
Das Gestöhne vergisst man nie
Gerhardt Horstmann (84) erlebte als Lehrling die BombenBad Oeynhausen/Hille. Staubig und dreckig war er, als er nach Hause kam. Mutters Schimpfen ist ihm noch gut in Erinnerung. Doch als die hört, was ihrem Sohn wiederfahren ist, ist der Ärger verflogen. Denn Gerhardt Horstmann hat überlebt. Schaffte es, aus den Trümmern der Weserhütte zu fliehen. Als am Karfreitag 1945 die Alliierten das Eisenhüttenwerk an der Mindener Straße bombardierten, war der 14-jähriger Gerhardt im Aufenthaltsraum unterm Dach.

Es war ein schöner und sonniger Tag. Deshalb entschied sich Gerhardt Horstmann am 30. März 1945 für das Fahrrad. Von Rothenuffeln radelte der damals 14-Jährige zur Arbeit nach Bad Oeynhausen. „Am 1. April 1944 bin ich in die Lehre gekommen“, erinnert er sich. Eine Ausbildung, die genau ein Jahr später bereits wieder ein Ende haben sollte. „Obwohl es ein christlicher Feiertag war, wurde in der Hütte gearbeitet.“ Die Soldaten sollten Nachschub bekommen. Zu Kriegszeiten war die Hütte ein Rüstungsbetrieb. Dort wurden Panzer instand gesetzt, gelagert und ausgerüstet. Gerhardt Horstmann hatte als Lehrling aber mit der Rüstung nichts zu tun. Zusammen mit zirka 70 bis 80 Lehrlingen aus dem ersten Lehrjahr lernte er in der Lehrwerkstatt die Grundlagen des Berufes.

„Von 12.30 bis 13 Uhr war immer Mittagspause“, sagt Horstmann. Und weiß noch genau, dass es gut fünf Minuten vor Ende der Pause gewesen sein muss, als es Fliegeralarm gab. „Der Aufenthaltsraum war unterm Dach und ich konnte aus dem Fenster sehen, dass sich draußen jemand lang auf die Erde warf“, erinnert sich der 84-Jährige. Auch Gerhardt Horstmann warf sich hin, als wenige Meter weiter die ersten Bomben fielen. „Als es dann kurz ruhig war, bin ich nur noch raus gelaufen.“ Henkelmann, Butterbrotdose und Tasche ließ er zurück. „Unten aus den großen Toren kam der Qualm. Man konnte die Hand vor Augen nicht sehen.“ Auch die Flieger hat der damals 14-Jährige nicht gesehen, nur das Brummen gehört. „Und das Gestöhne. Dieses schreckliche Gestöhne – das habe ich nie vergessen.“ Dann kam die nächste Welle. Doch der junge Gerhardt war noch immer auf den Gelände der Weserhütte. „Mit 20 bis 30 Mann haben wir uns in den Spänebunker geflüchtet beim zweiten Angriff“, sagt er. Danach sprang der 14-Jähriges aufs Rad und radelte Richtung Dehme. „Als dann der dritte Angriff kam habe ich mich in den Graben geschmissen.“
Verdreckt und staubig erreichte er dann gegen 14.30 Uhr wieder das Elternhaus in Rothenuffeln. „Wir hatten etwas Landwirtschaft und haben – obwohl es harte Zeiten waren – nicht gehungert.“ Die Mutter hatte sechs Kinder zu versorgen, der Vater war seit 1944 vermisst. „Er ist nie wieder gekommen“, sagt Gerhardt Horstmann. Also musste der 14-Jährige Geld verdienen. „Ich habe nach dem Bombenangriff erst Gräben ausgehoben und dann eine Lehre als Autoschlosser begonnen.“ Als er die angefangen hatte kam 14 Tage später Post von der Weserhütte. „Ich hätte dort wieder anfangen können.“ Doch der 84-Jährige entschied sich dagegen.