Paderborn

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Ein Azubi klagt: "Ich habe wegen Corona Lücken in meiner Ausbildung"

Nicht nur die zahlreichen Veranstaltungsabsagen belasten das Geschäft von Sound Linear. Auch die Ausbildung leidet unter Corona: Ohne Konzerte und Tourneen fehlt ein wichtiger Praxisteil.

Praktikant Julian Steffens (v. l.), Mitarbeiter Oliver Thiele, Ausbilderin Sarah Fuhr, Geschäftsführer Kalle Hogrefe und Azubi Alex Kolle stehen im selbst aufgebauten Bühnenbereich. | © Mareike Gröneweg

Mareike Gröneweg
02.02.2021 | 02.02.2021, 11:30

Paderborn. Eigentlich sollte das Team der Paderborner Firma Sound Linear im vergangenen Jahr mit vielen Künstlern auf Tour gehen und dort für den richtigen Ton sorgen. Doch dann kam die Corona-Pandemie. Seitdem baut die Paderborner Firma andere Standbeine aus. Und bei 80-prozentigen Umsatzeinbußen mussten auch die finanziellen Reserven herhalten: "Die sind jetzt vollständig aufgebraucht", sagt Geschäftsführer Kalle Hogrefe.

Mitarbeiterin und Ausbilderin Sarah Fuhr erinnert sich noch gut an die stabile Auftragslage Anfang März 2020: "Unser letzter Job vorm ersten Lockdown war eine Queen-Covershow. Ich weiß noch, wie wir uns dort schmunzelnd den Fuß zur Begrüßung hingehalten haben, anstatt die Hand zu schütteln." Doch dann wurde die Tournee von Annett Louisan abgesagt - drei Tage bevor es losgehen sollte. "Im März klingelte das Telefon andauernd. Es hagelte Absagen", so Fuhr. Der volle Kalender wurde ganz plötzlich leer.

Durch einige kleinere Veranstaltungen im Sommer und Aufträge im Case-Bau und in der Installationstechnik ging es für Sound Linear weiter. "Wir rutschen so durch", resümiert Hogrefe. Auch die staatlichen Überbrückungshilfen seien dafür verantwortlich. "Bei unserer Betriebsgröße funktioniert es damit ganz gut", so Hogrefe.

Zeitdruck könne man nicht simulieren

Doch nicht nur die zahlreichen Veranstaltungsabsagen belasten das Geschäft von Sound Linear. Denn auch die Ausbildung der zwei Azubis leide unter Corona: Ohne Konzerte und Tourneen fehlt auch ein wichtiger Teil der praktischen Ausbildung einer Fachkraft für Veranstaltungstechnik. "Das ist kein Beruf, den man nur theoretisch lernen kann", so Kalle Hogrefe. Zeitdruck könne man nicht simulieren. Zentral sei das Sammeln von praktischer Erfahrung, vor Ort und mit den Künstlern.

Alex Kolle ist im August 2018 bei Sound Linear in die Ausbildung gestartet. Zuvor studierte der 21-Jährige Tontechnik. "Ich habe wegen der Corona-Pandemie Lücken in meiner Ausbildung", berichtet er.

Azubi Alex Kolle übt an den Mischpulten im Eingangsbereich von Sound Linear. - © Mareike Gröneweg
Azubi Alex Kolle übt an den Mischpulten im Eingangsbereich von Sound Linear. | © Mareike Gröneweg

Dem versucht das Unternehmen entgegenzuwirken: Fünf Mischpulte von verschiedenen Herstellern im Wert von 300.000 Euro stehen im Eingangsbereich der Firma. Hier sollen die zwei Auszubildenden und der Praktikant die Chance erhalten, trotz ausfallender Veranstaltungen zu üben. Der Aufbau ist möglichst komplex gewählt, "so etwas würde in der Realität gar nicht vorkommen", weiß Mitarbeiter Oliver Thiele. Über angeschlossene Laptops sollen die Azubis hier üben, Signale auf den verschiedenen Pulten auszugeben.

Technisches Equipment im Nebenraum

Auch im Nebenraum wurde technisches Equipment aufgestellt: Mit Boxen und Mikrofon werden simple Bühnenaufbauten nachgestellt. Doch eine Frage bleibt: Was ist mit den Ausbildungsprüfungen? Zwar erhalten die Azubis laut Fuhr von der IHK die Möglichkeit, Projektarbeiten virtuell aufzubauen, doch es fehle einfach etwas Zentrales: Die Veranstaltung. Der zweite Auszubildende des Betriebs, Philipp Bock, hatte die Möglichkeit, seine Projektarbeit beim Paderborner Drums’n’Persussion-Festival abzulegen.

Für dieses Jahr hofft das Team von Sound Linear wieder auf kleinere Aufträge, wie beispielsweise den Kultursommer.

Jürgen Behlke, IHK-Geschäftsführer und Leiter der Zweigstelle Paderborn und Höxter, weiß ebenfalls um die Probleme bei den praktischen Ausbildungsanteilen. Für die einzelnen Betriebe habe die IHK keine Vorgaben gemacht, die Optionen würden je nach Branche und Betrieb variieren. 138 verschiedene Ausbildungsberufe werden laut Behlke im Kreis Paderborn angeboten. Bislang würden die Firmen teilweise kreative Lösungen finden, um trotz Lockdown praktisch auszubilden. "Aber es ist momentan eine nicht sehr glückliche Situation", fast Behlke zusammen. Dennoch gebe es derzeit keine Überlegungen, das Ausbildungsjahr zu verlängern und Abschlussprüfungen zu verschieben. "Das müsste auch bundeseinheitlich entschieden werden." Die IHK verzeichne im Kreis Paderborn 1.153 neu eingetragene Ausbildungsverträge, Stand 31. Dezember. Das bedeute einen Rückgang von 15,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

1.530 Azubiverträge der Kreishandwerkerschaft

Die Kreishandwerkerschaft Paderborn-Lippe sagt auf NW-Anfrage, dass die Ausbildung in den Handwerksbetrieben zwar unter strengen Hygienevorschriften, aber sonst ohne Einschränkungen fortgeführt werde. Geschäftsführerin Andrea Hegerbekermeier begründet das damit, dass die meisten Betriebe trotz der Pandemie weiter arbeiten können. "Für Azubis gilt, dass solange in irgendeiner Art und Weise gearbeitet werden kann, diese auch erscheinen müssen. Andersherum ist der Ausbildungsbetrieb rein rechtlich auch dazu verpflichtet, alle Mittel auszuschöpfen, um die Ausbildung weiter zu gewährleisten", so Hegerbekermeier. Das gelte auch für geschlossene Ausbildungsbetriebe oder dann, wenn der Handelsanteil des Ausbildungsbetriebes zwar geschlossen sei, in der Werkstatt aber regulär gearbeitet werde.

Derzeit verzeichnet die Kreishandwerkerschaft im Kreis Paderborn laut Ulrike Rhode, Leiterin Service Centrum Handwerk, circa 1.530 aktive Ausbildungsverträge. In den vergangenen Wochen seien die innungseigenen Prüfungsabnahmen unter besonderen Bedingungen und mit erhöhtem Einsatz aller Beteiligten erfolgreich durchgeführt worden. "300 Prüflinge dürfen sich über die erfolgreich abgelegte Gesellenprüfung freuen", so Rohde.