Vor 20 Jahren in Paderborn: Künstler provoziert mit Nachbau einer Gefängniszelle

Paderborn. &bdquo;Abu-Ghureib 2003/2004 – Friedrich von Spee 1631/1632“: Diesen nur auf den ersten Blick sperrigen Titel trägt ein Kunstwerk, über das in Paderborn viel diskutiert worden ist. Mittlerweile 20 Jahre ist es her, dass der Bildhauer Wilfried Hagebölling mit seiner Arbeit für eine heftige Diskussion gesorgt hatte. Am frühen Morgen des 30. Oktobers 2004, einem Samstag, hatte Hagebölling seinen Nachbau einer Gefängniszelle, wie sie US-Truppen für Häftlinge im Bagdader Gefängnis Abu-Ghureib benutzt haben, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf den Schulhof des Gymnasiums Theodorianum am Kamp aufgestellt. Dies ist jene Stelle, wo in den Jahren 1631 und 1632 die &bdquo;Cautio criminalis“ von Friedrich von Spee entstanden war: auf dem Gelände des ehemaligen Paderborner Jesuitenkollegs. Mit dieser Schrift prangerte Spee die damals üblichen Hexenprozesse an. Er positionierte sich gegen Folter und setzte ein neues Bewusstsein in Gang. Hageböllings Arbeit verbindet diese beiden Zeitebenen aufs Trefflichste. Paderborner Künstler soll das Werk unverzüglich entfernen Da der auf den Aktionsstart folgende Sonntag, der Reformationstag, zum Herbstlibori-Abschluss zugleich verkaufsoffen war, wurde seine provokante Kunst stark wahrgenommen. Eine Erlaubnis zum Aufstellen hatte Hagebölling nicht. Die Stadt in Person des damaligen Kulturdezernenten Wolfgang Walter forderte von Hagebölling prompt, den &bdquo;Gegenstand unverzüglich“ vom städtischen Grundstück zu entfernen. Daraufhin stellte der Bildhauer den Antrag, sein Kunstwerk für eine gewisse Dauer nachträglich zu bewilligen. Auch die frühere Theo-Leiterin Dorothea Frintrop-Bechthold hatte sich über das nicht genehmigte Aufstellen des Metall-Käfigs aufgeregt und forderte die Räumung des Schulhofs bis Sonntag, 7. November. Hagebölling ignorierte die Frist. Um einen &bdquo;vorzeitigen Abbau und Beschädigungen des Kunstwerks zu verhindern“, schloss er sich am 8. November um null Uhr in der Zelle ein - und fror bei Nachtfrost für die Kunst. Der Paderborner Künstler soll das Werk unverzüglich entfernen Am Morgen machte Kulturdezernent Walter das Angebot, die Arbeit einige Meter versetzt auf dem öffentlichen Gehweg aufzustellen. Hagebölling willigte ein. Am 10. November erhielt er als Teil dieses Hickhacks eine Sondergenehmigung. 19 Tage später, es war der 29. November, endete die Aktion. Seitdem steht der Käfig – wenn er nicht gerade irgendwo ausgestellt wird – in seinem Atelier im Dörener Feld. Zum Projekt gehörte dabei von Anfang an das Sammeln der Reaktionen auf sein gezielt ungenehmigtes Vorgehen. Diese Dokumentation wurde von Hageböllings Galeristin und Frau, Monika Hoffmann, im Jahr drauf veröffentlicht. Lesen Sie auch: Nach Kritik durch Künstler Hagebölling: Werbetafel in Paderborn wird versetzt Hageböllings Aktion hatte Erfolg: Er machte auf die unmenschlichen Taten in dem berüchtigten Foltergefängnis aufmerksam – wobei mehr über das Aufstellen als über Folter diskutiert wurde. Zugleich musste sich Hagebölling den Vorwurf gefallen lassen, dass seine Installation &bdquo;eine Ohrfeige für die amerikanischen Freunde“ sei. Auch in Osnabrück wird vor einer Ausstellung viel über das Paderborner Werk diskutiert Bis zum Protestkäfig war Hagebölling vor allem durch seine mächtigen, teils begehbaren Stahlarbeiten bekannt. Auch damit hat er schon immer provoziert. &bdquo;Abu Ghureib“ nimmt in seinem Werk dabei eine besondere Rolle ein. Es ist seine erste explizit politische Arbeit. Zudem übernimmt er die Form mit dem Nachbau der Isolierzelle. Von April 2009 bis Ende 2011 war &bdquo;Abu-Ghureib“ im Rahmen der Ausstellung &bdquo;Colossal“ in Osnabrück zu sehen. Wo zuvor aber erstmal heftig über das Kunstwerk diskutiert wurde. Der mittlerweile verstorbene AusstellungsmacherJan Hoet wollte die Arbeit unbedingt für das Kunstprojekt holen, das Osnabrück zeitgleich zur 2.000-Jahr-Feier der Varus-Schlacht mit Gegenwartskunst konfrontierte. Aus Hageböllings Sicht habe sich &bdquo;Osnabrück als Stadt des Westfälischen Friedens blamiert“. Nach längerem Hin und Her konnte er seine Arbeit schließlich vor der Villa Schlikker aufstellen – wo sich von 1933 bis 1945 das Hauptquartier der NSDAP in Osnabrück befand. Dies ist zugleich der Platz, den Hagebölling ursprünglich ausgewählt, aber sogleich eine Absage erhalten hatte. Ein paar Jahre später steht die Arbeit fast wieder am Ort der ersten Nacht-und-Nebel-Aktion Vor sechs Jahren dann stand die Zelle erneut in Paderborn – nur wenige Meter entfernt vom Ort der Nacht-und-Nebel-Aktion vom Oktober 2004. Diesmal war sie als Teil einer Ausstellung der Theologischen Fakultät vor dem Eingang zur Präsenzbibliothek und zum Auditorium maximum jedoch ganz offiziell aufgestellt worden. Doch wie blickt der Künstler selbst auf sein Werk? &bdquo;Das ist für mich nach wie vor eine ganz wichtige Arbeit“, sagt Hagebölling. Er sei bei ihr zwar nicht klassisch als Bildhauer aktiv, nehme aber den Folterkäfig – also die Form – und bringe ihn mit der Situation Spee zusammen. Für einen renommierten Kunstkenner ist es die beste Arbeit zum Thema Folter Vor zwölf Jahren wurde der Bildhauer von der damaligen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet: Er trete unmissverständlich für die Belange von Kunst und Kultur ein, auch wenn es unbequem werde. Kraft erwähnte auch den Kunstkäfig, mit dem er eine öffentliche Diskussion in Gang gesetzt habe: &bdquo;Ein klarer Protest gegen die entwürdigende Behandlung von Menschen.“ Erheblich bedeutender dürfte für Hagebölling jedoch die Einschätzung des mittlerweile verstorbenen renommierten Kunsthistorikers und Hochschullehrers Manfred Schneckenburger sein, der unter anderem zweimal die documenta in Kassel geleitet hat. Dieser habe ihm einst gesagt, dass der Käfig die für ihn beste Arbeit zum Thema Folter überhaupt sei.

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