Paderborner Missbrauch-Betroffene diskutieren mit Erzbischof: „Verhindern, was wir erlebt haben“

Paderborn. Den Opfern sexualisierter Gewalt eine Stimme geben, sie &bdquo;aus dem Dunkel ans Licht“ holen – das war das Ziel des Erzbistums Paderborn rund um den Gedenktag für Betroffene in dieser Woche. Und die Diözese hielt Wort: Bei einer im Internet übertragenen Podiumsdiskussion kamen neben Kirchenvertretern, unter ihnen Erzbischof Udo Markus Bentz, vor allem zwei Missbrauch-Betroffene zu Wort. Reinhold Harnisch und Michael Heltner erzählten gleich zu Beginn der Gesprächsrunde von ihrem Leid, das ihnen im Kindesalter zugefügt wurde. Berichte und Schilderungen, die die Anwesenden sichtlich bewegten. Mit neun Jahren wurde Reinhold Harnisch Mitglied im Domchor. &bdquo;Eine von mir hochgeschätzte Ehre“, erinnert sich der heute 70-Jährige. Doch dann &bdquo;passierte das Schlimmste, was man sich vorstellen kann“. Er wurde missbraucht, von einem &bdquo;Täter, der die Schutzsituation ausnutzte, um seine Triebe zu befriedigen“. Vier Jahre lang dauerte Harnischs Martyrium – Hilfe habe er keine bekommen, wie er sagt: Nicht von der Kirche, aber auch nicht von den Eltern oder Polizei. Und so war er &bdquo;alleine mit Schuld und Scham“. Paderborner Missbrauch-Täter: &bdquo;Das ist eine Gabe von Gott“ Harnisch schwieg, weil ihm nicht geglaubt wurde und weil der Täter ihm immer wieder sagte: &bdquo;Das ist eine Gabe von Gott, und das muss unter uns bleiben.“ Und daran habe er geglaubt. Heute, sechs Jahrzehnte später, kann Harnisch über das Erlebte sprechen, er ist mittlerweile im Vorstand der 2022 gegründeten Betroffenenvertretung im Erzbistum, die er mit aufgebaut hat. Doch bis dahin war es ein langer und schwerer Weg. Erstmals öffentlich erzählte Michael Heltner über das, was er erleiden musste. Er kam mit fünf Jahren ins Heim, wo ihm durch die dort lebenden Vikare sexualisierte Gewalt angetan wurde. Darüber zu sprechen, sei schwierig für ihn, sagte er zu Beginn, noch immer triggert ihn das Erlebte. &bdquo;Aber ich bin der Meinung: Man muss darüber reden. Denn wenn nicht einige wenige den Mut haben, darüber zu reden und sich zu zeigen, werden andere, die das nicht schaffen, sich zu äußern, noch verschlossener sein“, so Heltner, der sich ebenfalls im Vorstand der Betroffenenvertretung engagiert. Interview: Missbrauch-Betroffener: &bdquo;Wir fordern aktivere Aufarbeitung vom Erzbistum Paderborn“ Harnisch und Heltner nennen das Ziel von Kirche und Betroffenen So schwer es den beiden Männern teilweise auch fiel, über das ihnen Angetane zu sprechen - sie taten es, weil sie damit eine innige Hoffnung verbinden. Reinhold Harnisch und Michael Heltner nannten am Ende der rund einstündigen Diskussion als Ziel der gemeinsamen Arbeit von Betroffenen und Kirche: &bdquo;Das verhindern, was wir als Kinder erlebt haben.“ Das will auch das Erzbistum Paderborn mit der sogenannten und gemeinsam mit der Betroffenenvertretung angeschobenen Dunkelfeld-Initiative erreichen. Der Name verweist auf jene Fälle, die bislang nicht bekannt sind oder gemeldet wurden. Das Schweigen über sexualisierte Gewalt soll gebrochen und Räume geschaffen werden, in denen Betroffene gehört, ernst genommen und unterstützt werden. Zugehört hat auch Erzbischof Udo Markus Bentz, der die Missbrauch-Aufarbeitung in Paderborn schon zu Beginn seiner Amtszeit zu einem seiner Hauptanliegen erklärt hatte. Er hat bereits viele Gespräche geführt mit Betroffenen und an der Aufarbeitung und Prävention beteiligten Männern und Frauen. Zu den in der Diskussion geschilderten Schicksalen sagte er: &bdquo;Es trifft, jedes Mal und immer wieder neu.“ Paderborner Erzbischof: Aufarbeitung von Missbrauch höchste Priorität Erbischof Bentz will &bdquo;alle Hürden“ für Betroffene abbauen Betroffenen Menschen müsse das Gefühl gegeben werden: &bdquo;Wir glauben dir, wenn du dein Leid ins Wort bringst, und wir gehen gut mit dir um.