Die Lippe kann in Paderborn-Sande wieder schlängeln und schwemmen

Paderborn-Sande. Günter Bockwinkel sieht schon den Eisvogel und die Uferschwalbe vor seinem inneren Auge - obwohl er gerade nur auf Bagger schaut, die gewaltige Mengen an Erdreich umgestalten. Der Biologe und Planer ist sich ganz sicher, dass diese Vogelarten zurückkommen, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Wenn die Lippe bei Sande nach ihrer Renaturierung wieder schlängeln und Auenbereiche überschwemmen kann, so wie sie es durch zunehmende Begradigung und Uferbestigung mit Steinen ganz lange nicht konnte. Wer seit einigen Wochen die B64 bei Sande entlang fährt, sieht südlich der Straße Großgerät im Dauereinsatz. Auf einer Fläche von insgesamt 14 Hektar unterhalb des Lippesees wird die Landschaft komplett verändert. Eine menschgemachte Maßnahme, die der Natur, der Lippe, vom Menschen geraubten Raum zurück gibt. Die Länge des alten Flussverlaufs verdoppelt sich dadurch in Fließrichtung rechtsseitig von 650 auf 1.300 Meter. "Das ist schon eine große Renaturierungsmaßnahme. Nicht nur von der Ausdehnung, sondern auch in der Wirkung", sagt Bockwinkel vom Planungsbüro NZO aus Bielefeld, das die Renaturierung im Auftrag der Bezirksregierung Detmold koordiniert. Eingriffe haben Lippe geschadet Die Arbeiten werden voraussichtlich bis Februar 2021 dauern und kosten etwa 1,8 Millionen Euro. Insgesamt 78.000 Kubikmeter Boden werden verschoben beziehungsweise abgetragen. Knapp 8.000 Lkw-Ladungen, um sich das vor Augen zu führen. Ein Großteil des Erdreichs landet am nahen Heddinghauser See, einem Baggersee, wo ein Uferbereich angeschüttet wird. Die Begradigung der Lippe habe 1890 begonnen, sagt Bockwinkel, weiter gegangen sei es in den 1930er Jahren und nach dem Hochwasser von 1965, der sogenannten Heinrichsflut. Im Laufe dieser 130 Jahre wurde die Lippe zunehmend eingeengt und hat sich immer weiter in den Boden eingefressen, sagt Bockwinkel. Durch diese Tiefenerosion habe die Aue zunehmend höher gelegen und sei, ursprünglich feucht, immer stärker ausgetrocknet. Arten, die es lange nicht gab "Wir versuchen nun, das Gegenteil zu machen und legen die Lippe etwas höher um 1 bis 1,10 Meter." Um die gleiche Höhe wie die Flusssohle angehoben wird, wird wiederum die sogenannte Sekundäraue eingeschnitten, damit sich beide Bereiche wieder annähern. Die künftigen typischen Auenlebensräume haben im Schnitt eine Breite von 90 Metern, in der Spitze sind es bis zu 130 Meter. Indem die neue Aue etwas in das Gelände eingesenkt wird, wird eine naturnahe Verbindung von Fluss und Aue mit häufigen und regelmäßigen Überflutungen erreicht. "Der Hochwasserschutz bleibt in vollem Umfang gewährleistet", betont Bockwinkel. Eine wechselfeuchte Aue mit Bereichen, die mal trocken liegen und mal überschwemmt werden, ist das, was Tiere brauchen, die an diesen Lebensraum angepasst sind. Dazu zählen etwa die Quappe, eine Raubfischart, sowie alle Frosch-, Kröten- und Molcharten, sagt Bockwinkel. Er erwartet auch Vögel wie den Flussregenpfeifer, eine Pionierspezies, die solche Bereiche als Erste besiedelt. Später in der Entwicklung des Gebiets sei beispielsweise mit der Nachtigall zu rechnen. "Dass der Eisvogel und die Uferschwalbe kommen, das ist sicher", sagt der Planer. Beim Bienenfresser wäre es schon ungewöhnlich. "Wir werden in den nächsten Jahren Arten haben, die es hier lange nicht gab", ist Bockwinkel schon jetzt gespannt und zugleich begeistert. So könnten etwa Samen der Borstenmoorbinse im Boden überdauert haben. "Die Natur regelt das selbst" "Wir betrachten immer das ganze Ökosystem", sagt Anna Morsbach, die zuständige Dezernentin der Bezirksregierung. "Und wenn das gesund ist, dann ist es auch widerstandsfähig." Im Moment sehe es aus wie eine Mondlandschaft. "Doch die Natur regelt das schnell selbst", sagt Morsbach. Ziel sei ein Auwald, mit einem Vorwaldstadium in 20 bis 25 Jahren. "Wir wollen ein dynamisches Gleichgewicht, keinen Zustand, der bleibt, sondern ständige Veränderung", betont Morsbach. "Wir planen auch noch, weitere Abschnitte der Lippe zu renaturieren", sagt Morsbach. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass das Land im Besitz der benötigten Flächen ist. Aufgrund sogenannter Bodenordnungsverfahren gestalte sich dies sehr langwierig. Der zuständige Bereich der Bezirksregierung Detmold reicht bei der Lippe bis zum Bereich bei Mantinghausen beziehungsweise Schwelle. Auch der Biber gestaltet mit Trotz der Unplanbarkeit der Natur ist eine Erfolgskontrolle der Lippe-Renaturierung geplant. "Wir schauen, wie sich das über die Jahre entwickelt", so Morsbach. "Aber wie sich das entwickelt, das haben wir nicht in der Hand, da gestalten die Lippe, aber auch Tiere wie der Biber", sagt Bockwinkel. "So etwas gibt es in einem größeren Zusammenhang heute kaum, deshalb ist diese Maßnahme so wichtig."

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