Aktzeichnen in Paderborn: Auch die Teilnehmerinnen lassen Hüllen fallen

Frau Leifeld, Frau Hansjürgen, bedeutet Ihnen der Internationale Frauentag etwas? Johanna Leifeld: Es ist für mich fast schon ein Kampftag, der genutzt werden will, um Probleme sichtbar zu machen. Es ist ein Tag, um auf die Straße zu gehen, um laut zu sein, um Rechte einzufordern. Und eben nicht, um mir ein Danke und Blumen abzuholen. Lea Hansjürgen: Für mich ist dieser Tag verbunden mit Frauensolidarität. Die habe ich beispielsweise gespürt, wenn ich an diesem Tag mit meiner Schwester auf Demos war. Zudem schaffen die sozialen Medien am Frauentag eine Sichtbarkeit von ganz vielen unterschiedlichen Geschichten weltweit. Sie haben im vergangenen Jahr ein besonderes Projekt für Frauen ins Leben gerufen. Es geht ums Aktmalen. Leifeld: Genau. Wir malen Akt, nackt. Die Idee von New Norm (übersetzt &bdquo;neue Norm“) ist, dass wir durch Kunst und Gemeinschaft Körpervielfalt und Körperakzeptanz bei Frauen stärken wollen. Wie kann man sich das vorstellen? Leifeld: Das sind Aktzeichenkurse von Frauen für Frauen, bei dem nicht nur das Aktmodell nackt ist, sondern alle Frauen auch eingeladen sind, ihre Hüllen fallen zu lassen – im Äußeren wie im Inneren. Was ist das Ziel dieser Akt-Session? Hansjürgen: In den Kursen lernen wir, Körper auf eine andere Art und Weise zu sehen. Also man schaut das Modell an und ist nebenbei umgeben von ganz verschiedenen Frauenkörpern. Dabei werden die Teilnehmerinnen von unserer Künstlerin Rebekka Schulte im Sehen angeleitet. Was bezweckt das? Hansjürgen: Die Körper des Aktmodells und der anderen Frauen werden nicht anhand eines Ideals betrachtet, sondern auf eine künstlerische Art. Rebekka erklärt dann, wie spannend unterschiedliche Körperformen für die Malerei sind, und macht uns auf unsere eigenen Besonderheiten aufmerksam. Das Ziel ist, dass der Fokus weggeht von unseren eigenen Körpern und hin zur Vielfalt, die wir dann vor uns auch sehen. Leifeld: Wir schaffen Räume, wo Frauen realistische Körper erfahren können. In sozialen Medien, in der Werbung, in der Modeindustrie werden Idealkörper gezeigt. Da wird immer eine Norm gezeigt, der ich nie entspreche. Wir machen besprechbar, was das psychisch und physisch mit Frauen macht, ständig diesem Druck ausgesetzt zu sein. Mittlerweile haben Sie sechs Akt-Sessions in Paderborn angeboten. Wie war das Feedback der Teilnehmerinnen? Leifeld: Durchweg positiv. Die Kurse waren innerhalb weniger Stunden ausgebucht. Alle Sessions haben etwas gemein. Egal wie die Frauen aussehen, ob sie schlank sind, dick, groß, klein oder durchtrainiert: Selten hat eine Frau das Gefühl, sie entspricht der Norm. Es gibt kaum Frauen, die komplett zufrieden mit ihrem Körper sind. Lesen Sie auch: Mit Nacktmalen: Festival in Paderborn für Körperakzeptanz und Frauensolidarität Hansjürgen: Deswegen ist es wichtig, etwas zu verstehen: Es ist gar nicht mein Körper gegen diese Norm, sondern mein Körper gehört zu einem großen Spektrum von Frauenkörpern. Von ganz klein bis ganz groß: Das ist die Realität. Haben Sie schon Sprüche für diese Idee des Aktmalens kassieren müssen? Leifeld: Männer sagen zu den Akt-Sessions oft: &bdquo;Da wäre ich gerne mal dabei.