Hinter den Kulissen des Mindener Erotikshops Novum: Mehr Frauen als Männer sind Kunden

Minden. Es ist viertel vor zehn, als der erste Kunde den Erotikmarkt betritt. Der Senior hat es eilig, doch er ist zu früh gekommen. Er möchte einen neuen Film ausleihen, aber das Erotikgeschäft Novum öffnet erst in ein paar Minuten. Er muss sich gedulden und das tut er. Um kurz nach zehn betritt eine Kundin den Laden. Die Frau mit wasserstoffblonden Haaren unterhält sich lautstark in einer ausländischen Sprache am Handy, während sie ein Regal durcharbeitet. Seit mehr als 30 Jahren befindet sich das Novum in der Lübbecker Straße 12. Der Markt eröffnete 1989 an der Stelle, war damals das erste Geschäft der heutigen Kette und galt als Pilotprojekt. Seitdem ist vieles anders in dem Laden: Anfangs startete der Betreiber auf mehr als 450 Quadratmetern, heute ist das Geschäft mit 1.500 Quadratmetern deutlich größer. Im hinteren Bereich gibt es ein Sexkino, das aus 19 Räumen besteht und sich über drei Etagen erstreckt. Nicht das einzige Erotikgeschäft in Minden Als &bdquo;Paradies für Unzucht“ bezeichnet ein Google-Rezensent den Markt unweit der Birne. Dort finden Erwachsene unter anderem Dessous, Sexspielzeuge, Pornografie und Produkte zu allerlei Fetischen. In unmittelbarer Nähe befindet sich mit dem Orion in der Portastraße 52 ein zweites Erotikgeschäft, das aber weitaus kleiner ist. Früher gab es auch einen Sex-Shop an der Simeonstraße. Der ist längst geschlossen und damit kein Einzelfall. Schließlich haben sich viele Einzelhändler dem Druck des Onlinemarkts gebeugt. Das Novum dagegen nutzt eine supermarktgroße Fläche. Warum schafft der Markt das, woran Mitbewerber gescheitert sind? Wie hat sich das Geschäft mit der Lust verändert? Wer sind die Kunden? Und was ist dran an den Gerüchten um ein Bordell im Inneren? Um diese Fragen zu beantworten, hat das Mindener Tageblatt (MT) Geschäftsführer Michael Schnelle im Mindener Novum getroffen. 60 Prozent der Kundschaft sind Frauen &bdquo;Unser Geschäft hat mit Intimität zu tun“, sagt Schnelle. Anders als das Klischee vielleicht nahelegen würde, seien inzwischen 60 Prozent der Kunden Frauen und 40 Prozent Männer. Auch viele Paare würden sich für die Produkte interessieren. &bdquo;Unser Konzept legte schon immer Wert auf die persönliche Beratung auf solch einer großen Fläche“, sagt der 52-Jährige. Zwar verkaufe Novum auch über den eigenen Internetshop Produkte, das Hauptaugenmerk liege aber auf dem direkten Kundenkontakt. Eine Zeit lang seien vor allem Handschellen ein Renner gewesen. Das habe sich gewandelt, nun sei das Interesse an den Sexspielzeugen größer. Wenn man so will, befindet sich im Novum noch die letzte Videothek der Stadt. Unweit des Erotikfachmarkts schloss der &bdquo;Video Taxi Media Store“ Anfang 2019. Die Betreiber setzten besonders auf die Genres Horror, Thriller und Komödien. Auch im Novum gab es bis zur Corona-Pandemie Spielfilme ohne Sex. Inzwischen bietet der Markt nur noch Pornografie an – und das in unterschiedlichster Form. Der Bereich ist gegliedert in Kategorien und Faibles. Von &bdquo;Sadomaso“ bis &bdquo;Trans“ ist alles dabei. &bdquo;Hier sind vor allem Männer unsere Kunden“, so Schnelle. Die Welt mag sich dreimal durchdigitalisiert haben, doch hier leihen Menschen noch immer DVDs aus. Das kann dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pornoindustrie vor allem im Netz Milliarden umsetzt. Nach Angaben des Wirtschaftsmagazins Forbes rund 12,6 Millionen Euro Online-Umsatz – pro Tag. Sternchen der Szene früher in Minden zu Gast Gewandelt hat sich das auch mit den Sternchen der Szene, so Novum-Geschäftsführer Schnelle. Denn die gebe es kaum noch. Vor Jahren lud der Markt noch die Erotikstars zu sich ein. Darstellerinnen wie Annina Ucatis, Jana Bach oder Vivian Schmitt waren 2011 in Minden, gaben Autogramme und gaben Shows. Einige dieser Frauen haben heute nichts mehr mit Pornos zu tun. Annina Semmelhaack (Künstlername Ucatis) beispielsweise handelt mittlerweile mit Immobilien und ist in der Politik für die FDP aktiv. Bei ihren Mindener Auftritten waren die Besucher überwiegend männlich. Auf Bildern ist zu sehen, wie die Beobachter die komplett nackten Pornostars mit zahlreichen Kameras ablichten und ihre Objektive auf den Intimbereich richten. 