Nach Pisa-Debakel fordert Paderborner Schulleiter mehr Deutschunterricht

Paderborn. Die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie erschrecken zunächst: Im internationalen Vergleich sollen 15-Jährige an beteiligten deutschen Schulen 2022 so schlecht wie nie zuvor in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften abgeschnitten haben. Aber wie ist es in Paderborn? Zum Thema äußern sich jeweils ein Schüler- und Elternvertreter sowie mehrere Leiter verschiedener weiterführender Schulen auf &bdquo;NW“-Anfrage, die nicht am Vergleichstest teilgenommen haben. Eines wird im Austausch mit Siegfried Martini, Leiter der Gesamtschule Paderborn-Elsen mit knapp 1300 Schülerinnen und Schülern, und weiteren Gesprächspartnern deutlich: Noch ist Corona nicht abgehakt, spüren Jugendliche die Nachwirkungen. Und es gebe Defizite, etwa in Deutsch. Die Frage ist jetzt: Wie können Schulen gegensteuern? Und ist die Digitalisierung eine Lösung, wie Elternvertreter sagen? Deutsch als Schlüsselfaktor Martini kennt das Ergebnis der internationalen Studie, hat testweise einige Mathe-Aufgaben selbst ausprobiert. Sein Fazit: &bdquo;Die sprachliche Gestaltung der Aufgaben war nicht der Schülersprache angemessen.“ So hätten vermutlich viele deutsche Schüler die Aufgaben entsprechend nicht lösen können. Aber warum ist Deutsch hierbei wichtig? Martini: &bdquo;Weil klar ist, dass Deutsch das wichtigste Fach ist. Kann ich kein Deutsch, kann ich auch Matheaufgaben nicht lösen“, sagt Martini. Forderung an die Politik Deshalb hat Martini eine Forderung an die Politik: &bdquo;Wir brauchen als Schulleitungen mehr Handlungsspielraum und Rückendeckung gegenüber den Eltern.“ Der Grund: Nach der Corona-Pandemie beispielsweise und dem Fernunterricht brauchen manche Schüler ein Deutsch-Training. Und statt drei bis vier Stunden Deutsch die Woche würde Martini ausnahmsweise sechs Stunden erteilen lassen. &bdquo;Wir haben in den Klassen fünf bis zehn je drei Stunden Geschichte. Vielleicht können wir zum Beispiel zeitweise eine Stunde davon nehmen“, sagt Martini. Und er betont, dass jedes Fach wichtig ist. Aber in der aktuellen Situation müsse man abwägen. Zurück zu Lesen, Schreiben, Rechnen Eine generelle Rückkehr zu &bdquo;Lesen, Schreiben, Rechnen“ fordert Philipp Beil, Leiter der Realschule Schloß Neuhaus mit 864 Schülerinnen und Schülern. Diese Kernkompetenzen sollten im Unterricht vermehrt gelehrt werden. Und auch er verweist auf das Fach Deutsch und darauf, wie wichtig Grundlagen wie Grammatik sind. Beil: &bdquo;Wir müssen mutig werden, Deutsch als System zu vermitteln.“ Aktuell bestehe ein Problem darin, dass der eigentliche Deutschunterricht in den Hintergrund gerate, Themen wie Verkehrserziehung oder Wertevermittlung in den Unterrichtsstoff &bdquo;reingepackt“ würden. Dagegen seien in unteren Klassen beispielsweise &bdquo;Diktate verpönt“, es fehle die unmittelbare Rückmeldung an Schülerinnen und Schüler. &bdquo;Sie haben oft kein Gefühl dafür, ob sie etwas falsch oder richtig machen“, sagt Beil. Was sagen Schüler? Die, die Pisa am meisten betrifft, sind die Schülerinnen und Schüler. Mit Vertretern aus dieser Gruppe ist Lennard Speer (19) im Austausch. Der Schüler des Gymnasiums St. Michael ist Vorsitzender des Stadtjugendrates (SJR). Nach eigenen Angaben vertritt dieses Gremium knapp 11.000 Schülerinnen und Schüler der städtischen Hauptschule, der Realschulen sowie der Gymnasien, Gesamtschulen und Weiterbildungskollegs. Zum Ergebnis der aktuellen Pisa-Studie sagt Speer: &bdquo;Die Probleme verstecken sich im System.