Der Einzelhandel stirbt einen leisen Tod

Rahden. Heiko Obermann engagiert sich für seine Heimatstadt. Der Betreiber des Schuh- und Sporthauses Obermann an der Steinstraße ist im Gewerbebund dabei und aktiv im traditionsreichen Sportverein TuSpo Rahden. Er ist bekannt in Rahden und umzu. Eigentlich wäre es nun an der Zeit, dass Heiko Obermann und sein Team die Kunden beraten, wenn es um die neue Schuhmode für den Frühling und den Sommer geht. Eigentlich. Denn wegen der Coronakrise ist nichts, wie es war. Obermann muss sein Geschäft geschlossen halten, hat einen "Click & Collect"-Service eingerichtet. So etwas brauchen die großen Discounter nicht. Sie dürfen ganz offiziell weiter alles verkaufen. Auch Elektrogeräte, Spielzeug oder Kleidung. Oder Schuhe. Daran gibt es scharfe Kritik aus dem Einzelhandel, die aber perlt bei der Politik in Land und Bund ab wie Wassertropfen an einer Teflonpfanne. Was Politiker bei Heiko Obermann lernen könnten Stattdessen versprechen Politiker aus Land und Bund vollmundig "schnelle Hilfen" auch für das Gastgewerbe oder den Einzelhandel. Diese angeblichen "schnellen Hilfen" aber kommen kaum oder gar nicht an. Wie es im Einzelhandel in einer Kleinstadt wie Rahden ausschaut - bei Heiko Obermann könnten Politiker das erfahren. Wenn es sie denn interessieren würde. Der 15. Dezember sei der letzte Verkaufstag gewesen, sagt Heiko Obermann. "Das habe ich mir im Kalender notiert." Obermann weist auf einen Unterschied zwischen Gastgewerbe und Einzelhandel hin. Die Gastronomie kaufe kurzfristig und nach Bedarf ein. "Wir müssen schon lange in voraus kaufen, zum Teil bis zu einem dreiviertel Jahr." "Das ist dann der Super-Gau" Das erschlage die Branche nun. Auch im Schuhhaus Obermann ist in den Regalen noch die Ware für Herbst und Winter zu finden. Sie wird in diesen Tagen durch die aktuelle Schuhmode für Frühling und Sommer ersetzt. Eine Planung zu machen, das basiere auf den Werten der Vorsaison. "Wenn man auf der Grundlage Ware einkauft und es passiert so etwas wie Corona mit den Folgen, dann ist das der Super-Gau." Die Ware, die in diesen Tagen im traditionsreichen Fachgeschäft an der Rahdener Steinstraße eintrifft, wurde im Juli/August geordert. Die Narben des Vorjahres schmerzen weiter Ob man aus dem Vertrag nicht rauskommt? Das sei praktisch das Problem, merkt Heiko Obermann an. "Man hat einen Kaufvertrag, die Lieferanten wollen die Ware bringen." Man sei dann auf deren guten Willen angewiesen, wenn es um längere Zahlungsfristen gehe. "Das Vorjahr hat bei uns Narben hinterlassen", sagt Heiko Obermann. Und die wirken nach. "Das, was ich sonst erwirtschafte, um damit die neue Ware zu bezahlen, ist ja wegen des ersten Lockdowns und des laufenden Lockdowns so nicht möglich." "Das Geld fehlt, die Ware kommt" Seit Mitte Dezember müsse er das Geschäft geschlossen halten. "Die Liquidität, die ich normalerweise erwirtschaften würde, würde für neue Ware eingesetzt. Das Geld fehlt, die Ware kommt." Die neue Ware aber brauche er ja. Winterware kaufe nun niemand mehr. Obermann: "Da oben hat jemand den Schalter umgelegt von minus 20 Grad auf plus 20 Grad." Die Winterware verliere Tag für Tag an Wert. Es sei kompliziert, das wegen der Hilfen nachzuweisen. Obermann: "Ich bin ja kein Sanitärhandel, der Wasserhähne verkauft, die auch in einem halben Jahr noch gleich aussehen." Warum die neue Ware trotz allem da sein muss Er müsse neue Ware für Frühjahr und Sommer präsentieren und anbieten können - im Schaufenster und online - um überhaupt etwas Umsatz zu generieren. "Soweit das mit einem geschlossenen Geschäft möglich ist", ergänzt der Rahdener Einzelhändler. "Am Tag X, an dem wir wieder öffnen dürfen, erwarten die Kunden ja die neue Mode. Wir sind von der Mode abhängig." Die Zeit bis zum zweiten Lockdown war zu kurz, um Winterware zu verkaufen. Obermann hat einen Online-Shop eingerichtet, über den man nicht nur bestellen kann, sondern auch reservieren. Die Ware kann dann an einer Abhol-Station vor der Ladentür in Empfang genommen werden. Er gebe den Kunden auf Wunsch auch eine Auswahl für die Anprobe zu Hause mit. Warum die Beratung der Kunden so wichtig ist Zu bestimmten Zeiten sei er außerdem telefonisch für Beratungen erreichbar. Das sei wichtig. Man könne beraten, wie ein Schuh ausfalle. "Es ist wesentlich zielführender, mit den Menschen zu sprechen und sie zu beraten, als einfach online zu bestellen", sagt Heiko Obermann. Beim einfachen Online-Bestellen werde viel falsch bestellt und entsprechend groß sei die Zahl der Retouren. "Die Beratung, auch wenn sie zurzeit nur telefonisch erfolgt, ist so wichtig, damit die Menschen