1994 war auch die frühere Generation um Dolly Buster und Sibylle Rauch im Mindener Novum. Im MT-Bericht dazu schrieb der Reporter, dass sie unzählige Männer während ihrer Autogrammstunde &bdquo;ins Schwitzen gebracht“ hätten. Schon damals hieß es, dass der Markt mit einer umfangreichen Wäschekollektion besonders Frauen interessieren wolle. Die hängen auch heute noch im Novum. &bdquo;Wir sind kein Bordell, auch kein Swingerclub“ Im hinteren Bereich sind aber eher Männer anzutreffen. Kunden gelangen über den Hof ins Sexkino. Auch dort befinden sich Räume, die es so kein zweites Mal in Minden gibt. Schon morgens dringen animalische Geräusche aus den Zimmern. In einem Themenraum steht ein Cabrio, in einem anderen befindet sich ein gynäkologischer Stuhl. In jedem der 19 Räume stehen Papiertücher und Desinfektionsmittel bereit. &bdquo;Wir setzen auf die Hygiene unserer Kunden“, bekräftigt Schnelle. Auch Kabinen bietet das Novum an, ebenso Räume für Paare. &bdquo;Nein, wir sind kein Bordell, auch kein Swingerclub“, räumt er mit entsprechenden Gerüchten auf. Bis zu 150 Kunden kämen pro Tag in die Kino-Räume. Immer wieder bekommt er auch zu hören, dass über dem Novum Prostituierte wohnen würden: &bdquo;Auch das ist nicht korrekt.“ Sechs Mitarbeiter im Mindener Novum angestellt Sechs Mitarbeiter sind im Novum angestellt – darunter ein Mann. Die erhebliche Größe des Markts liegt auch daran, dass das Gebäude dem Inhaber gehört und keine Miete zu entrichten ist. Lothar Schwier aus Bad Salzufeln gründete das Unternehmen, hatte zuvor Radios und Fernseher verkauft. Inzwischen hat der Rentner sich zurückgezogen, aber seine Familienmitglieder sind neben Schnelle weiter im Betrieb tätig. In einem Interview mit der Lippischen Landeszeitung (LZ) sagte Schwier, dass seine Geschäftsidee gewesen sei, die Sexshops zu verdrängen, die vor allem auf Pornografie gesetzt hatten. Stattdessen habe er geplant, die Ware auf großen, hellen Flächen zu verkaufen und kompetentes Personal zu beschäftigen. Längst setzt das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Bielefeld eigenen Angaben zufolge mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr um. 7,2 Millionen Euro listet der zuletzt verfügbare Jahresbericht für das Jahr 2022 auf. Demnach lag der Verlust unterm Strich bei 250.000 Euro. Novum musste aber auch andere Rückschläge hinnehmen. Im Sommer 1993 brannte das Gebäude an der Lübbecker Straße bis auf die Grundmauern nieder. Der Schaden: 1,5 Millionen Mark. Die Polizei ging damals von Brandstiftung aus. Die Kette schloss auch Filialen in Hamm und Bad Salzuflen. Nach Angaben von Schnelle führt Novum inzwischen 19 eigene Läden und hat drei Franchisepartner. Vor allem in Ostwestfalen-Lippe ist die Präsenz hoch, etwa in Bad Oeynhausen, Herford und Bielefeld. Babyboomer momentan die potenziellen Kunden Mit dem Mindener Standort ist der Geschäftsführer zufrieden: &bdquo;Es läuft hier, da gibt es nichts zu rütteln.“ Auch der Bundesverband Erotik-Handel (BEH) ist überzeugt, dass der stationäre Einzelhandel in der Branche eine Zukunft hat. In einem Vortrag erwähnt der Vorstand Hans-Peter Beckmann, dass vor allem die sogenannten Babyboomer (Jahrgänge 1954 bis 1969) momentan die potenziellen Kunden seien. Die jüngere Generation kaufe vermehrt im Internet. Die Branche habe das Ziel, dass das &bdquo;Schmuddel-Image“ abgelegt werde. Beckmann betont, dass es Menschen peinlich sei, über ihre Probleme wie Potenzstörungen oder Allergien zu sprechen: &bdquo;Man erwartet dann, nicht ausgelacht zu werden, sondern eine ernsthafte und fachkundige Beratung“ zu bekommen. Darauf setzt auch Novum, ebenso wie auf Diskretion. &bdquo;Wir haben aber bewusst keinen roten Vorhang im Eingangsbereich“, so Schnelle. Bei Verkaufsgesprächen möchte der Chef den MT-Reporter dennoch nicht unbedingt dabei haben, der sich deswegen kurz nach der Öffnung verabschiedet. Wenige Meter von der Tür entfernt warten Jugendliche und Eltern an der Haltestelle auf den Bus. Die Schaufenster mit den Novum-Produkten beachten sie nicht.

Meistgelesen