So wurde Paderborn vor 90 Jahren gleichgeschaltet

Paderborn. Vor 90 Jahren wurde nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 innerhalb weniger Monate die Demokratie beseitigt und die Diktatur im Land installiert. Die Zerschlagung der kommunalen Selbstverwaltung und demokratischen Strukturen, die Unterwerfung der städtischen Körperschaften und der Verwaltung unter die Kontrolle der NSDAP betrafen auch Paderborn. Die &bdquo;NW“ blickt auf die ersten 100 Tage dieser Gleichschaltung in Paderborn – und die Zeit davor. Lange war Paderborn eine Hochburg der katholischen Zentrumspartei. Rechtsextreme Gruppierungen spielten lange Zeit überhaupt keine Rolle. Die ersten Nationalsozialisten gingen wie fast überall in Deutschland aus einer deutsch-völkischen Gruppe hervor. Hitlers NSDAP gelang erst im Oktober 1929 die Gründung einer Ortsgruppe: Dazu versammelten sich 15 Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren im Lokal Bobbert in der Grube. Erster Ortsgruppenleiter war der Tischler Willi Keimeier. Zuerst gehörten die Paderborner zur Ortsgruppe Brilon, ab März 1930 waren sie selbstständig. Zu dieser Zeit hatte Paderborn rund 35.000 Einwohner. Auch in der ostwestfälischen Provinz waren die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise deutlich spürbar. Es gab Massenentlassungen in der Zementindustrie und vor allem bei der Reichsbahn. Die politische Dominanz des Zentrums war jedoch keineswegs gefährdet, im Gegenteil. Blutige Zusammenstöße von Nazis und Linken In einem späteren Rückblick auf diese Zeit schrieb der stellvertretende Gauleiter Peter Stangier: &bdquo;Wenige Gegenden in Deutschland haben den zweifelhaften Ruhm, sich so heftig gegen das Vordrängen der Bewegung gewehrt zu haben, wie das Paderborner Land.“ Mehrfach kam es zu blutigen Zusammenstößen von Nationalsozialisten mit Kommunisten und Sozialdemokraten. So wurde am Vorabend der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 in Neuhaus der KPD-Mann Josef Brüseke von dem Neuhäuser SA-Führer Ferdinand Linden hinterrücks erschossen. Bei den Reichswahlen vom 14. September 1930 kam die NSDAP in Paderborn auf gerade mal 5,1 Prozent, reichsweit waren es 18,3 Prozent. Dem gegenüber erhielt das Zentrum in Paderborn 62,5 Prozent der Stimmen (reichsweit 14,8 Prozent). Die Nationalsozialisten zielten in der Folgezeit auf eine Mobilisierung der Paderborner Bevölkerung. Unter anderem durch bekannte Redner – wie dem Kaisersohn Prinz August-Wilhelm von Hohenzollern. Bei den Kundgebungen wurde besonders das vermeintlich Christliche in der NS-Ideologie hervorgehoben. Auf Initiative von Paderborner Nationalsozialisten erschien im März 1932 die erste Ausgabe des &bdquo;Filter“. Ziel des eher armseligen lokalen NS-Blättchens war die Diffamierung der politischen Gegner in Verbindung mit einer rüden antisemitischen Sprache. Am 12. Januar 1933 sprach Hitler auf einer Wahlkampfveranstaltung im lippischen Schlangen vor gut 2.000 Zuhörenden, darunter auch viele aus dem Paderborner Land. Lokale Machtverhältnisse verschieben sich Die sogenannte Machtergreifung am 30. Januar 1933, die ja in Wirklichkeit keine Machtergreifung war, sondern eine Machtübergabe der nationalkonservativen Eliten, wurde in der Paderborner Presse kaum als solche wahrgenommen. Sie führte aber auch in der ostwestfälischen Provinz mit unglaublicher Geschwindigkeit und Dynamik zur Verschiebung der lokalen Machtverhältnisse. In der für den 5. März anberaumten Neuwahl des Reichstags konnte das Zentrum mit 61,2 Prozent seine Dominanz in der Paderstadt behaupten, die Regierungsparteien NSDAP (21,8 Prozent) und Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (5,6 Prozent) verfehlten die angestrebte Mehrheit in Paderborn deutlich. Jedoch war die Kommunalwahl am 12. März von einem weiteren Rechtsrutsch gekennzeichnet. Trotzdem erzielte das Zentrum mit seinem Spitzenkandidaten, dem Rechtsanwalt und Notar Karl Auffenberg, 50,4 Prozent und 19 Mandate. Die NSDAP kam auf 23,4 Prozent und neun Mandate. Sie bildete mit der Bürgerlichen Vereinigung und der Nationalen Bürgerliste eine Nationale Arbeitsgemeinschaft und zog mit