Paderborner Transfrau im Interview: „Das Selbstbestimmungsgesetz war längst überfällig“

Frau Drüke, Sie haben Ihren Geschlechtseintrag und Namen bereits vergangenes Jahr ändern lassen und profitieren daher nicht vom Selbstbestimmungsgesetz, das am 1. November in Kraft tritt. Bedeutet es Ihnen dennoch etwas? Victoria Drüke: Das bedeutet mir unglaublich viel. Und es erspart mir Arbeit. Denn als Leiterin der örtlichen Trans-Selbsthilfegruppe musste ich mich viel mit dem Transsexuellengesetz rumschlagen. Es ist ja sehr umständlich. Inwiefern? Der Prozess hat durchschnittlich zwei Jahre gedauert, 2.000 Euro und zwei invasive Gutachten gekostet. Ich habe täglich gesehen, wie andere transgeschlechtliche Menschen unter dem Gesetz gelitten haben. Jetzt zu sehen, wie diese Menschen ein Stück Freiheit und Autonomie bekommen, ist unglaublich schön. Wieso waren die Gutachten invasiv? Also zunächst war es sehr schwer, sie zu bekommen. Man musste einen Gutachter finden, der sich transgeschlechtlichen Menschen annehmen will. Die Psychologen, die es dann gibt, sind sehr ausgebucht. Teilweise werden Fragen über die frühe Kindheit oder Sexualität gestellt, die ich als grenzüberschreitend empfinde. Eine klassische Frage ist, ob man als Transfrau schon als Kind lieber mit Puppen anstatt mit Autos gespielt hat. Das ist lächerlich. Das klingt nach Klischee-Fragen. Genau, viele transgeschlechtliche Menschen mussten mit Klischees beweisen, dass sie &bdquo;trans genug sind“, um ihren Geschlechtseintrag und Namen ändern lassen zu können. Lesen Sie auch: Geschlecht im Pass ändern: Stadt Paderborn erhält bereits erste Anträge Wie ging es dann weiter? Wenn man diese Gutachten hat, muss man noch weitere Dokumente abgeben. Dazu gehört ein Translebenslauf. Da soll man auflisten, wann man zum ersten Mal mit der eigenen Transsexualität konfrontiert wurde, wie man damit umgegangen ist und was man gemacht hat, um sich besser zu fühlen. Wenn man alles zusammenhat, kann man einen Gerichtstermin machen, was auch mit Kosten und Wartezeit verbunden ist. Bei dem Termin werden dann Name und Geschlechtseintrag geändert. Wie lief der Prozess bei Ihnen ab? Es hat mich zehn Jahre gekostet, mich als Transfrau zu outen. Ich habe mich dann als Erstes bemüht, meine Hormonersatztherapie zu starten. Das war bereits eine große Hürde. Wieso war es eine Hürde? Weil die medizinische Versorgung für transgeschlechtliche Menschen im Kreis Paderborn sehr schlecht ist. Um die Hormonersatztherapie zu starten, brauche ich ein Indikationsschreiben von einem Psychiater. Es gab zu dem Zeitpunkt im Kreis Paderborn keinen Arzt, der das für mich machen wollte. Nach zweijähriger Suche habe ich einen Psychiater in Mülheim an der Ruhr gefunden. Dann musste ich noch einen Arzt finden im Kreis Paderborn, der mich bei der Hormonersatztherapie begleitet. Auch das hat gedauert. Als nächsten Schritt wollten Sie ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern lassen? Ich stand vor der großen Wand des Transsexuellengesetzes. Ich wollte mit meinem Namen unterschreiben und mein Geschlecht im Pass haben. Aber ich hatte nicht das Geld und auch nicht die psychische Kraft, diesen Prozess mit den zwei Gutachten durchzumachen. Also entschied ich mich, das nicht zu machen. Ich habe ein Jahr weiter unter meinem alten Namen gelebt. Das war sehr schmerzhaft für mich. Denn es ist der Name einer Rolle, die ich mein Leben lang spielen musste. Wie haben Sie die Änderung dann doch durchbekommen? Ich bin in meiner Recherche auf ein Schlupfloch gestoßen - Paragraf 45b des Personenstandsgesetzes. Es ist ein Paragraf für intergeschlechtliche Menschen. Ein Arzt hat mir dann die Variante einer Geschlechtsentwicklung attestiert – das kann jeder Arzt machen. In Paderborn war ich chancenlos, also musste ich dafür eine lange Fahrt auf mich nehmen. Damit konnte ich dann zum Standesamt gehen und Namen sowie Geschlechtseintrag ändern lassen. Das kostete mich 20 Euro und ging an einem Tag. Dieses Gesetz ist nicht für transgeschlechtliche Menschen vorgesehen. Aber es gibt Ärzte, die sagen: Transgeschlechtlichkeit ist eine Form der Geschlechtsentwicklung. Am Ende ist es eine Auslegungssache. Lesen Sie auch: Weniger Hürden: Was das neue Gesetz für Transmenschen ändert Psychologische Gutachten, hohe Kosten und lange Wartezeiten: All das soll sich durch das Selbstbestimmungsgesetz ändern. Ärgert Sie, dass sie davon nicht profitieren konnten? Nein, ich freue mich einfach nur für meine Schützlinge in der Paderborner Trans-Selbsthilfegruppe. Dazu gehören 50 Menschen zwischen 14 und 69 Jahren. Ein großer Teil davon hat jetzt schon Anträge bei der Stadt Paderborn gestellt, um Namen und Geschlechtseintrag ändern zu können. Als das Selbstbestimmungsgesetz politisch diskutiert wurde, haben wir uns wöchentlich darüber unterhalten. Wir haben die Verabschiedung dann auch gemeinsam gefeiert. Wie haben Sie die öffentliche Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz empfunden? Mir gefiel nicht, dass es nie um das Selbstbestimmungsgesetz und das Leid vieler transgeschlechtlicher Menschen ging, sondern um das Konstruieren von Sonderfällen. Zum Beispiel: Was ist, wenn Männer das Gesetz ausnutzen und ihren Geschlechtseintrag ändern lassen, um Frauen auf der Toilette auflauern zu können? Was ist, wenn sie ihn ändern lassen, um nicht mehr in den Krieg eingezogen zu werden? Die Debatte drehte sich oft um unrealistische Gefahren eines solchen Gesetzes. Es ging meiner Ansicht nach zu wenig um die Chancen und die Freiheit, die transgeschlechtliche Menschen durch das Gesetz erhalten. Was längst überfällig war. Was wünschen Sie sich für transgeschlechtliche Menschen in Paderborn zukünftig? Ich wünsche mir, dass transgeschlechtliche Menschen weniger diskriminiert werden. Ich habe mittlerweile wieder Angst, auf eine Frauentoilette zu gehen. Das war mal anders. Zudem wünsche ich mir, dass die medizinische Versorgung für transgeschlechtliche Menschen besser wird. Wir brauchen mehr Psychotherapeuten und Psychiater. Wir brauchen dringend mehr Therapieplätze für transgeschlechtliche Menschen. Ich wünsche mir in Paderborn mehr sichere Orte, mehr Anlaufstellen, mehr Offenheit, mehr Dialog. Eine Beratungsstelle wäre auch wichtig. Das gesamte Hilfsnetzwerk für transgeschlechtliche Menschen in Paderborn wird gerade ehrenamtlich gestemmt. Dafür ist der Bedarf zu groß, das ist keine langfristige Lösung.

Meistgelesen