die richtige Ware bekommen", betont der Rahdener. "Wir haben das doch gelernt, die Kunden fachgerecht und gut zu beraten." Das sei doch der große Unterschied zum Online-Handel. Welchen Lichtblick in schweren Zeiten es gibt Gab es denn etwas Geschäftsbetrieb? "Ich bin ein bisschen in die Offensive gegangen", antwortet Heiko Obermann. Telefonische Beratung dürfe er ja machen, dann sei er auf die Idee mit der Abhol-Station gekommen. Man sei schon darauf angewiesen, dass sich Kunden auch meldeten. Es sei propagiert worden, den örtlichen Einzelhandel zu unterstützen und nicht im Online-Handel einzukaufen. "Und da muss ich eines sagen: Unsere treuen Kunden riefen an, fragten nach Schuhen. Oder sie bestellten Gutscheine mit dem Hinweis ,irgendwann macht ihr wieder auf'", berichtet Obermann. "Sie wollen, dass es uns auch weiter in Rahden gibt. Es ist schön, dass Leute an einen denken und überlegen, wie sie einen unterstützen können." "Ich muss die Ärmel hochkrempeln" Es sei schön, dass man in dieser schweren Zeit auch positive Erfahrungen machen könne. Sehr, sehr dankbar sei er für die Unterstützung durch die treuen Kunden, merkt Heiko Obermann an. Er atmet einem Moment tief durch. "Click & Collect" ist aus Sicht des bekannten Rahdener Einzelhändlers ein Tropfen auf den heißen Stein. Das sei aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus entstanden. "Ich muss die Ärmel hochkrempeln und sehen, was noch möglich ist." Seine Mitarbeiter seien seit Mitte Dezember in Kurzarbeit, es gebe keine Einnahmen. Hilfen nur mit großem Aufwand zu beantragen Er müsse schauen, wie Einnahmen möglich seien. Die laufenden Kosten müssten gezahlt werden und seine Familie und er müssten auch leben. "Ich kann für mich selbst kein Kurzarbeitergeld beantragen", gibt Heiko Obermann zu bedenken. Was ist mit den versprochenen Hilfen? Zu Beginn des zweiten Lockdowns sei für Dezember für die Zahlung von Hilfen zuerst ein Limit von mindestens 40 Prozent Umsatz-Rückgang im Vergleich zum Vorjahr geplant gewesen. Nach Protesten wurde das auf 30 Prozent gesenkt, ab der es was geben könnte. Diese Hilfe für Dezember bekomme er definitiv nicht, sagt Obermann und verweist auf den Monat der vielen Feiertage. "Dreieinhalb Monate ohne Einnahmen" Für Januar und Februar solle es Überbrückungshilfen geben. Das aber sei aufwändig: Er müsse Auswertungen und Berechnungen erstellen und das laufe dann alles über den Steuerberater. Er wisse nicht, wie lange es dauere, die Unterlagen zusammenzutragen. "Bis Hilfe kommt, wird es wohl April sein", vermutet der Rahdener. "Und dann sind wir dreieinhalb Monate ohne wirkliche Einnahmen." Bei Selbstständigen kommt nichts an Fühlt er sich vom Staat veräppelt? Obermann schüttelt den Kopf. Corona sei eine riesige Herausforderung. Er sei froh, in einem Land wie Deutschland zu leben mit den sozialen Sicherungssystemen. Das Problem sei nur, dass die sozialen Sicherungssysteme den Selbstständigen nicht helfen würden. "Da kommt nichts an." Ganz schlimm sei das etwa für Berufsmusiker oder Event-Veranstalter. "Das greift nun über in unsere Branche." Der selbstständige Unternehmer sei erst einmal ganz allein gelassen und müsse mit eventuell vorhandenen Rücklagen auskommen. Manche hätten sich Geld geliehen in der Verwandtschaft. KfW-Kredite holten einen auch wieder ein, die seien keine Lösung. Womit Obermann ein Problem hat Obermann hat deshalb ein Problem damit, dass Unternehmen wie Karstadt, die seit Jahren wirtschaftliche Probleme hätten und bei denen Management-Fehler gemacht wurden, vom Staat mit enorm viel Geld unterstützt würden. "Wenn ich mir überlege, wie vielen kleinen mittelständischen Betrieben mit diesen Summen hätte geholfen werden können...." Obermann ist einen Moment still. "Die sterben jetzt einen leisen Tod. Das werden wir in den kommenden Monaten erleben, dass die kleinen Betriebe nicht mehr da sein werden. Für viele werden die Hilfen zu spät kommen. Sie werden sterben." Was einen Einzelhändler sauer und mürbe macht Die Ungleichbehandlung des Einzelhandels im Vergleich zu den großen Discountern stoße ihm ganz sauer auf, macht Obermann deutlich. Die Ungleichbehandlung, dass die großen Online-Händler große Steuer-Oasen nutzen könnten, "machen einen sauer und mürbe". Gastronomie und Einzelhandel seien wie eine Kette, sie gehörten für ein Einkaufserlebnis zusammen. Das sei wie ein Öko-System. Das aber werde sträflich vernachlässigt. Da fühle man sich wie die Besatzung eines Schiffes, das langsam untergehe. "Die Situation wird von Woche zu Woche schlimmer. Irgendwann steht das Wasser höher als bis zum Hals und dann säuft man ab."

Meistgelesen