“ Mit je zwei Mitgliedern sind 20 Schulen im SJR vertreten. Mit ihnen hat sich Speer ausgetauscht, um zu erfahren, welche Probleme Jugendliche derzeit sehen. Der SJR nennt zahlreiche Punkte. Schon beim Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen beobachtet der SJR beispielsweise &bdquo;Schwächen und fehlende Kompetenzen in Rechtschreibung und Grammatik (Deutsch)“. An weiterführenden Schulen seien aus Sicht des SJR Klassen zu groß, um auf Einzelne Rücksicht nehmen zu können. Zudem brauche ein Teil der Schülerinnen und Schüler eine individuelle Förderung, die sei aber nur mit Nachhilfe möglich. Das zwischenzeitliche Konzept G8 (acht Jahre bis zum Abitur an weiterführenden Schulen) habe außerdem dazu geführt, dass Inhalte stark zusammengefasst worden seien, vieles &bdquo;oberflächlich“ wirke. Weiter vermisst der SJR, dass Jugendliche eine Anleitung zu einem versierten Umgang mit digitalen Medien erhalten, um Informationen einordnen oder hinterfragen zu können. Außerdem falle einigen Jugendlichen aus Sicht des SJR das Kopfrechnen schwer, da sie Taschenrechner nutzen sollen. Inhalte der Mathematik würden nicht &bdquo;ausreichend“ wiederholt. Weitere Stichpunkte seien der Lehrermangel, der Zuzug von Migranten, die Unterstützung brauchen, und eine &bdquo;mangelnde Aufarbeitung der Corona-Zeit“. Digitalisierung Das Thema Digitalisierung beschäftigt die Schulleiterinnen Sabine Wegener (Hauptschule Mastbruch mit Förderzentrum Bonifatius, 522 Schülerinnen und Schüler) und Nicole Michaelis (Gymnasium Theodorianum, 672 Schülerinnen und Schüler). Besonders bezogen auf die Erfahrungen während der Corona-Pandemie. Nach Wegeners Beobachtung habe während des Fernunterrichts eines gefehlt: &bdquo;Dass Jugendliche miteinander und voneinander lernen.“ Und zwar in einem Raum. &bdquo;Das Problem ist auch die Vereinzelung am Handy“, sagt Wegener. Ähnlich sieht es Michaelis: &bdquo;Wenn es um Bildungserwerb geht, spielt auch das Zwischenmenschliche eine Rolle.“ Und dieses fehlende Miteinander sei die &bdquo;größere Herausforderung“ während der Pandemie gewesen. Andererseits findet Michaelis, dass gerade Schulen in Paderborn auf den Distanzunterricht mit Blick auf die Technik &bdquo;gut vorbereitet“ gewesen seien, Stichwort &bdquo;Lernstatt“. Zudem beobachtet Michaelis, dass viele Schülerinnen und Schüler heute andere Kompetenzen aufweisen würden. Dazu gehöre auch, mit vielen Informationen, auch aus dem Internet, umgehen zu müssen. Kritik der Eltern Für die Stadtschulpflegschaft äußert sich Vorstandssprecher Tino Wildenhain. Dieses Gremium sieht in der Digitalisierung &bdquo;das Potenzial“, Schülerinnen und Schüler zu unterstützen, sie werde &bdquo;aber meistens nur als erhöhter Aufwand verstanden“. Wildenhain: &bdquo;Entsprechend geeignete Software und Inhalte sind nach wie vor sehr spärlich. Besonders hat sich das in der Corona-Zeit gezeigt, wo bestenfalls Video-Formate im Stil eines Frontalunterrichts zu finden waren, vielerorts auch nicht mal das.“ Der Grund seien &bdquo;Bedenken und Widerstände“ gewesen. In der Folge habe es Schulen &bdquo;mit 100 Prozent Videounterricht“ gegeben, aber auch andere, an denen &bdquo;nur ein paar Fächer auf diese Weise gegeben wurden“. Dabei könne eine &bdquo;konsequente Digitalunterstützung“ helfen, einen &bdquo;modernen Unterricht“ zu gestalten und Schülerinnen und Schüler zu motivieren. Es dürfe aber nicht dazu kommen, dass &bdquo;Stoff leidenschaftslos heruntergebetet wird und im Grunde nur auswendig gelernt werden kann“, so Wildenhain im Namen der Stadtschulpflegschaft.

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