Probebohrungen der Bahn in Porta: Ist Nammen für einen ICE-Tunnel geeignet?

Porta Westfalica-Nammen. Zentimeter für Zentimeter dreht sich der Bohrkopf in die Erde. Mit voller Kraft schiebt das Bohrgerät auf einem Feld am Nammer Dorfrand ein Rohr in den Erdboden. Rund 43 Meter tief sind die Arbeiter bereits gekommen, bis auf 250 Meter Tiefe sollen die Erdschichten untersucht werden. Das, was durch diese Rohre zu Tage gefördert wird, soll der Bahn Aufschluss darüber geben, ob an dieser Stelle oder vielleicht ein, zwei Kilometer weiter östlich oder westlich ein Tunnel für eine mögliche ICE-Neubautrasse durch das Wesergebirge gebaut werden könnte - oder eben nicht. Denn bisher gibt es keine fundierten Erkenntnisse über die unterirdischen Strukturen rund ums Wesergebirge. &bdquo;Eine Bohrung mit dieser Tiefe ist vergleichbar selten“, erklärt Dr. Gerd Festag. Er ist externer Fachgutachter für die Bahn und kennt sich mit Tunnelbau bereits aus. Auch am Bau des Hahnenkamptunnels in Bad Oeynhausen war er beteiligt. Sollte die Bahn wirklich durch das Wesergebirge bohren, wäre das aber eine ganz andere Hausnummer, weiß Festag. Während in Bad Oeynhausen oder auch beim Weserauentunnel die Erde geöffnet und das Tunnelbauwerk von oben eingesetzt wurde, wäre rund um Nammen ein ganz anderer Aufwand notwendig. Ob es aber überhaupt soweit kommt, hängt am Ende auch von den Ergebnissen der Bohrungen ab. Die in Nammen ist nun die letzte von vier oberirdischen in Porta - zwei finden in den Stollen der Barbara Erzbau unterhalb der Erdoberfläche statt. In der Regel kommt das Bohrgerät etwa zehn bis 15 Meter am Tag voran. Denn die Arbeit ist aufwendig. Das zeigt sich auch während des Bohrvorgangs am Mittwochnachmittag. Als der Bohrkopf rund drei Meter Rohr versenkt hat, lassen die Arbeiter des beauftragten Unternehmens einen Fangkopf durch das Hohlrohr hinunter. Das greift in gut 43 Metern unter der Erde den Bohrkern und zieht ihn dann langsam über eine Seilwinde ans Tageslicht. Das Material muss sorgfältig herausgeholt und in Holzkisten gelagert werden. Nur so haben die Geologen eine Chance, das Gestein richtig zu untersuchen. Zum Thema: ICE-Trasse Bielefeld-Hannover: Bahn startet mit Probebohrungen in Porta Mal sind es Bohrkerne an einem Stück, mal wie in diesem Fall loses Gestein. Mit Druckluft schießen die Arbeiter das Material aus dem Rohr. Das ist nicht nur laut, sondern sorgt auch dafür, dass übrig gebliebenes Kühlwasser aus dem Rohr herausgeschossen wird. Ein kurzer Schreckmoment. &bdquo;Die Bohrkerne werden hier schon mal gesichtet und gelistet“, erklärt Gerd Festag. Danach gehen sie in ein Labor, um weitere physikalische Tests einzuleiten, ergänzt Jens Mühlmann. Er ist Experte für Geologie bei der Bahn. Dabei werde das Gewicht des Materials aus der Erde ebenso begutachtet wie die Verformung und die Zusammensetzung. Doch auch vor Ort könne man schon einiges sagen, weiß Gerd Festag. Sind die Untersuchungen abgeschlossen, werden die Bohrkerne noch mehrere Jahre in großen Lagern aufbewahrt. &bdquo;Es könnte ja sein, dass bei einem möglichen Trassenbau Fragen aufkommen. Dann können wir nochmal nachschauen“, sagt Mühlmann. Lesen Sie auch: Herforder Unterschriftenliste knackt Marke: ICE-Trasse muss im Bundestag diskutiert werden Währenddessen holt Festag einen der Bohrkerne aus einer Holzkiste, die etwas abseits des Bohrgeräts auf dem Baustellengelände steht. &bdquo;Das Gestein stammt aus dem Jura und ist etwa 150 Millionen Jahre alt. Das war die Zeit der Dinosaurier“, erzählt er. Dann zeigt er auf eine bräunliche Verfärbung in dem grauen Gestein. &bdquo;Das sind alte Pflanzenreste. Hier war mal ein großer Wald, nicht weit vom Meer entfernt“, sagt Festag. Klingt fast nach Urlaub, wüsste man nicht besser, dass der Ingenieur von uralten Überbleibseln spricht. An diesen Erkenntnissen ist übrigens nicht nur die Bahn für die Bewertung ihrer zwölf übrig gebliebenen Trassenvarianten für die ICE-Strecke Hannover-Bielefeld interessiert. &bdquo;Solch eine Bohrung, dazu zusammenhängend über eine lange Strecke, hat es hier im Wesergebirge noch nicht gegeben“, sagt Jens