Delbrücks scheidender Bürgermeister: „Der Abschied fällt mir schwer“

Herr Peitz, wie oft haben Sie in den vergangenen Wochen ihren letzten Tag im Amt, den 31. Oktober, im Kopf durchgespielt. Werner Peitz: Ganz ehrlich: zigmal. Du fährst das letzte Mal ins Rathaus, das letzte Mal ins Büro, du siehst zum letzten Mal deine Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen und dann ist Schluss. Fest steht: Ich werde es sehr vermissen. Der Abschied fällt mir schwer, aber ich gehe mit einem zufriedenen Gefühl. Sie sind ein Mensch, der seine Gefühle offen zeigt, das war bei Ihrem Abschiedsfest in der Stadthalle auch zu sehen. Was geht Ihnen in diesen Tagen alles durch den Kopf? Es ist nicht nur der letzte Arbeitstag, sondern es sind die letzten 16 Jahre. Ich denke viel an die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen. Auch an die, die wir durch Sterbefälle viel zu früh verloren haben. Sie haben Ihren Abschied selbst bestimmt, sind nicht noch mal zur Wahl angetreten. Hilft das dabei, den Abschiedsschmerz ein wenig zu lindern? Es bleibt ein schwerer Abschied für mich. Und ich habe mir in den ersten zwei, drei Monaten auch nichts vorgenommen, ich möchte erstmal runterfahren. Klar haben wir für die Zukunft schon Pläne, aber die müssen aber noch reifen. Wenn sich dann demnächst neue Dinge ergeben, werde ich auch gerne auf die Zeit in der Stadtverwaltung zurückblicken. Ich werde ja kein Fremder, sondern werde weiterhin in Delbrück, im Ortsteil Anreppen, leben und auch wohnen bleiben. &bdquo;Mit dienstlichen Dingen soll mir ?niemand mehr kommen“ Ab dem 1. November sind Sie der Altbürgermeister und ihr Nachfolger Johannes Lindhauer übernimmt. Werden Sie nach dem Wechsel öffentlich in Erscheinung treten? Öffentlich jemandem in den Rücken zu fallen, das war noch nie meine Art. In meinem letzten Mitarbeiterbrief steht geschrieben, dass man Herrn Lindauer hier in der Verwaltung den Rücken stärken und ihm genauso loyal gegenüberstehen soll wie mir auch. Ich freue mich auch künftig über jeden persönlichen Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber mit dienstlichen Dingen soll mir niemand mehr kommen. Wenn die Wahlperiode nun endet, ist es dann auch eine Erlösung, die Last des Amtes und der Verantwortung nicht mehr zu spüren? Man trägt ja tatsächlich die Verantwortung für die ganze Stadt. Und es gibt viele, viele tolle Momente, an die ich mich gern erinnere. Es gab aber auch schwierige Flüchtlingssituationen mit ihren Folgen wie etwa der Belegung von Sporthallen. Und es gab Corona, mit allen Dingen, die uns extrem gefordert haben. Da bin ich froh, dass ich das mit der Mannschaft im Rathaus und auch den vielen Verantwortlichen in den Ortsteilen so gut lösen konnte, aber so etwas nun nicht mehr verantworten muss. Lesen Sie auch: Alle Wahlergebnisse zur Kommunalwahl aus Delbrück im Überblick An welche Ereignisse aus Ihrer Amtszeit erinnern Sie sich am liebsten? Da fallen mir die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern in der Verwaltung und viele Begegnungen mit den Bürgern ein. Vor allem mit dem Ehrenamt, das liegt mir sehr am Herzen und trägt unsere Stadt. Ein ganz wichtiges Projekt war unser Innenstadtausbau. Das haben wir intensiv vorbereitet und über Jahre umgesetzt. Handel und Demag haben überragend mitgezogen. Das war klasse. Und auch an den Glasfaserausbau erinnere ich mich gerne. Da waren wir in der Region absolute Vorreiter. Wichtig waren mir auch der Ausbau der Kita-Landschaft, die Modernisierung unserer Schulen und die Unterstützung des Delbrücker Füllhorns. Delbrück ist gut aufgestellt, dank all dieser Investitionen. Tolle Projekte waren auch der Neu-Umbau von Sportstätten, Kinderspielplätzen und die Ausrichtung von Großveranstaltungen neben dem Katharinenmarkt, wie der Bundesköniginnentag in Westenholz, das Bundesfest in Ostenland und die Kreisschützenfeste in Bentfeld und Boke. Überall habe ich mich willkommen gefühlt. Ich glaube, die Menschen haben mich als einen von ihnen respektiert. Ist das auch der Schlüssel gewesen, warum Sie als Parteiloser immer wiedergewählt worden sind im CDU-geprägten Delbrück? Ich komme aus dem Ehrenamt und bin im Ehrenamt verwurzelt. Ich würde fast sagen, 50 Prozent der Delbrücker kenne ich persönlich. Das ist schon eine Bank. Und deswegen habe ich allen Politikern immer gesagt, ich bin