Bürgermeister im Sommerinterview: „Der wahre Reichtum Delbrücks ist das Ehrenamt“

Herr Peitz, Sie sind jetzt seit 2009 Bürgermeister der Stadt Delbrück und haben in dieser Zeit viel erlebt. Waren die von der Pandemie und nun auch vom Ukrainekrieg geprägten letzten Jahre die schwierigsten in Ihrer Amtszeit? Werner Peitz: Nein. Aber es ist nicht einfach zu sagen, denn jedes Jahr gibt es bestimmte Projekte mit bestimmten Rahmenbedingungen und auch mal Gegenwind. Aber das schwierigste Jahr war 2015. Da waren wir auf die Unterbringung der Flüchtlinge überhaupt nicht vorbereitet. Wir hatten keine Möglichkeiten die vielen Menschen insbesondere aus Syrien unterzubringen. Wir haben dann gebaut, gemietet, gemacht, getan. Und wir hatten viele Bürgergespräche, wo nicht immer die große Freundlichkeit im Vordergrund stand. Das war für mich persönlich die größte Herausforderung. Aber die Herausforderungen konnten wir nur meistern, weil viele ehrenamtlich Tätige uns unterstützt haben. War die Unterbringung der Flüchtlinge aus der Ukraine einfacher? Wir hatten noch viele Menschen, die 2015/2016 zu uns kamen, hier. Aber wir hatten durch die Strukturen, die wir geschaffen haben, den Vorteil, dass wir damit umgehen konnten. Wir haben nahezu genauso viele Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen wie damals aus Syrien. Letztendlich war die Unterbringung aber einfacher, obwohl wir auch Hallen nehmen mussten, weil in einem kurzen Zeitraum sehr, sehr viele Menschen kamen. Ich wollte aber nicht, dass die Hallen in Schöning oder Sudhagen auf Dauer belegt werden – wir haben daher auch Häuser gekauft und Containeranlagen gemietet, um die Halle wieder frei zubekommen. Die Übergangszeit haben aber alle top mitgetragen, ich habe von keinem ein böses Wort gehört. Dann macht es auch Spaß eine Krise zu bewältigen. Das war 2015 nicht der Fall. Erst kürzlich präsentierten Sie gemeinsam mit der Kämmerin äußerst positive Zahlen. Delbrück ist demnach finanziell gut gerüstet. Vor allem die Gewerbesteuereinnahmen sind erneut auf Rekordkurs. Was macht Delbrück so attraktiv für Unternehmen? Das kann man einmal wirtschaftlich sehen. Wir haben mit die niedrigsten Hebesätze bei der Grundsteuer und Gewerbesteuer in ganz NRW. Unternehmen schauen aber auch auf die weichen Standortfaktoren. Was kann ein Unternehmen den Mitarbeitern bieten? Wir sind da sehr gut aufgestellt, die Infrastruktur passt. Wir haben Glasfaser überall komplett eingerichtet, wir haben unsere Festivitäten, eine Top-Ausrichtung unserer Schulen und Kindergärten, wir bieten Kultur und einen Einzelhandel, der noch größtenteils inhabergeführt ist. Auch bestehende Unternehmen fühlen sich bei uns sehr wohl und sind daher die besten Werbebotschafter. Auch Windkraft kann Geld in eine Stadt bringen. Da hätte Delbrück ja noch genug Platz. Wie sehen da die Planungen aus, werden bald neue Windriesen auf Delbrücker Gebiet stehen? Es werden de facto neue Windräder in unserem Stadtgebiet stehen. Wir sind dabei zu eruieren, wo sie hinkommen. Aber viel wichtiger sind die Fragen, wie hoch möchte die Stadt daran partizipieren, möchte die Stadt ein eigenes Windrad haben, möchte die Stadt vielleicht Betreiber sein? Wie können Bürgerinnen und Bürger davon profitieren? Bei diesem Modell sind wir gerade am Rechnen? Aber klar ist, ein Großteil der Wertschöpfung der großen Giganten soll auch in der Stadt Delbrück verbleiben. Die neugegründete Klimaallianz will Tempo machen, um Delbrück bis 2030 klimaneutral zu machen. Kann diese Allianz der Stadt wirklich helfen? Die Klimaallianz kann uns auf jeden Fall helfen. Zwar nicht in rechtlicher Hinsicht, da sind noch viele gesetzlich vorgeschriebenen Hürden zu nehmen. Sie kann aber als Multiplikator genutzt werden. Denn über 50 Unternehmen haben sich angeschlossen, da merken die Bürger auch, dass es viele Befürworter gibt. Wenn Verwaltung, Bürgerschaft und Unternehmen an einem Strick ziehen, dann können wir solche Projekte umsetzen. Wie würden Sie jemanden, der in den Kreis Paderborn ziehen will, ihre Stadt schmackhaft machen? Warum sollte er in Delbrück bauen