Mühlmann. &bdquo;Wir stellen die Ergebnisse und Proben daher auch den Landesämtern wie dem LWL zur Verfügung, die derzeit in der Umgebung nach Mikrofossilien suchen. Auch der Geologische Dienst des Landes NRW habe Interesse bekundet, ebenso die Uni Hannover. Die Bohrung rund um Nammen und Lohfeld - sie sei auch eine &bdquo;seltene Gelegenheit zur Forschung“, meint Mühlmann. Im Bergwerk seien die Experten bereits auf eine Muschel im Gestein gestoßen. Auch wenn das alles recht eindrücklich wirke: &bdquo;Auf eine wirkliche Überraschung sind wir bei den Bohrungen bisher noch nicht gestoßen“, betont Mühlmann. Auch interessant: ICE-Trasse in Bielefeld: Mehrheit favorisiert Ausbau – darunter auch Umweltaktivisten Für die Bahn geht es hier eher um pragmatische Ergebnisse: Ließe sich hier überhaupt ein Tunnel realisieren? Müsste der dann klassisch gebohrt oder doch mit Sprengladungen in den Berg hineingebaut werden? Und wie hoch wäre dann der finanzielle Aufwand? Wie hoch die Kosten allein für die Bohrungen sind, darüber wollen die Bahnexperten lieber nicht sprechen. Nur eine Andeutung: Man könne sich ja denken, dass es viel Geld sei, wenn die Bahn von September bis Dezember bohren lasse. Während hinter dem Bauzaun gebohrt wird, versammeln sich vor der Baustelle einige Mitglieder der Bürgerinitaitive gegen den trassenfernen Ausbau der Bahn (Bigtab). Man kennt sich bereits. Die Diskussionen zwischen Bahnmitarbeitern und BI-Mitgliedern sind die gleichen wie schon an vielen anderen Orten. Hier ein kurzes Streitgespräch zwischen Vizevorsitzender Heike Wehage und Jens Mühlmann über das martialische Bild von zerstörter Landschaft auf einem der mitgebrachten Plakate - Mühlmann: &bdquo;Dem muss ich vehement widersprechen“ - , da eine kritische Frage, warum zu diesem Pressetermin nicht auch die Portaner Bevölkerung eingeladen worden sei. Und mitten drin ein - zugegeben nicht ganz ernst gemeinter - Schlagabtausch durch den Bauzaun zwischen Bigtab-Chef Reinhard Fromme und einem Arbeiter auf dem Gelände. Frommes Frage, ob er mit Helm und Kniepolster genug vor fliegenden Steinen geschützt sei, erwidert der Mitarbeiter mit der Anmerkung, dass für Fromme dann wohl ein Gebissschutz von Vorteil wäre. Trotz aller Spannungen begrüßen Projektleiter Marvin Jekel und Bahnsprecher Peter Mantik alle sechs Bigtab-Mitglieder vor Ort mit Handschlag. Dabei bleibt’s dann auch. &bdquo;Eigentlich sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt“, scherzt Jens Mühlmann: &bdquo;Das Wort Bau steht ja immerhin auf den Plakaten der Bigtab.“ Die Bahn könne die Befürchtungen der Menschen vor Ort gut verstehen. Immerhin handelt es sich mit dem avisierten kombinierten Aus- und Neubau der Strecke Hannover-Bielefeld laut Mühlmann um eines der größten Bahnprojekte überhaupt. Ein vergleichbar großes Vorhaben gebe es derzeit nicht. Bis davon aber etwas zu sehen sein wird, wird wohl noch mehr als ein Jahrzehnt vergehen. Und allein der Bau eines Tunnels würde an dieser Stelle in Porta Westfalica mehrere Jahre dauern. Die Arbeiten sind schon jetzt aufwendig. &bdquo;Aktuell befinden wir uns in der Phase vor der Vorplanung“, informiert Mühlmann. Dabei sollen die zwölf Trassenvarianten weiter gefiltert werden. &bdquo;Man könnte auch für alle Korridore eine vertiefte Vorplanung machen. Aber das würde einen Haufen Geld verschlingen.“ Die Bohrungen bei Nammen und Lohfeld entscheiden, ob diese eine von zwölf Varianten weiter verfolgt werden soll. Belastbare Ergebnisse erwartet Gerd Festag im ersten Quartal 2026. Bis dahin muss der Bohrkopf noch einige Rohre ins Erdreich in Nammen schieben - alles in Sichtweite, gut 150 Meter entfernt von den Wohnhäusern in der Barbarastraße. Dorthin haben sich mittlerweile auch die wenigen Bigtab-Mitglieder mit ihren Plakaten zurückgezogen. Ihre Botschaft werden sie auch weiter transportieren, sagen sie. Eine Bahnbaustelle wie die in Nammen wird das aber nicht aufhalten. Zentimeter für Zentimeter wird sich der Bohrkopf auch weiterhin ins Erdreich schieben. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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