nicht alleine. Sie wussten: Wenn ich eine Meinung habe, dann vertrete ich die Meinung der Bürger. Aber auch die Bürger müssen einem Kandidaten ja erstmal vertrauen. Warum hat das als Unabhängiger funktioniert, obwohl die CDU hier stets die stärkste Partei ist? Das hat nur geklappt, weil ich aus dem Ehrenamt komme. Ich war Karnevalspräsident, war im Vorstand der Demag, bin Oberst gewesen, bin im Heimatverein und in sieben Schützenvereinen. Ich bin überzeugt, dass die Menschen jemanden wollten, der Delbrück und das Delbrücker Ehrenamt versteht. Es ist der wahre Reichtum der Stadt. Und das ist dann auch stärker als diese Parteisache. Interview: Bad Wünnenbergs abgewählter Bürgermeister: &bdquo;Ich bin mit mir im Reinen“ Wie hat sich Ihr Verhältnis zur CDU, die ja im Stadtrat immer eine absolute Mehrheit hatte, über die Jahre entwickelt? Darüber möchte ich jetzt gar nichts mehr sagen. Ich gucke nur noch nach vorn. Eins nur: Es war am Anfang nicht einfach, das kann ich dazu sagen. Letztlich trennt die CDU und mich ja nicht so ganz viel, aber auch von den anderen Parteien trennt mich nicht so viel. Ich kann allen bisher im Stadtrat vertretenen Parteien etwas abgewinnen. Sie gehören zu unserem System und sind wichtig. Allerdings hat ein parteiloser Bürgermeister auch Vorteile, weil er aus allen Parteien das Beste nehmen kann. Mir war wichtig, sie alle stets gleichberechtigt über Vorgänge zu informieren und mit einzubeziehen. Welche negativen Aspekte Ihrer Amtszeit bleiben Ihnen in Erinnerung? Ich habe nicht für alles eine Mehrheit gefunden, das kommt wohl vor in einer solchen Amtszeit. Zur Person: Abschied von Delbrücks Bürgermeister: &bdquo;Ein Mann, der Lust hat, etwas zu bewegen“ Welches Beispiel fällt Ihnen ein? Ich wollte vor 12 oder 13 Jahren gerne den NRW-Landesgeburtstag in Delbrück ausrichten und hatte schon den Zuschlag der damaligen Ministerin und des Staatssekretärs. Wir haben im Rathaus alles ausgearbeitet, aber letztendlich wollte es die Politik nicht. Ansonsten bleiben natürlich die schon angesprochenen großen Krisen im Gedächtnis. Sie sind 2009 ohne Politik-Erfahrung ins Amt gekommen. Waren die ersten Wochen eine harte Landung oder waren Sie ausreichend vorbereitet? Ich hatte mich für die Kandidatur schon intensiv vorbereitet und jede Menge Satzungen und andere Dinge gelesen, wie etwa die Aufbauorganisation der Verwaltung und die Struktur der Schulen. Ich habe auch Betriebe besucht, um ein Gespür für Themen zu bekommen. Doch wenn du dann Bürgermeister bist, stellst du fest, dass alle Vorbereitungen richtig, sinnvoll und notwendig waren – aber bei Weitem nicht umfassend genug. Denn es kommen noch so viele Themen hinzu. Im Fokus liegt aber der Bürgermeisterjob, es geht darum, für die Bürger da zu sein. Und wie haben Sie den Überblick behalten? Ich musste eine Schwerpunktentscheidung treffen. Möchte ich Bürgermeister sein oder Stadtdirektor? Denn man ist ja letztlich beides. Ich wollte Bürgermeister sein und mit Bürgern Projekte auf den Weg bringen. Die Führung der Verwaltung mit über 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wäre mehr die Aufgabe des Stadtdirektors gewesen. Deswegen habe ich im Rathaus sieben Fachbereichsleiter, von denen ich vollkommen überzeugt bin. Sie machen alle mit ihrem Team einen super Job. Ich habe also Aufgaben viel delegiert, aber letztlich gesteuert. Das Vertrauensverhältnis dafür baut man aber nicht im ersten Jahr auf. &bdquo;Dieses Vertrauen muss man sich erst einmal erarbeiten“ An dieser Stelle wird ihr Nachfolger gespannt weiterlesen. . . Herr Lindhauer kennt meine Einschätzung. Ich habe ihm gesagt, vertrauen Sie der Verwaltung, weil die Verwaltung wird Ihnen nicht vertrauen. Das hört sich vielleicht hart an, ist aber die Wahrheit. Den Satz hat man mir damals auch gesagt. Es steckt viel Wahrheit drin. Wie sollte die Verwaltung 2009 jemandem vertrauen, der von außen kommt? Dieses Vertrauen muss man sich erst einmal erarbeiten. Ich glaube, mir ist es gut gelungen. Wir sind eine Gemeinschaft geworden, die zusammengehalten hat. Welche Fehler haben Sie in Ihrer Amtszeit gemacht? Ich habe bestimmt Fehler gemacht. Vor allem hätte ich mir vielleicht manchmal mehr Zeit für eine Entscheidungsfindung nehmen müssen. Trifft das auch auf den Rathausneubau zu? Nein, zu dem Projekt stehe ich komplett. Das Rathaus ist