Neuer Erzbischof von Paderborn: „Wir dürfen dem Bösen nicht freien Lauf lassen“

Herr Erzbischof, Tausende Menschen haben die Amtseinführung mit Ihnen gefeiert. Was ist Ihnen am stärksten in Erinnerung geblieben? Udo Markus Bentz: Unglaublich viel Herzlichkeit und Zuwendung. Ich wache tatsächlich noch nachts auf und spule alles im Kopf noch mal ab. Und es war ein fantastisches und wunderbares Geschenk für meine Eltern, dass sie diesen wichtigen Schritt im Leben ihres Sohnes wahrnehmen konnten. Die Reaktionen der Menschen auf diesen Moment, als ich dann auf dem Bischofsstuhl saß, das war einfach toll. Und da habe ich auch gespürt: Das ist nicht nur mein Tag, das ist unser Tag. Zum Erzbistum gehören aber nicht nur das katholisch geprägte Hochstift, sondern auch Diaspora-Regionen wie Bielefeld und Minden. Wie wollen sie diese Landstriche erobern? Erobern will ich nicht. Aber es gehört zu meiner Aufgabe, dass ich weiß, wie verschieden das Bistum ist. Um mit den Menschen hier einen Weg zu gehen und zu gestalten, muss ich ein Gespür für diese Unterschiede haben: In Dortmund ist es anders als in der Diaspora in Herford oder Lippe, und es ist noch mal anders im Hochstift und Sauerland. Das muss ich erleben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, und das geht nur, wenn ich dort bin. Das Erzbistum spielt nicht nur in Paderborn. Am Tag Ihrer Amtseinführung hat auch der Papst Schlagzeilen gemacht. Wie bewerten Sie seine umstrittenen Aussagen zur Ukraine und der &bdquo;weißen Fahne“? Das scheint zunächst schwer zu verstehen. Aber man muss seinen zweiten Satz mithören. Der Papst hat ganz deutlich gesagt: Gespräche zu führen, ist keine Kapitulation. Ich glaube, dass Franziskus gut spürt, dass diese Gewalt, dieser Krieg nicht an Gewaltdynamik abnehmen wird. Da ist er sehr deutlich. Wir dürfen dem Bösen nicht freien Lauf lassen. Wir stehen an einem Punkt, an dem durch die kriegerische Gewalteskalation noch mehr Leid über unschuldige Menschen kommt. Vor diesem Hintergrund muss man seinen Appell einordnen, den Waffen Einhalt zu gebieten und den Mut zum Frieden aufzubringen. Sollte sich die Kirche zu Kriegen und Konflikten, wie beispielsweise aktuell in Israel und Gaza, äußern? Die Kirche ist nicht Tagespolitik, aber Jesu Botschaft hatte immer eine gesellschaftliche Dynamik. Das ist die Kraft des Evangeliums. Und wir müssen unsere Aufgabe wahrnehmen: Was sagt das Evangelium zum Zusammenleben der Menschen und der Völkergemeinschaft? Dazu kommt, wie sich der Heilige Stuhl selbst in seinen internationalen Beziehungen versteht. Hat er nicht enorme Chancen, auch wenn er sie vielleicht nicht immer optimal einsetzt? Für den Vatikan ist es wichtig, wie er für die Konfliktparteien gesprächsfähig sein kann, weshalb er zunächst vorsichtig argumentiert. Dennoch ist Rom das große Ziel klar: ein Ende der Gewalt, ein Ende des Leids, Frieden. Darum gibt es im Laufe eines Konfliktes auch noch mal Erklärungen, Weiterentwicklungen und Veränderungen in den Aussagen des Vatikans. Ein klares Wort gab es zuletzt auch zum Synodalen Weg. Fühlen Sie sich bei Reformen aus Rom manchmal ausgebremst? Ich kann nachvollziehen, dass man das so sehen kann. Gewiss war ich auch enttäuscht. Doch das gehört zu solchen Prozessen dazu. Wenn ich nur mich im Blick habe, um mein Ziel durchzusetzen, dann erlebt man die Prozessdynamik so, als werde ich von anderen gebremst. Wenn ich aber weiß, dass mein Ziel kein isoliertes ist, sondern ein kirchliches