"Dann haben wir kein Trinkwasser mehr, da müssen wir sehr gut aufpassen"

Paderborn. Etwa 185.000 Menschen in der Stadt und den umliegenden Kommunen werden von den Wasserwerken versorgt. In den letzten Jahren ist ihr Bedarf an frischem Trinkwasser gestiegen. Doch die Ressource ist begrenzt, sagen Michael Bernemann und Andreas Benstein. Bernemann ist seit 2002 Technischer Leiter und Prokurist bei den im selben Jahr gegründeten Wasserwerken Paderborn. Zuvor war er seit 1989 für die Stadtwerke tätig. Benstein ist Wassermeister und gehört den Wasserwerken beziehungsweise Stadtwerken seit 1991 an. Die beiden erklären die Trinkwasser-Situation in der Stadt und verraten, welches Unternehmen mit seinem Wegzug für deutliche Entlastung gesorgt hat. Mit einem dramatischen Appell hat sich die Stadt Delbrück zuletzt an die Öffentlichkeit gewandt. Wegen Wasserknappheit sollen die Delbrücker jetzt schon ihre Gartenpools füllen. Raten Sie den Paderbornern auch dazu? Michael Bernemann: Wie in Delbrück sollten die Pools zu Zeiten gefüllt werden, wenn es keine Hochbelastungsspitzen im Trinkwasser gibt, also im Frühjahr. Das wäre schon wichtig und wünschenswert. In der Vergangenheit drohte die Stadt Delbrück bereits mit einem Bewässerungsverbot. Könnte so etwas auch in Paderborn passieren? Bernemann: Auszuschließen ist es nicht in Zukunft, aber im Augenblick würde ich sagen Nein. Die Städte haben unterschiedliche Wasserversorgungssysteme. Wir haben aufgrund der geologischen Lage Höhenzonen mit Trinkwasserspeichern, wo dann zu Hauptbelastungszeiten einerseits aus dem Wasserwerk gefördert wird und andererseits das Wasser aus den Speicheranlagen, die nachts befüllt worden sind, zurückläuft. Letztere haben die Kollegen in Delbrück nicht. Andreas Benstein: Eine ganz wichtige Voraussetzung ist auch, dass wir dauerhaft genügend Niederschläge haben. Wenn wir feststellen, dass es immer weniger regnet, dann machen wir uns schon Gedanken: Was kommt da auf uns zu? Wie sieht die aktuelle Situation aufgrund der Niederschläge der vergangenen Wochen und Monate aus? Benstein: Im Winter ist in der Paderborner Hochfläche genügend Regen gefallen, damit sich der entsprechende Grundwasserkörper füllen kann. Wir sehen positiv in den Sommer und werden da keine Probleme bekommen. Bernemann: Wir haben den Vorteil, dass wir das Karstgrundwasser nutzen. Wenn der Niederschlag dort fällt, geht er sehr schnell durch diese Bodenschichten durch und ist unten im Grundwasser drin. Wir haben daher hydrogeologisch Top-Voraussetzungen hier, Delbrück und Salzkotten haben das nicht. Wir liegen für die Trinkwasser-Versorgung in Paderborn in einer Zone, die nur mit wenigen Regionen in Norddeutschland zu vergleichen ist. Gibt es denn trotz dieser guten Lage mögliche Gefahren für die Trinkwasserversorgung in Paderborn? Bernemann: Wir haben eine Süßwasserlinse bei uns, die wir nutzen und die in Schloß Neuhaus an einen salzhaltigen Grundwasserkörper grenzt. Wenn wir aus diesem Süßwasserkörper zu viel entnehmen und der Spiegel absinkt, dann wandert dieses Wasser rückwärts und es kann eventuell salziges Wasser mit reingezogen werden. Dann haben wir kein Trinkwasser mehr, da müssen wir sehr gut aufpassen. Wir sollten mit dem Schatz, den wir da unten haben, sinnvoll und sparsam umgehen. Wir dürfen dieses System nicht überbeanspruchen. Wie viel der Trinkwasser-Ressource wird in Paderborn denn bereits genutzt? Bernemann: Wir dürfen laut Wasserrecht elf Millionen Kubikmeter Wasser entnehmen, tatsächlich waren es im letzten Jahr etwa zehn Millionen Kubikmeter. Zusammen mit anderen Wasserversorgern der Umgebung, die auf weitere etwa fünf Millionen Kubikmeter kommen, beanspruchen wir insgesamt sicherlich 50 Prozent von dieser Süßwasserlinse. Das heißt aber nicht, dass wir noch 50 Prozent Reserve haben. Wenn zwischen zwei Drittel und drei Viertel genutzt wird, dann wird es schon kompliziert. Wie nah kommt Paderborn an die derzeit erlaubte Spitzenauslastung? Bernemann: Wir haben laut Wasserrecht nicht nur eine Jahres-, sondern auch eine Tages- und Stundenbegrenzung. Für einen Tag liegt sie bei 50.000 Kubikmeter, letztes Jahr hatten wir bis zu 43.000 Kubikmeter täglich. Die höchste Zahl jemals. Benstein: Vor zehn Jahren lagen wir noch bei 36.000 Kubikmetern. Bernemann: Da kann man sehen, dass wir nur noch 7.000 Kubikmeter freie Spitze haben. Das wird enger. Wie kam es zu diesen Spitzenwerten im vergangenen Jahr? Benstein: Es gab im Sommer Zeiten, in denen ganz viele Leute wegen Corona zuhause geblieben und nicht in den Urlaub gefahren sind. Sie haben dann Pools befüllt oder den Rasen bewässert. Von welchem Wasserverbrauch gehen Sie in diesem Jahr aus? Benstein: Wenn sich die Trockenheit, die es im März