kein Denkmal für Bürgermeister Peitz. Es war eine Notwendigkeit, damit die Bürger die Stadtverwaltung unter einem Dach erreichen und die Mitarbeiter effizienter arbeiten können. Ich sage immer noch, die Entscheidung zum Bau war für die Stadt goldrichtig. Manche Stimmungsmache gegen das Rathaus hat mir gar nicht gefallen. Wir haben jetzt 13,2 Millionen Euro gebraucht und es aus eigenem Mitteln bezahlt. Auch interessant: Paderborner Bürgermeister Michael Dreier: &bdquo;Ich stehe zu jeder Entscheidung“ Wie sah in den vergangenen Wochen die Übergabe an Johannes Lindhauer aus? Wir hatten drei längere Termine in meinem Büro. Herr Lindhauer hatte auch seit dem Wahlsieg die Möglichkeit, einen Besprechungsraum im Rathaus als Büro zu nutzen. Er konnte die Mitarbeiter ansprechen, die Fachbereichsleiter. Das hat er auch gemacht und Gespräche geführt. Um was ging es in den Gesprächen, die sie miteinander hatten? In erster Linie um Projekte, die noch nicht abgeschlossen sind. Wo stehen wir bei einigen Dingen, welche Gerichtsprozesse gibt es – das haben wir beredet. Auch über Themen und Sorgen von Mitarbeitern haben wir gesprochen. Und ich habe erläutert, warum bestimmte Entscheidungen so getroffen worden sind, wie sie getroffen wurden. Lindhauer kennt als bisheriger CDU-Ratsherr die Politik in Delbrück. Hat er einen einfacheren Start als Sie vor 16 Jahren? Ja, er ist Lokalpolitiker, aber auch er ist kein Verwaltungsmann. Über die Politik müssen wir ihn nicht belehren. Das kennt er aus dem Effeff. In der Verwaltung geht es nun darum, schnellstmöglich Vertrauen aufzubauen. Auch dann, wenn es gegenüber der eigenen Partei möglicherweise mal schwerfällt, weil sie vielleicht Forderungen an ihn hat. Da muss er sich letztlich auch im Rat vor seine Mitarbeiter stellen und sie nicht im Regen stehen lassen. Auch darüber gewinnt man Vertrauen. Wie sehen Sie die Entwicklungschancen für Delbrück? Wir haben die Möglichkeit, wieder Gewerbe anzusiedeln. Und wir haben ja auch die ersten Pläne schon gemacht. In dieser Richtung wird es gut weitergehen. Auch beim Wohnbau kann es weitergehen. Dazu gibt es auch schon Ideen. Wichtig wird, was wir dem Einzelhandel in der Stadt bieten können. Leerständen müssen wir langfristig besser begegnen. Der Handel ist eine große Herausforderung. Wichtig für die Entwicklung sind die finanziellen Aussichten. Wie bewertet der scheidende Bürgermeister den Kontostand der Stadt? Vieles hängt am Aufkommen der Gewerbesteuer. Wenn wir mehr als 30 Millionen Euro pro Jahr eingenommen haben, dann konnten wir tolle Projekte voranbringen. Die Ausgaben für die Kreisumlage sind aber innerhalb der letzten drei Jahre für Delbrück um fast 13 Millionen Euro angestiegen. Vor drei Jahren haben wir noch 27 Millionen bezahlt und jetzt bezahlen wir fast 40 Millionen. Dagegen kann man mit der Gewerbesteuer nicht anverdienen. Wenn es so weitergeht, treibt uns die Kreisumlage ins Verderben. Wir brauchen ein neues Finanzierungsmodell vom Land NRW. Wir haben zwar noch etwa 27 Millionen Euro in der so genannten Ausgleichsrücklage, um Fehlbeträge der nächsten zwei bis drei Jahre ausgleichen zu können, aber dann ist die Rücklage komplett verbraucht. Was fordern Sie deshalb konkret? Eine Beteiligung des Landes NRW an den stark steigenden Soziallasten wie der Eingliederungshilfe. Und wenn uns der Bund oder das Land mit neuen Aufgaben betraut, muss für eine ausreichende Finanzierung, also Kostenübernahme, gesorgt werden. Kommunen müssen besser aufgestellt werden. Das heißt: Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen. Wenn Städte und Gemeinden künftig etwa nicht mehr vor Ort in Kitas, Schulen oder digitale Ausstattung investieren können, dann wird das zu großem Unmut führen. Sie werden das nicht mehr verantworten müssen. Was haben sie sich stattdessen für die kommende Zeit konkret vorgenommen? Ich habe bewusst keine Termine gemacht. Mit der Familie möchte ich nun meine Freizeit nutzen. Erstmal bleibe ich zu Hause. Es gab schon ein paar Angebote, aber ich möchte nicht mehr nach dem Kalender leben. Der Terminkalender ist jetzt der Familie gewidmet und alle anderen müssen sich einreihen. Im Rückblick auf die 16 Jahre: Würden Sie noch mal Bürgermeister werden wollen? Ja, aber nur in Delbrück. Ich wäre nie woanders angetreten.

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