“ Da muss ich schon ehrlich sagen: Das regt mich auf. Denn es zeigt, dass es ihnen in solchen Momenten nur darum geht, Frauenkörper zu sexualisieren. Unsere Mission ist ganz anders. Wir wollen die Vielfalt von Frauenkörpern ganz wertfrei erfahrbar machen. Wir wollen einfach mal sein. Ist so eine Akt-Session auch für Männer geplant? Hansjürgen: Nein, wir bieten das bewusst von Frauen für Frauen an. Ich bin aber überzeugt, dass Männer das auch brauchen. Für sie geht es oft um die Frage, ob man durchtrainiert ist. Da lastet ein großer Druck auf Männern. Hat das Aktmalen für Frauen Ihrer Ansicht nach einen Bezug zum Thema Gleichberechtigung? Leifeld: Auf jeden Fall. Für die Umsetzung des New-Norm-Projekts wurden wir letztes Jahr nicht nur von der Gleichstellungsstelle der Stadt und der Biohausstiftung gefördert, sondern die große Basis kam von dem Bundesprogramm &bdquo;Demokratie leben“. Sie haben uns gefördert, weil zu einer vielfältigen Gesellschaft eben auch vielfältige Körper gehören. Inwiefern kann Aktzeichnen demokratisch sein? Hansjürgen: Die Energie, Zeit und auch das Geld von Frauen fließen sehr oft in Schönheitsprodukte. Die Gedanken drehen sich oft um die Frage, ob man zu dick oder zu dünn ist. Schönheitsideale haben immer etwas mit Macht und Kontrolle zu tun. Indem wir den ständigen Fokus auf unsere Körper lösen, haben wir mehr Kapazitäten, uns mit wirklich wichtigen Dingen zu beschäftigen. Leifeld: Das heißt nicht, dass wir uns nicht trotzdem hübsch machen können. Es geht eher um das Gefühl, gewisse Schönheitsideale nie erreichen zu können. In den Kursen versuchen wir, diesen Fokus auf den Körper aufzulösen. Wie gehts es mit Ihrem Projekt nun weiter? Leifeld: Für dieses Jahr sind wir noch auf der Suche nach Sponsoren. Die brauchen wir beispielsweise dafür, dass die Akt-Sessions kostengünstig bleiben. Wir sind aber auch dankbar für jede Form der Kooperation. Wenn uns jemand einen großen Raum zur Verfügung stellt, hilft uns das auch schon. Sie stemmen das Projekt derzeit ehrenamtlich? Leifeld: Genau. Wir haben beide Jobs, sind beide im Projektmanagement tätig. Was motiviert Sie? Hansjürgen: Da habe ich ein ganz aktuelles Beispiel. Es gibt eine Umfrage von dem Beauty-Unternehmen &bdquo;Dove“, die mich sehr schockiert hat. Demnach würde jede fünfte Frau in Deutschland fünf Jahre ihres Lebens opfern, um dem gesellschaftlichen Schönheitsideal zu entsprechen. Sie würden also lieber fünf Jahre früher sterben, als nicht dem Schönheitsideal zu entsprechen. Das ist gruselig. Immer informiert bleiben: 📱 Hier gelangen Sie direkt zum Whatsapp-Kanal der NW Paderborn Leifeld: Wir wollen uns mit anderen Frauen verbinden und mit Blick auf Schönheitsideale gemeinsam sagen: Wir machen da nicht mehr mit. Wir wollen Frauensolidarität schaffen und stärken. Ihr Projekt findet größtenteils in Paderborn statt. Passt es Ihrer Ansicht nach gut hier hin? Hansjürgen: Das Projekt ist schon experimentell, insbesondere im Paderborner Land, wo es ja konventioneller zugeht. Daher hat es uns positiv überrascht, wie sehr dieses Projekt gewachsen ist. Leifeld: Also, ich empfinde Paderborn oft etwas staubig. Aber unser Projekt ist das beste Beispiel, dass hier durchaus Platz ist für unkonventionelle Ideen.

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