gab, jetzt und in den kommenden Monaten fortgesetzt hätte, dann hätten wir auch wieder unsere Spitzen von 43.000 Kubikmeter reißen können. Im Moment gehen wir davon aus, dass dieser Rekordwert nicht geknackt wird. Die Paderborner Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren gewachsen, welche Auswirkungen hat das auf die Trinkwasserversorgung? Benstein: Springbach Höfe hat zum Beispiel von der Einwohnerzahl in etwa die Größe der Ortschaft Dahl. Das heißt, da kommen auf einmal ganz viele Leute, die Wasser zapfen. Im Moment beobachten wir aber Verlagerungsprozesse, wenn anderswo Häuser abgerissen werden. Aber ja, Tendenz ist, dass Paderborn, auch wegen der Studenten, eine Stadt mit Wachstumspotenzial ist. Das müssen wir entsprechend vorbereiten. Welche Bedeutung haben Großkunden für die Paderborner Wasserwerke? Bernemann: Wir haben in Paderborn große Wasserabnehmer in der Industrie, der größte ist Stute. Deren Abnahme ist etwas weniger geworden, weil sie ihr Betriebswasser mehrfach nutzen. Ein größerer Kunde war auch Westfleisch. Die hatten zwischen 150.000 und 200.000 Kubikmeter Wasser im Jahr an Abnahme. Zum Vergleich: Ein Kunde in einem normalen Privathaushalt verbraucht im Schnitt 50 Kubikmeter im Jahr, Westfleisch hatte also den Verbrauch von bestimmt 3.000 Privatpersonen oder mehr, das ist eine kleine Ortschaft. Da, wo Westfleisch früher war, kommt nun ein Aldi-Lager hin, die brauchen quasi nur noch Wasser für die Toiletten und die Kaffeemaschine. Wir müssen zwar die Feuerlöschsicherheit gewährleisten, aber richtig Wasserabnahme hängt da nicht mehr dran. Benstein: Dass Westfleisch nun nicht mehr da ist, ist für uns daher auch eine Entlastung. Seit 2019 läuft die Kampagne "Deine Wasserpartner vor Ort". Dabei wollen die Wasserversorger im Kreis Paderborn auf eine nachhaltige Nutzung des Trinkwassers aufmerksam machen. Merken Sie – auch durch diese Kampagne – eine Bewusstseinsänderung bei den Menschen? Bernemann: Es ist ein längerer Prozess, das in den Köpfen der Leute zu verankern. Wir gehen auch in die Schulen herein, um den Kindern das schon klarzumachen. Es ist immer gut, wenn ein Kind zu seinen Eltern sagt: So geht das aber nicht, Papa und Mama. Das ist der bessere Effekt, als wenn wir oberlehrerhaft als Wasserversorger ankommen. Das muss eigene Überzeugung sein. Benstein: Im Delbrück ist zum Beispiel in der Vergangenheit in der Presse aktiv zum Wassersparen aufgerufen worden. Das funktioniert für drei Tage, dann drehen die Leute den Wasserhahn wieder auf. Bernemann: Wir können die Situation erst dann einschätzen, wenn wir es nicht mehr so schön haben. Benstein: Die beste Sensibilisierung für die Bevölkerung wäre eigentlich, einfach mal für einen Tag kein Wasser mehr zu fördern. Welche Tipps haben Sie, um Trinkwasser zu sparen? Benstein: Als Erstes natürlich Duschen statt Baden und Spartasten an den Toiletten. Bernemann: Fürs Gartengießen kann man sicherlich auch eine Regentonne nutzen, wenn man möchte. Apropos Gießen: Das ist natürlich okay. Aber wir müssen weg vom Rasensprengen und stattdessen sagen: Wenn der Rasen braun ist, ist er halt braun. Dann müssen wir sehen, dass wir Rasenmischungen bekommen, die Trockenheit mehr abkönnen. Und auch Pflanzen kriegen, die möglichst wenig Wasser gebrauchen. Benstein: Denn wir können keine flächendeckende Bewässerung garantieren. Dafür reichen unsere Systeme nicht aus. Wie wird Ihre Kampagne weitergehen? Bernemann: Wir suchen uns jetzt Wasserpartnerschaften, eine wird sehr wahrscheinlich mit dem SC Paderborn sein. Der Verein wird selber etwas machen und als Multiplikator über Werbeanzeigen dienen. Bis die Leute sagen "Deine Wasserpartner, die kenne ich", wird es noch lange dauern. Wir sind auch schon präsent gewesen, aber mit begrenztem Budget. Wir müssen einen langen Atem haben, das ist keine Kampagne, die man nur für ein, zwei Jahre macht. Benstein: Die Kampagne wird bestimmt in extrem trockenen Jahren intensiviert. Wie blicken Sie in die etwas fernere Zukunft, was die Trinkwasserversorgung betrifft? Benstein: Solange der Golfstrom funktioniert, haben wir kein Problem. Bernemann: Das ist die Grundvoraussetzung. Die Prognosen sehen gar nicht so schlecht aus und sagen, dass wir auch in den Wintermonaten genügend Niederschlag bekommen, was für uns als Wasserwerkler wichtig ist. In der Zeit wird Grundwasser nachgebildet und es verdunstet weniger, im Sommer saugt die Vegetation alles weg. Aber ob die Prognosen tatsächlich so eintreten werden, weiß man nicht. Benstein: Denn eine Klima-Situation wie jetzt durch den Eingriff des Menschen hat es so zuvor noch nicht gegeben. Das hat Auswirkungen, keiner weiß, wie schnell das mit dem Klimawandel vonstattengehen wird.

Meistgelesen