Monatelanges Warten auf Hilfe: Wie ist die Versorgung mit Therapieplätzen im Hochstift?

Kreis Paderborn/ Kreis Höxter. Mit einem gebrochenen Bein oder einer klaffenden Wunde in die Notaufnahme fahren und hören: Wir setzen Sie auf die Warteliste, die Behandlung wird in zwei Jahren erfolgen. Was bei körperlichen Beschwerden völlig unrealistisch erscheint, ist bei seelischen Schmerzen ein normales Szenario – auch in den Kreisen Paderborn und Höxter. Eine schlechte Versorgungslage? Nicht laut der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen Lippe (KVWL). Demnach sei das Hochstift überversorgt. Marieke Potente ist Psychologische Psychotherapeutin in Höxter. Bei ihr liegt die Wartezeit auf einen Therapieplatz bei 24 Monaten, Tendenz steigend. &bdquo;Da so lange Wartezeiten irrsinnig sind, kann es passieren, dass ich zwischenzeitlich so lange niemanden mehr aufnehme, bis die Wartezeit wieder bei maximal sechs Monaten liegt.“ Beim letzten Mal habe das ungefähr ein Jahr gedauert. Ein Umstand, der für Menschen mit psychischen Problemen unhaltbar ist. Ein Fünftel wartet bis zu 12 Monate auf Therapieplatz Das weiß auch die Paderbornerin Julie Pollington. Die 45-Jährige hat für ihre Masterarbeit mit rund 100 Depressionserkrankten über die Versorgungslage gesprochen. Rund 20 Prozent gaben an, sieben bis 12 Monate auf einen Therapieplatz gewartet zu haben. Neun der Befragten gaben zwischenzeitlich die Suche auf. &bdquo;Das ist einfach zu deprimierend. Die, die eine Depression haben, rufen in zwei oder drei Praxen an und dann war es das vielleicht“, sagt auch Angelika Enzian, die eine Praxis für Psychotherapie in Paderborn hat. &bdquo;Ich bin der Meinung: Wer schnell hilft, hilft besser.“ Das Problem mit den Kassensitzen Im Zuge der Einführung des Psychotherapeutengesetzes 1999 wurde eine Bedarfsplanung gemacht, wie viele Kassensitze anhand der damaligen Nachfrage benötigt wurden. Seitdem gab es immer mal wieder Reformen, bei denen Berechnungsgrundlagen geändert wurden und auch neue Kassensitze hinzukamen. &bdquo;Zu wenig“, sagt Angelika Enzian. Im Kreis Paderborn gibt es aktuell etwa 60 Vollzeit-Kassensitze, im Kreis Höxter sind es gut 25. Das entspricht laut KVWL in beiden Kreisen einer Versorgungsquote von 113,8 Prozent. Ab 110 Prozent gilt ein Bereich als überversorgt und wird für Neuzulassungen gesperrt. Weil es relativ viele Psychologische Psychotherapeuten gibt, dürften sich zurzeit wegen einer Quotenregelung als Ausgleich lediglich noch sieben Ärztliche Psychotherapeuten niederlassen, also Therapeuten mit Rezeptblock, die Medizin und nicht Psychologie studiert haben. Am Nachwuchs liegt es nicht Angelika Enzian meint: Am Nachwuchs liegt es nicht. Der sei da. Es gäbe nur einfach zu wenig Kassensitze. Hinzukommt, dass nicht immer alle Kassensitze voll ausgereizt werden. Eine Lösung dafür könnte Jobsharing sein. Auch Enzian teilt sich ihren Sitz mit einer jungen Kollegin. Laut Landeszentrum für Gesundheit NRW steigt die Nachfrage nach Therapieplätzen seit Jahren. Das zeigen auch die Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe. Lesen Sie alle Artikel des Themenschwerpunktes "Wir haben Depressionen" hier In den vergangenen zehn Jahren nahmen demnach stetig mehr Menschen wegen einer Depression ambulante Behandlungsmöglichkeiten in Anspruch. Auch in den Kreisen Paderborn und Höxter. Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungslage Die Möglichkeiten, sich Hilfe zu suchen, sind vielfältig. Eine Option ist die Telefon-Hotline unter 116 117, über die die KVWL auch anbietet, Erstgespräche bei Psychotherapeuten zu organisieren. Im Hochstift waren das 2022 gut 1.550. Im besten Fall ergeben sich dadurch Anschlusstherapien. Dass nicht zwei Jahre bis zu einer Behandlung gewartet werden kann, ist allen Beteiligten bewusst. Deshalb gab es neben Bedarfsplan-Reformen auch verschiedene andere Ansätze, um die Versorgungslage zu verbessern. Dazu zählt auch die Richtlinienreform von 2017. Sprechstunde schafft niedrigschwelligen Zugang zur Psychotherapie Seitdem müssen alle Psychotherapeuten mit Kassensitz eine Sprechstunde anbieten. Das hat die Lage zumindest etwas entspannt, denn es sorgt für eine Art Beruhigung (&bdquo;talking down“) der akuten Beschwerden. Erkrankte werden in ihrer Not aufgefangen und ein weiteres Vorgehen kann besprochen werden. Laut dem &bdquo;Report Psychotherapie 2021“ der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung kamen Betroffene seit der Reform schneller und häufiger in Erstgespräche. Die Wartezeit auf eine Therapie hat sich allerdings um über vier Wochen auf bis zu 19 Wochen verlängert. Das heißt: Diese Sprechstunde schafft einen niedrigschwelligen Zugang zur Psychotherapie, aber keine neuen Behandlungskapazitäten. Wunsch von an Depressionen Erkrankten Denn wenn man nur noch Erstgespräche macht, könne man die Patienten, die in Behandlung sind, nicht ordentlich versorgen, so Angelika Enzian. &bdquo;Es braucht mehr Therapeuten“, ist ihre Devise. Das ist auch eine Rückmeldung, die Julie Pollington bekam. Viele ihrer Befragten wünschten sich auch eine Art Fall-Betreuer. Das würde vor allem denen helfen, die keine familiäre Unterstützung haben. Da knüpft auch Enzian an, um dafür zu sorgen, gar nicht erst in seelische Nöte zu kommen: Eine Depression könne auch eine Folge fehlender Selbstfürsorge sein, indem man nicht auf Erschöpfungszeichen des Körpers achtet. Außerdem rät sie: &bdquo;Achten Sie auf Ihre Lieben. Hören Sie mal, wie es denen geht.“

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