oder wohnen? Da passen auch die Argumente, die ich zu den Unternehmen sagte. Aber auch Glasfaser ist hier ganz wichtig, wir haben über 95 Prozent Ausbauquote, die Verkehrsanbindungen sind ideal, bei Schulen und Kindergärten sind wir hier bestens aufgestellt und auch beim Einzelhandel. Nicht zu vergessen das Ehrenamt. Der wahre Reichtum der Stadt Delbrück liegt im Ehrenamt begründet. Derjenige, der hier hinziehen möchte, weiß, dass hier ein starkes Ehrenamt ist und was in einem Ort passiert. Große Volksfeste wie Katharinenmarkt oder Karneval zeichnen unsere Stadt aus und man wird schnell integriert. Zudem haben wir sensationell günstige Einstiegsangebote für diejenigen, die hier bauen wollen. Insofern wir von der Bezirksregierung genug Bauland zur Verfügung gestellt bekommen, das ist zurzeit noch in der Diskussion. In unserer Baulandvergabeliste werden schon die, die hier wohnen, bevorzugt. Uns liegt ja auch am Herzen, dass unsere Jugend hier vor Ort bleibt, dass die Vereine nicht verarmen, dass die Schulen und Kindergärten ausgelastet sind. Das geht nur, wenn man Baulandpreise anbietet, die sich auch jüngere Leute leisten können. Aktuell wird heiß im Kreis Paderborn um einen möglichen Nationalpark Egge gestritten. Auch wenn Delbrück nicht nah an der Egge liegt, könnte ein Nationalpark auch für Ihre Stadt interessant sein? Da machen sich natürlich eher die Anrainer ihre Gedanken. Ich bin da nicht tief im Thema. Für den Tourismus wäre es auf jeden Fall vor Vorteil, wenn sich unsere gesamte Region positiv darstellt und Angebote bereithält. Sie sind ja nicht nur Bürgermeister, sondern auch in diversen Aufsichtsräten und Vereinen aktiv. Was machen Sie in Ihrer knapp bemessenen Freizeit? Welche Freizeit? Natürlich stehen Verwaltungsaufgaben, Bürgergespräche und Sitzungen im Vordergrund. Hinzu kommen zahlreiche Einladungen von Vereinen und Verbänden in den Abendstunden. Dann kommen noch die öffentlichen Feste, die Unternehmensbesuche hinzu. Ich habe zwischen 60 und 70 Stunden in der Woche zu tun, auch oft am Wochenende. Aber wenn ich Zeit habe, dann nehme ich mir mein Akkordeon oder Keyboard und mache Musik – das ist der innere Ausgleich. Ich habe auch noch meinen alten Stammtisch in Anreppen, den kann ich aber nicht so häufig pflegen wie ich möchte. Sind sind ja auch Musiker durch und durch. Früher haben Sie auch in der Tanzkapelle Herzbuben gespielt. Was war das für eine Zeit? Mit Musik angefangen habe ich mit 15 Jahren. 2012 habe ich dann aufgehört. Dadurch hatte ich schon immer den direkten Kontakt zu den Menschen, man lernt alle Altersgruppen kennen. Das habe ich als Musiker geliebt, Musik verbindet. Die musikalische Zeit möchte ich nie in meinem Leben missen. Aber ich spiele immer noch ab und zu in Altenheimen, da blühen alle auf, auch die Demenzkranken. Da sieht man, welche Kraft die Musik haben kann. Die Mobilitätswende ist ein großes Thema. Wie gut ist Delbrück da aufgestellt? Mit dem 1-Euro-Ticket ist ja schon ein guter Anfang gemacht worden. Wir haben im Delbrücker Stadtgebiet super ausgebaute Wirtschaftswege, die man auch als Radverkehrswege bezeichnen kann. Deswegen nennen wir uns auch Radfahrparadies. Schlecht für Radfahrer ist aber die Anbindung an die Stadt Paderborn, da ist man auf den Bus angewiesen. Für den Radverkehr wird aber gerade ein Konzept erstellt. Der ÖPNV ist eine große Herausforderung. Da mussten wir letztes Jahr knapp 650.000 Euro mehr bezahlen, weil tarifliche Verträge umgestellt wurden. Da sind auch Entscheidungen getroffen worden, die zu hinterfragen wären. Für 650.000 Euro mehr haben wir aber keinen Mehrwert bekommen. Da hätte ich das Geld doch lieber dafür eingesetzt, dass zum Beispiel alle Jugendlichen und Senioren Ü60 ein Ticket bekommen. Man hätte viel mehr für die Mobilitätswende mit dem Geld machen können. Wir sind auch dem Verein Neue Mobilität Paderborn beigetreten. In Zukunft könnte zum Beispiel ein Elektrobus autonom durch die Innenstadt, die ja wie ein Kreisverkehr ist, fahren. Einige Amtskollegen sind beim Stadtradeln schwer aktiv. Wie sieht es bei Ihnen aus. Sind Sie eher