Paderborner Kinderärzte am Limit: Was Eltern jetzt wissen müssen

Paderborn. Es scheint paradox: Rein rechnerisch gibt es im Kreis Paderborn eine Überversorgung mit Kinderärzten. So liegt der aktuelle Versorgungsgrad laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) bei einer Quote von 110,4 Prozent. Dennoch spricht Ulrich Polenz, Allgemeinmediziner aus Wewer und Chef der KVWL im Hochstift, offen von Mangel. Wie kann das sein? Mehr Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen &bdquo;Mittlerweile haben wir einen Mangel“, sagt Polenz. Ursächlich sei vor allem der gestiegene Bedarf an kinderärztlichen Leitungen durch Geflüchtetenfamilien, Zuzüge und Neugeborene. Als Beispiele nennt der Mediziner Masernimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen, die viel Zeit beanspruchen. Hinzu komme eine starke Zunahme der Infektionserkrankungen. In den Bezirksstellen der KVWL riefen Eltern an, die keinen Arzt finden. &bdquo;Die Vorsorge ist tatsächlich mehr geworden“, sagt Sebastian Dick, Obmann für insgesamt 21,5 Kinderärzte (umgerechnet auf Vollzeitstellen) im Kreis Paderborn. So würden viele Eltern die U2 ihres Neugeborenen seit der Corona-Pandemie lieber in Arztpraxen machen lassen, erklärt der Kinderarzt aus Delbrück. Das seien immer so 15 Minuten. Da zwischen der U7 und U8 zwei Jahre lägen, sei die U7a für dreijährige Kinder eingeführt worden. &bdquo;Das macht Sinn“, so Dick. Nur seien die Kapazitäten begrenzt. Weitere noch jüngere Vorsorgeuntersuchungen seien die U11, J1 und J2. Ärztliche Versorgung: Neues Facharztzentrum mit zehn Praxen, Apotheke und Café entsteht in Paderborn Auch bei den Impfungen sind einige hinzugekommen und es immer mehr geworden. Dick nennt die gegen das RS-Virus/Bronchiolitis, die seit diesem Jahr im Impfkalender steht, sowie eine Impfung gegen Hirnhautentzündung (Meningokokken B). Dies führe zu deutlich mehr Terminen - und bei 2.500 Patienten eben 2.500 zusätzlichen Terminen. Gestiegene Arbeitsbelastung für die Ärzte im Kreis Paderborn &bdquo;Alle Kinderärzte sind an der Belastungsgrenze“, sagt Dick. Einige erfüllten zudem noch zusätzliche fachärztliche Leistungen. So sei der Paderborner Kollege Matthias Niesmann etwa Kinderkardiologe. Dick selbst ist Allergologe und Kinderpneumologe und übernehme als ein solcher Spezialist Patienten aus dem ganzen Kreis Paderborn. Das gehe aber auch nur, weil er in der Gemeinschaftspraxis Ärzte für Kinder- und Jugendmedizin nicht allein sei und die anderen die Kinderheilkunde abdeckten. Diese Termine bedeuten mehr Arbeit. Hinzu komme noch der gestiegene bürokratische Aufwand, wie Dick sagt. Mindestens sechs Stunden seien es bei ihm in jeder Woche. Diese kämen auf die 25 - bis vor einigen Jahren noch 20 - Sprechstunden, die jeder Kinderarzt pro Woche mindestens seine Praxis geöffnet haben müsse. Hierzu sind sie von der Kassenärztlichen Vereinigung verpflichtet. Vor einigen Wochen habe Polenz einen Brief an alle Hausärzte verschickt und gefragt, wer Masernimpfungen übernehmen könne. Daraufhin bekam er 15 Rückmeldungen von Ärzten, die das konnten. Polenz verweist in diesem Zusammenhang auf die enorme Bedeutung dieser Impfungen. Ohne den Schutz vor Masern kann kein Kind eine Kita oder Schule besuchen. Kinder müssen abgelehnt werden Gemeinsam mit Kinderärzten hatten Vertreter der KVWL bisher folgendes Vorgehen beschlossen: Findet eine Familie keinen Mediziner für ihr Kind, dann wird sie an den nächstgelegenen Kinderarzt vermittelt. Zwei Jahre habe dies auch gut funktioniert. Bis sich herausgestellt habe, dass die nächstgelegene Praxis in vielen Fällen dieselbe war. &bdquo;Da kam das System an seine Grenzen“, sagt Polenz. Personalie: Neuer Chefarzt der Kinderklinik in Paderborn übernimmt bald Aus Delbrück und auch Hövelhof lehnt Dick keine Kinder ab, alle Eltern dürfen kommen. Und dies hat einen Grund: Er hat am Praxisstandort in Delbrück einen Kinderarztsitz aus Hövelhof übernommen, wo es keinen Kindermediziner mehr gibt. &bdquo;Wir haben auch Anrufe von Eltern aus Paderborn, die keinen Kinderarzt finden.“ Etwa aus Elsen: Schließlich gibt es in Paderborns mit rund 16.300 Einwohnern größtem Ortsteil nach Schloß Neuhaus keinen einzigen Kinderarzt. Fehlendes Interesse von Kinderärzten an Paderborn &bdquo;Würde ein Kinderarzt heute einen Sonderbedarfsantrag stellen, würde dieser vermutlich eine Zusage bekommen“, sagt Polenz. Die Prüfung würde zwar ein halbes Jahr dauern. Doch diese Zeit spielt gar keine Rolle, da es überhaupt keine Bewerber gibt, die nach Paderborn möchten. Bei Treffen mit Kinderärzten werde immer schon nachgefragt, ob jemand einen Interessenten kenne. Einen Grund im Ärztemangel sieht Polenz in der hohen Frauenquote von 60 bis 70 Prozent im Medizinstudium. Dies führe häufig dazu, dass Ärztinnen später ihre Arbeit reduzierten. Lesen Sie auch: Fast jedes zweite Grundschulkind im Kreis Paderborn hat Sprachprobleme Eltern im Kreis Paderborn fehlt oft das Wissen um Krankheiten Ein Grund für volle Praxen sei auch die Abnahme des Wissens der Eltern zum Umgang mit Krankheiten und die Einschätzung, was zu tun ist. &bdquo;Die Sorge, es könnte etwas Schlimmes dahinterstecken, ist größer geworden, weil die Erfahrung von Eltern und Großeltern fehlt“, so Polenz. Das sieht Kinderarzt Dick genauso: &bdquo;Wann fahren Eltern zum Arzt und wann nicht.“ Dies werde ganz besonders auch in den Notfallpraxen deutlich. Was Eltern tun können, wenn sie keinen Kinderarzt finden Eltern, die keinen Kinderarzt finden, können sich aber immer unter Tel. 116117 an die KVWL wenden, die dann einen Kinderarzt findet. Allerdings könne dieser weiter entfernt sein. Polenz betont, dass die Kassenärztliche Vereinigung zwar einen Sicherstellungsauftrag habe, aber selbst nicht steuere. &bdquo;Eltern müssen die 116117 wählen“, sagt Dick. &bdquo;Das ist blöd, aber es gibt keine andere Lösung.“

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