Rahdener Pfarrer im Gespräch: „Weihnachten ist ein Fest gegen das Leid in dieser Welt“

Rahden. Die evangelische Kirchengemeinde Rahden steht vor großen Veränderungen und die beginnen in der Weihnachtszeit. Drei von vier Kirchen werden am letzten Dezember-Wochenende geschlossen. Im kommenden Jahr gehen zwei Seelsorger in den Ruhestand, die Stellen werden nicht wieder besetzt. Aber auch andere Ereignisse werfen Schatten auf die beginnende Weihnachtszeit. Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt ist manchen Menschen die Freude auf Weihnachten vergangen. Im Interview äußert sich der langjährige Pfarrer Udo Schulte. Herr Schulte, ist Ihnen persönlich nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt noch danach zumute, das Weihnachtsfest zu feiern? Udo Schulte: Das hallt natürlich nach, das ist noch zu spüren und manchmal ist der Druck auch so groß, dass ich sage, das ist emotional nicht möglich, ich kann jetzt nicht Weihnachten feiern. Wenn ich die Weihnachtsbotschaft ernst nehme, dann ist Weihnachten immer in eine Zeit gefallen, die es nicht zuließ zu feiern. In dem Sinne ist Weihnachten sogar ein Widerspruchsfest, ein Fest gegen das Leid in dieser Welt. Die Geburt Jesu in einem Stall war ja auch Ausdruck schlimmster sozialer Verhältnisse. Sie hatten keine Herberge. Daher ist Weihnachten für mich ein Trostfest, nicht ein Fest oberflächlichen Jubels. Angesichts des Anschlags hat für viele Menschen die Dunkelheit das Licht verdrängt. Was sagen Sie diesen Menschen? Was sehr deutlich wurde: Menschen der Notfallseelsorge stehen den Menschen bei, die Kirchen öffnen sich für Trauernde und Verzweifelte. Und das ist für mich auch diese Trostbotschaft, dass Gott auch die Trauer hört und in der Trauer tröstet. Deshalb ist oft das Schweigen, das Hören und das Zuhören das Tröstliche. Nach dem Anschlag wurde die Lichterwelt auf dem Magdeburger Domplatz zeitweise abgeschaltet. Das hat doch auch eine Symbolik. Was macht in diesen Tagen Hoffnung, dass das Licht die Dunkelheit verdrängt? Für mich hat gerade das Weihnachtsfest, die Geburt Jesu im Stall im Bethlehem, genau die Aussage, dass in die Dunkelheit das Licht kommt. Und dieses Licht hat auch die Kraft, die Dunkelheit, den Hass zu überwinden. Das Licht ist das Zeichen des Widerstands gegen die Mächte des Todes. Wir glauben ja, dass unsere Zeit so normal ist mit unserem Wunsch nach Frieden und Wohlstand. Wenn man das überträgt auf andere Zeiten, hätte man über Jahrhunderte nie Weihnachten feiern können. In der Kirchengemeinde Rahden greifen in diesen Tagen die ersten strukturellen Veränderungen. Wie nehmen Sie in diesen Tagen die Stimmung unter den Gläubigen wahr? Die Empfindungen, die sicherlich da sind, werden wenig öffentlich geäußert. Ich habe den Eindruck, dass die Entscheidungen, die vor Jahren getroffen wurden, bei vielen angekommen sind und auch nicht mehr überraschend wirken. Es gibt keine Empörung. Ich empfinde, dass es eine Akzeptanz gibt, wenngleich bei manchen auch mit Widerwillen. Wie bereitet man sich auf einen nicht-alltäglichen Gottesdienst zur Verabschiedung von einer Kirche vor? Das braucht schon gute Vorbereitung und Absprachen. Es gibt kirchlicherseits auch liturgische Vorlagen. Uns ist wichtig, dass wir das auch im Pfarrteam miteinander besprechen. Es soll deutlich werden, dass wir das gemeinsam tragen. Das Besondere ist dann sicherlich die Predigt in einer solchen Situation, denn sie greift das Thema noch einmal auf. Wie erfolgt symbolisch der Abschied von einem Kirchengebäude? Da gibt es verschiedene Varianten. Wir haben uns auf die Symbolik der Osterkerze beschränkt, weil ja die Gebäude weiter für Trauerfeiern benutzt werden. Wenn die Gebäude dann gar nicht mehr genutzt werden, wird man auch die anderen Sakralgegenstände wie Bibel, Kreuz und Kerzen hinaustragen. Die Gegenstände werden dann entweder weiter gebraucht oder im Gemeindehaus oder der Johanniskirche in Rahden aufbewahrt. Worin liegt die Symbolik der Osterkerze? Die Osterkerze bringt besonders zum Ausdruck, was Kern unseres Glaubens ist. Das ist die Osterbotschaft von der Auferstehung Jesu Christi. Und jeder Gottesdienst, den wir feiern, ist im Kern ein Ostergottesdienst. Die Gottesdienste werden weiter gefeiert in dieser Gemeinde, konzentriert eben in der St.-Johannis-Kirche, aber auch bei Gottesdiensten zu anderen Anlässen und an anderen Orten in dieser Gemeinde. Theologisch wird eine Kirchengemeinde nicht durch die Gebäude definiert, sondern den Glauben und die Praxis des Glaubens besonders im Gottesdienst. Um das praktizieren zu können, sind Gebäude natürlich immer wichtig. Aber von der Bedeutung sind Gebäude zweitrangig. Menschen sind wichtiger als Steine? Es gibt die biblische Aussage, dass die Kirche ein Gebäude aus lebendigen Steinen ist, in der Jesus Christus der Grundstein ist. Aber da wir als Menschen eben in Häusern leben, braucht es auch für den Glauben Räume. Und die sind nun da zu finden, wo die Kirchengemeinde Rahden 1353 ihren Ursprung hatte? Genau. Selbst diese Räume haben sich immer verändert. Die Johanniskirche ist auch nicht mehr im Zustand von 1353 und wird vermutlich in 50 Jahren einen andern Charakter haben. Einen anderen Charakter, weil die Gemeinde weiter schrumpft? Passt das Gebäude zu den Notwendigkeiten der Gemeinde, das wird künftig auch die Frage sein. Die Kirchen in Tonnenheide und Wehe werden von der Stadt Rahden übergangsweise für die Dauer der Sanierung der Friedhofskapelle Rahden angemietet. Ermöglicht das einen schleichenden Abschied? Den Abschied haben wir vollzogen als Kirchengemeinde. Der übergangsweise Abschied ist in puncto Trauerfeiern für die Orte wichtig. Die Gebäude werden von unserer Seite nicht wieder in kirchlicher Funktion genutzt werden. Erhält die Kirche Miete für die Gebäude? Die Abgabe der Gebäude ist mietfrei und die Stadt ist zuständig für die Betriebskosten für Personal, Reinigung und Heizkosten. Sollten größere Reparaturen anfallen, sollte das Mietverhältnis nicht weitergeführt werden können. Das ist so vereinbart worden. Ist das Weihnachtsfest 2024 für Sie ein besonderes, weil Sie doch im kommenden Sommer in Ruhestand gehen? Es hat etwas besonderes, weil ein aktiver Dienst dann zu Ende geht. Aber Pfarrer behalten ihre Ordinationsrechte bei. Das heißt, dass ich auch in Zukunft Gottesdienste feiern darf – auch im Ruhestand. Wenn ich gebraucht werde, dann wirke ich auch weiterhin gern pastoral.

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