebenfalls Zielpunkt der Hamsterer gewesen, vom Bahnhof aus seien diese in die umliegenden Orte gezogen. Bauern standen mit Fuhrwerken bereits bei der Ankunft am Bahnhof bereit. Wer zahlen konnte, durfte mitfahren und wurde nach der Hamstertour auch wieder zurück zum Bahnhof gebracht. Auch hier schafften es viele nicht, ihre eingetauschten Waren bis ins Ruhrgebiet zu ihren Familien zu retten, hat der Ortschronist erfahren.
Polizist überwachte den Scharmeder Bahnhof
Unweit des Scharmeder Bahnhofs wohnte seit Anfang 1946 bei einem Gastwirt der örtliche Polizist. Dieser sei vor allem hinter Diebesgut her gewesen. Denn längst nicht jeder kam zum Tauschen aufs Land gefahren. „Besonders vor dem Morgenzug wurde er fündig. Meistens handelte es sich um Frischfleisch oder Lebensmittel. War der Eigentümer nicht ausfindig zu machen, bekam das Salzkottener Krankenhaus die Waren", so Wester.
Das galt auch für die Tauschwaren der Hamsterer. Die Menschen flüchteten vor einer Kontrolle eiligst aus dem Warteraum des Bahnhofsgebäudes. Ihre Waren und Gepäckstücke ließen sie dabei oft panisch zurück.
20,50 Euro bei Ebay für zehn Rollen Toilettenpapier
Hamsterkäufe gingen in der Geschichte oft mit Schwarzhandel einher. Dinge, die auf normalem Wege nicht zubekommen waren, konnten auf dem Schwarzmarkt erworben oder weitergetauscht werden. „Auch hier wiederholt sich die Geschichte", meint der Upsprunger, der derzeit für die aktuelle Chronik leere Einkaufsregale in den Supermärkten dokumentiert. Wurde früher heimlich bei herumschleichenden Personen in langen Mänteln gekauft, so werde heute im Internet mitgeboten.
Rainer Wester hat ein aktuelles Verkaufsgebot beispielhaft für seine Ortschronik ausgeschnitten. Stolze 20,50 Euro wurden bei Ebay für zehn Rollen supersoftes Toilettenpapier eines namenlosen Herstellers bezahlt. Dazu kommen für den Käufer noch einmal 5,90 Euro Porto für den Versand obendrauf. „Immerhin vierlagig", schmunzelt Rainer Wester, der seit elf Jahren Ortschronist ist und zudem auch Bahnhofspate in Salzkotten.
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