gemeinsames Ziel, dann muss ich diese Mühe auf mich nehmen, in verschiedenen Tempi zu gehen. Dafür braucht es anscheinend immer neue Gesprächsschleifen, auch wenn das wiederum wie Verschleppung wirken kann. Zum Reformprozess in der katholischen Kirche gehört auch die Beteiligung von Frauen und Laien. Wie bewerten Sie den bisher beschrittenen Weg? Wir können mehr gestalten, als uns bewusst ist. Bei der Frage der Frauen kann ich aber sehr, sehr gut verstehen, dass ich in mancher Hinsicht nicht einfach mit dem Argument der Geduld kommen kann. Denn viele sagen: Unsere Geduld ist schon extrem strapaziert. Dass wir in Mainz das Generalvikarsamt verändert haben und mit Frau Stephanie Rieth eine Frau an die oberste Spitze der Bistumsleitung gesetzt haben, ist aber ein gutes Beispiel dafür, dass wir solche Schritte gehen. Ein anderes Thema, dem Sie kürzlich selbst Priorität eingeräumt haben, ist die Missbrauchsaufarbeitung. Dabei geht es oft um Studien und Zahlen. Wie schafft man es, die Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren, denen dieses Unrecht angetan worden ist? Diese dunkle Geschichte ist Teil unserer Identität. Die Studien, die derzeit auch in Paderborn erstellt werden, bringen es auf den Punkt. Aber dahinter stecken Hunderte von Betroffenen, die zu Wort gekommen sind. Für sie und ihre Erfahrungen spricht die Betroffenenvertretung. Wenn ich mich mit ihr treffe, wie ich es vorhabe, dann weiß ich, dass sich darin das Leid und die Erfahrung von vielen bündeln. Ich möchte aber auch selbst mit Betroffenen sprechen. Denn es darf nicht sein, dass wir mehr über Betroffene sprechen, anstatt mit ihnen zu sprechen, bevor wir entscheiden – bei allen Schwierigkeiten, die das dann auch für alle Beteiligten bringt. In Ihrer Predigt haben Sie über die &bdquo;dahinstolpernde“ Kirche gesprochen. Die Katholikenzahl im Erzbistum wird sich Prognosen zufolge bis 2060 auf 0,7 Millionen halbieren. Was folgt für Sie aus dieser Entwicklung? Der Gestaltwandel der Kirche wird sich in den nächsten Jahren mit noch größerem Tempo zeigen. Das heißt, dass wir nicht nur zahlenmäßig weniger werden, sondern auch im öffentlichen Diskurs die Meinungsbildung nicht mehr wie bisher leisten können. Um weiterhin gesellschaftlich mitreden, mitgestalten, mitprägen zu können, braucht es dann andere Strukturen. Es geht nicht einfach um Rückbau, sondern um Umbau, damit wir unseren Auftrag erfüllen können. Was macht das mit Ihnen persönlich? Wenn ich in dieser Depression verharre, weil alles weniger, schlechter und schwieriger wird, dann fehlt die Energie, um etwas zu gestalten. Aber ich will mein Leben hier in Paderborn nicht mit Abbau und Trübsalblasen verbringen. Also, dafür bin ich nicht hergekommen. Ich will doch etwas gestalten! Und ich glaube wirklich, dass wir das können. Ich begegne hier vielen, die das ähnlich empfinden. Gleichzeitig ist aber auch die Erwartungshaltung der Menschen und Interessensgruppen ziemlich groß. Wie gehen Sie damit um, wie wollen Sie dem gerecht werden? Natürlich ist das schon ein Druck. Aber mir ist es lieber, dass es Erwartungen gibt als Gleichgültigkeit. Nichts wäre schlimmer, als wenn ich nach Paderborn käme, und den Leuten wäre das egal. Ich muss jetzt sehen, was ich davon erfüllen kann. Manche Dinge werden sich anders als erwartet entwickeln, auch das gehört mit dazu. Man braucht ein Ziel vor Augen, der konkrete Weg dorthin wird sich zeigen.

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