insgesamt 13 Abgeordneten ins Stadtverordnetenkollegium ein. Da man auch nach Ausschaltung der drei SPD-Vertreter im Stadtrat über keine Mehrheit verfügte, wurde mit fadenscheinigen Argumenten die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses angefochten. Der starke Mann der NSDAP-Fraktion, Zollobersekretär Karl Seidler, beantragte die Selbstauflösung des Rates und forderte Neuwahlen. Das Zentrum beugte sich nach anfänglichem Widerstand dem politischen Druck. Auf Anordnung des Regierungspräsidenten wurde der Stadtrat am 30. August 1933 auf 20 Abgeordnete verkleinert und entsprechend dem angeblichen &bdquo;Volkswillen“, das heißt im Sinne der NSDAP, umgebildet. Ein großer Fackelzug mit 20.000 Beteiligten Auch die Verwaltung wurde zielstrebig &bdquo;gesäubert“ und die Schlüsselpositionen auf allen Ebenen nach und nach mit Nationalsozialisten besetzt. Obwohl Oberbürgermeister Philipp Haerten mehrfach öffentlich seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundet hatte, wurde er am 7. Juli 1933 seines Amtes enthoben und im November zwangspensioniert. Haerten hatte sich wie auch andere führende Zentrumspolitiker von der nationalen Aufbruchsstimmung anstecken lassen. Bei dieser Selbsttäuschung spielte der &bdquo;Tag von Potsdam“ am 21. März als symbolische Verbindung des &bdquo;alten“ mit dem &bdquo;neuen“ Deutschland sicher eine wichtige Rolle: Man empfand Hitlers Händedruck mit Reichspräsident Hindenburg als Zeichen der Versöhnung und Vereinigung des konservativen und bürgerlichen Deutschlands mit dem Nationalsozialismus. Bereits einen Monat später am 20. April wurden Hindenburg und Hitler anlässlich seines 44. Geburtstags zu Ehrenbürgern der Stadt Paderborn ernannt. Am 22. April folgte ein großer Fackelzug durch die Stadt mit 20.000 Beteiligten – davon mindestens 10.000 im Zug. Alle Organisationen, Verbände und Vereine waren vertreten. Damit war die Symbolpolitik des neuen Regimes keineswegs beendet: Wenig später wurde nämlich der Turnplatz in Adolf-Hitler-Platz umbenannt. Das Zentrum löst sich kurz darauf auf Der &bdquo;Tag der Arbeit“ gab die Gelegenheit, auf dem Schützenplatz eine Hindenburg- und eine Hitlereiche einzuweihen. &bdquo;Am 1. Mai“, so heißt es in der Stadtchronik, &bdquo;mußten alle Bewohner der Stadt, die durch Hand- oder Kopfarbeit ihr Brot verdienen, an einem Festzug gewaltigen Ausmaßes teilnehmen.“ Die politischen Gegner wurden seitens der NSDAP ab Frühjahr 1933 zielstrebig ausgeschaltet. Nach der KPD ging es den Sozialdemokraten und freien Gewerkschaften an den Kragen, die am 2. Mai 1933 zerschlagen und gleichgeschaltet wurden. Die beiden Paderborner Gewerkschaftsführer und Stadtverordneten Heinrich Lücking und Georg Gruber – beides Eisenbahner – wurden in Schutzhaft genommen. Lücking verzichtete unter dem Druck der Verhältnisse &bdquo;freiwillig“ auf sein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung. Ende Juni wurden die christlichen Gewerkschaften und Arbeitervereine beseitigt, ihr Vermögen wurde eingezogen und ihre Mitglieder in die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation zwangseingegliedert. Als letzte demokratische Partei warf das Zentrum das Handtuch: Am 7. Juli gab der Parteivorsitzende für das östliche Westfalen Karl Auffenberg die Selbstauflösung bekannt. Machtübernahme zeigt die Resignation vieler Demokraten Damit waren nicht einmal ein halbes Jahr nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten alle politischen Organisationen, die sich ihrem Totalitätsanspruch zu widersetzen drohten, liquidiert worden. Durch Terror und halblegale Methoden hatten die neuen Machthaber den Rechtsstaat abgeschafft. Juden und politische Gegner waren Terror und Willkür ausgeliefert. Dass diese Machtübernahme so reibungslos funktionierte, zeigt, wie resigniert mittlerweile viele Demokraten waren. Die republikanische Verfassungsordnung blieb zwar formal erhalten, tatsächlich war an ihre Stelle eine auf Volk und Rasse begründete Führerdiktatur entstanden, die sich der Zustimmung einer großen Mehrheit der Deutschen sicher sein konnte.

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