Premiere: Theater Paderborn präsentiert Kafkas „Die Verwandlung“

Paderborn. Vor zehn Jahren erwies sich Schauspieler Max Rohland schon einmal als Garant, die düstere Fiktion von Franz Kafkas literarischem Meisterwerk &bdquo;Die Verwandlung“ (1912-1915) erlebbar zu machen. In der Wiederaufnahme von Katharina Kreuzhage nimmt der Schauspieler Rohland erneut die Rolle des Erzählers ein. Vergangenen Samstag war Premiere im Studio des Theaters Paderborn mit einem Stoff, der an aktueller Deutungsmöglichkeit nichts eingebüßt hat. Geht es doch um Fremdsein und Entfremdung, um Parallelwelten, Isolation und Abschiebung. Und nicht zuletzt um das Gerangel um Hierarchien und Macht, die in der Familie, der kleinsten Parzelle sozialen Beisammenseins, erprobt werden. Dem kleinen Menschen auf der Studiobühne zur Seite gestellt ist eine riesige Videoanimation (Matthias Strahm/Mitarbeit: Michael Schaden), bewegliche Bilder also in Sepia-Tönen, die mit dem Rhythmus der Erzählung verschmelzen; sich verdichten, verdoppeln, reinschnellen, dann wieder fast statisch verharren, auflösen. Die Comicsprache kontrastiert die Sprachgewalt im Theater Paderborn Durch die überdimensionierte Vergegenständlichung wird das Publikum kontinuierlich einer Reizflut ausgesetzt. Die knapp aufploppende Comicsprache kontrastiert dazu mit der Sprachgewalt Kafkas. Und unter dem Albtraum wabert eine tiefe Toncollage. Die Handlung: unverändert. Gregor Samsa wacht als Furcht einflößendes Insekt auf, ist sich selbst Fremdkörper. Die äußere Verwandlung ist Schock, Schicksal, Gegebenheit. Der Sohn, bis dato Alleinernährer der alten Eltern und der minderjährigen Schwester, ist zum unnützen Schädling mutiert. Lesen Sie auch: Willkommen in Absurdistan: Paderborner Theater zeigt modernen Klassiker Die übergroß gezeichneten Figuren, der Vater, der gefürchtete Prokurist, später die drei Dunkelmänner, die zur Miete wohnen, werden in groß herangezoomt. Stereotype statt Menschen. Hasserfüllte Münder, bedrohliche Gesten in Comicmanier, schlagende Türen - &bdquo;Slam, Boing“ - ein Türknall in echt. Max Rohland zieht in der Paderborner Inszenierung die inneren Register des guten Erzählers Währenddessen nährt sich Gregor vom Abfall - &bdquo;Miam, Slurp“ - und seine Angst gebietet ihm mehr und mehr, den Rückzug anzutreten. Die Verwandlung stempelt ihn ab zum Außenseiter. Er versteht die anderen und missversteht zugleich. Er entfremdet nicht nur der Welt, vor allem sich selbst. Die Apfelattacke seines Vaters verletzt seinen &bdquo;Panzer“ schwer. Abgeschottet von der Mutter, verliert er die Liebe seiner Schwester. Denn während er in seiner Hilflosigkeit sich seiner Schwester hingezogen fühlt, hat sie ihn längst zum Unmenschen stigmatisiert. Das ganze Programm: Neue Spielzeit: Theater Paderborn schickt Pippi Langstrumpf auf die Bühne Mag die äußere Welt in comicartiger Stereotypie vorbeirauschen, Max Rohland zieht die inneren Register des guten Erzählers. Denn es ist das in Vergessenheit geratene Genre der Erzählkunst, das Max Rohland zum Leben erweckt. In Anzug und Melone geht er äußerlich statisch durch die Geschichte, mal im Lichtfeld einer Tür illuminiert, mal durch eine virtuell gezeichnete, weiße Linie gefangen. Und kommt damit einem Kern des Werks nahe, der in seiner surrealen Drastik und Symbolik auf den inneren Veränderungsprozess zielt. Am Ende verschwindet der Mensch hinter der Animation Rohland verleiht mit seiner Stimme Figuren wie der Schwester jenes ambivalente Dasein, schafft mit Bravour die Perspektivwechsel der Personen, vertieft den seelischen Absturz Gregors in das Unglück eines Ausgestoßenen. Und doch verdeutlicht die Inszenierung Katharina Kreuzhages einmal mehr die Aussichtslosigkeit eines Kampfes gegen die Flut einer digitalen Berieselung. So bleibt auch der Erzähler ein Ausgestoßener in einer dynamischen Bilderflut; die aktionsarme Bühne bleibt leerer Raum, die &bdquo;Verwandlung“ nimmt ihren Lauf: In Kafkas Erzählung stirbt Gregor an Unterernährung, im Theater verschwindet der Mensch hinter der technisch brillanten Animation in 3-D Effekt. Weitere Aufführungen sind am 24. Januar, 7., 15., 21. Februar, 1., 29. März, 4., 12. April jeweils um 19.30 Uhr. Karten für das Stück gibt es an der Theaterkasse am Neuen Platz unter Tel. 05251 2881100 und per E-Mail an kartenservice@theater-paderborn.de.

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