“ Bentz verwies auf das bislang Erreichte und die gute Zusammenarbeit von Bistum und Betroffenen bei der Aufarbeitung und Unterstützung. Zusätzlich zu den bestehenden Angeboten kündigte er an, auch ein Seelsorgernetzwerk aufbauen zu wollen. &bdquo;Alle Hürden“ sollten abgebaut werden, um über das Thema – auch öffentlich – sprechen zu können, so Bentz. Während des Podiumsgesprächs wurde zudem erstmals der Termin verkündet, an dem das angekündigte Mahnmal zu sexuellem Missbrauch im Paderborner Dom fertiggestellt sein soll: Im Februar 2026 soll es nach Angaben von Reinhold Harnisch so weit sein. Ihm zufolge gibt es bereits großes Interesse und unter anderem Anfragen von Schulklassen. Wie ein Memory-Spiel: So sieht das Mahnmal zu sexuellem Missbrauch im Paderborner Dom aus Paderborner Interventionsbeauftragter: &bdquo;Wir hören zu“ Ebenfalls in der von Christine Etrich moderierten Runde saßen der Interventionsbeauftragte des Erzbistums, Thomas Wendland, Psychologe Andreas H. Abel vom Therapeutennetzwerk Bielefeld und Generalvikar Michael Bredeck. Sie berichteten über ihre Arbeit und die vielfältigen Unterstützungsangebote. &bdquo;Wir hören zu, wir gehen dem nach“, ermutigte Wendland Betroffene, sich zu melden. In seinem Team seien alle Mitarbeitenden Traumata-Experten. Er weiß: &bdquo;Es kommt vor, dass Menschen mit uns sprechen, noch bevor sie mit ihren Angehörigen über ihr Leid gesprochen haben. Wir wollen Vertrauen schaffen und Zeit geben.“ Der Generalvikar betonte die Präventionsmaßnahmen des Erzbistums und erläuterte, warum ein gewisses Maß an Bürokratie nötig sei, um beispielsweise einen Antrag auf Leistungen zur Anerkennung des Leids zu stellen. Das lasse sich nicht vermeiden, warb Bredeck um Verständnis: &bdquo;Wir bemühen uns um Niedrigschwelligkeit, aber es braucht geregelte Verfahrenswege.“ Und der Erzbischof betonte, dass es keine Willkür geben dürfe. Die habe es oft genug in der &bdquo;schrecklichen Vergangenheit“ gegeben. Jetzt brauche es Transparenz. Therapeutische Hilfe könne nach erlittenem Missbrauch eine wichtige Option sein, unterstrich Diplom-Psychologe Andreas H. Abel. Therapieplätze seien aber generell rar. Deshalb hätten Praxen sich in Selbstorganisation zu Netzwerken zusammengeschlossen. Das Erzbistum Paderborn und die Betroffenenvertretung unterstützen seit Sommer 2025 in Kooperation mit dem Therapeuten-Netzwerk Bielefeld Betroffene bei der Therapieplatzsuche. &bdquo;Wir lotsen durch das Hilfssystem, geben zum Beispiel Infos über Kosten und mögliche Kostenträger“, sagte Abel. Er betonte, wie &bdquo;enorm wichtig“ die Qualität der psychologischen Unterstützung für Betroffene sei. Erzbischof von Paderborn: &bdquo;Wir dürfen dem Bösen nicht freien Lauf lassen“ Hier gibt es die Podiumsdiskussion des Erzbistums Paderborn zum Nachschauen im Video: Gedenkgottesdienst in Paderborn und Solidarität mit Betroffenen Im Rahmen der Dunkelfeld-Initiative konnte am Dienstagnachmittag die kürzlich eröffnete Geschäftsstelle der Betroffenenvertretung in der Paderborner Innenstadt (An der Alten Synagoge 6) besichtigt werden. Am Abend feierte Erzbischof Bentz mit Betroffenen und den Mitgliedern der Unabhängigen Aufarbeitungskommission (UAK) einen Gedenkgottesdienst im Paderborner Dom. Alle Kirchengemeinden im Erzbistum Paderborn wurden außerdem gebeten, in den Gottesdiensten am Sonntag vor oder nach dem Gedenktag in Solidarität mit den Betroffenen eine Kerze zu entzünden. Die im Paderborner Konrad-Martin-Haus aufgezeichnet Podiumsdiskussion wurde laut Bistumsangaben von rund 300 Zuschauenden verfolgt und ist auf Youtube abrufbar. Informationen und Kontaktmöglichkeiten gibt es auf den Internetseiten der Betroffenenvertretung sowie des Erzbistums Paderborn.

Meistgelesen