Radler oder lieber E-Biker? Am Stadtradeln habe ich mich aus Zeitgründen nicht beteiligt. Das wäre für mich zu aufwändig zwischen den vielen Terminen. Ich fahre aber gerne Fahrrad, aber E-Bike aus Überzeugung. Bald ist auch Ihr wohl größtes Projekt, der Neubau des Rathauses, fertig. Wie viel Schweiß und Kraft hat das Sie gekostet. Denn es gab ja auch viel Kritik. Das größte Projekt ist es nicht. Das war der Glasfaserausbau in der ganzen Stadt. Wir haben ja fast jedem Haus die Möglichkeit gegeben sich anschließen zu können und die Kosten waren auch über 20 Millionen, aber alles Fördergelder. Auch das Gymnasium ist ein riesiges Projekt und das schwierigste. Denn es wird beim laufenden Schulbetrieb umgebaut. Da gab es sehr viele Gespräche, permanente Abstimmungen und auch Nackenschläge. Es ist eine große Herausforderung. Der Innenstadtumbau war auch ein großes Projekt, was aber ein bisschen untergeht. Die gesamte Innenstadt ist komplett neu. Das ist nicht nur die Straßendecke, das betrifft auch Wasser und Abwasser. Da sehe ich die Stadt für die nächsten 30, 40 Jahre zukunftsfähig aufgestellt. Und das Rathaus? Klar, deswegen hat es auch viele schlaflose Nächte gegeben. Es war aber von Anfang an klar, dass wir dafür keine Schulden aufnehmen müssen. Wir hatten einen klaren Finanzplan, der auf Jahre angelegt ist. Was mich stört, dass in der Öffentlichkeit oft infrage gestellt wird, ob wir das Rathaus überhaupt brauchen. Das kann ich nicht verstehen, denn wir sitzen hier auf Miete und die Mietkosten werden in den nächsten Jahren steigen. Eigentum ist deutlich besser und vor allem ist es ein Rathaus für die nächsten Generationen. Auch sagen einige – und das ärgert mich – dass wir statt eines neuen Rathauses mehr Schulgebäude brauchen. Wir haben das alte Rathaus, das im Schulgebäude integriert war, komplett kernsaniert, neu aufgestellt und auch die technische Lernausstattung auf einem hohen Niveau ausgerichtet. Jetzt haben wir einen Schulcampus ohne einen Fremdkörper &bdquo;Verwaltung“ und wir haben im neuen Rathaus keine Schüler mehr im laufenden Verwaltungsbetrieb. Das neue Rathaus macht sehr viel Sinn und ist schuldenfrei gebaut. Kraft hat es nicht gekostet, aber es gab viel Ärger. Sie sind als Bürgermeister ein echter Quereinsteiger. Sie waren vorher im Management von Miele tätig und sind zudem parteilos. Ist das eher von Vorteil oder war es ein hartes Einarbeiten? Ich habe mich schon 2006 dem Wahlkampf gestellt, doch der Wahltermin wurde leider abgesagt. 2009 war dann erst die Wahl. Ich habe mich drei Jahre wohlweislich intensiv mit dem Amt beschäftigt, wusste, wer was macht und welche Aufgaben auf mich zukommen würden. Natürlich musste ich mich einarbeiten, aber ich konnte auf zwei Mitarbeiterschaften zurückgreifen. Das eine sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung, die mir von Anfang an ein stückweit die Begleitung angeboten haben. So wurde mir im Vorfeld gesagt, du bist neu im Amt daher wird die Verwaltung dir nicht vertrauen können, aber vertraue du der Verwaltung. Und das tat ich von Anfang an und so fassten auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vertrauen zu mir. Und ich konnte auf die zweite Mitarbeiterschaft bauen, das sind die 32.587 Bürgerinnen und Bürger. Denen musst du schnellstmöglich das sichere Gefühl geben, dass sie bei der Wahl keinen Fehler gemacht haben und du dich auch wirklich mit ganzer Kraft für sie einsetzt. Und genau das tue ich auch noch heute. 2025 sind die nächsten Kommunalwahlen. Werden Sie erneut kandidieren? Nein. Ich lebe immer nach einigen Prinzipien. Ich habe viele Vereine als Vorstand begleitet und bin bei allen noch auf Augenhöhe, zum Teil als Ehrenvorsitzender. Aber ich kann loslassen. Ich werde 2025 65 Jahre alt, dann bin ich Rentner. Muss ich denn noch bis 69 Bürgermeister sein? Würden sich vielleicht viele wünschen, hoffe ich. Aber in meinem Alter kann man ruhig schon an Rente denken – und das mache ich dann auch. Ich bin stolz darauf, dass ich Bürgermeister der Stadt Delbrück sein durfte.

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