Biologische Station Minden-Lübbecke schlachtet Hochlandrinder direkt auf der Weide

Minden. Es ist der mit den nach oben gebogenen Hörnern. Zotteliges Fell, interessierter Blick, ungefähr 500 Kilogramm stattlicher Rinderbulle, der zurzeit noch auf einer Weide in der Windheimer Marsch steht. In zwei Wochen wird er in den Gewehrlauf von Dirk Esplör schauen und nach einem kurzen Knall mitten auf der Weide umfallen. Seine Herde wird daneben stehen und nicht zucken, so zumindest sagt es Esplör, der Geschäftsführer der Biologischen Station Minden-Lübbecke, voraus. "Für so ein Tier die beste Art zu sterben", findet Landwirt Detlef Trampe. Kein Stress, kein Transport, keine Panik. Erst wenn schon alles vorbei ist, wird der Körper verladen und zu einem Fleischer nach Hoysinghausen bei Uchte gebracht. Der zerlegt den Bullen, verarbeitet ihn und verpackt ihn in Kisten. Trampe liefert diese dann an Kunden aus. Der Landwirt betreut das seit 2006 von der Biologischen Station Minden-Lübbecke betriebene Weidelandprojekt. Zwischen 60 und 70 Schottische Hochlandrinder grasen auf neun Flächen, vor allem in Schutzgebieten des Kreises Minden-Lübbecke. Auf den Weiden stehen die Jungtiere mit ihren Müttern oder ein- und zweijährige Bullen in kleinen Herden - meistens dort, wo andere Landwirte kein Interesse an Bewirtschaftung haben, weil der Boden zu trocken, zu nass, zu uneben ist. Die Rinder grasen auf den teils zehn bis 20 Hektar großen Flächen und sollen dabei eine möglichst vielfältige Vegetation hinterlassen: Ein paar Büsche, Gras und Kräuter, Bäume, offenen Sand oder Lehm. Weil die Tiere sich dabei aber auch vermehren, werden jedes Jahr zwischen fünf und acht von ihnen geschlachtet, das Fleisch wird dann an Privatkunden vermarktet. So wird es auch beim Bullen mit den nach oben gebogenen Hörnern sein, der übrigens keinen Namen hat. Zu scheu sind die Tiere, die ihr Leben auf der Weide verbringen. 2022 starben im Kreis Minden-Lübbecke fünf Tiere Das Besondere bei diesem Projekt: Geschäftsführer Dirk Esplör schießt die Tiere selbst und zwar direkt auf der Weide. Das soll Tieren und auch Haltern den Stress der Verladung ersparen, denn die Rinder stehen 365 Tage im Jahr draußen und sind dementsprechend schwer in einen Transporter zu bewegen. Weideschlachtung nennt sich das Prinzip. Im Kreis starben 2022 insgesamt fünf Tiere auf diese Weise, teilt das für die Überwachung zuständige Veterinäramt mit, alle gehörten der Biologischen Station. Dass es nicht mehr sind, hat vielfältige Gründe, denn allein die Befugnis, so eine Weideschlachtung durchführen zu dürfen, ist eine Wissenschaft für sich. Und dann muss das tote Tier ja auch noch jemand verarbeiten - darauf sind die meisten Schlachthöfe nicht mehr ausgerichtet. Der Fall des Bullen mit den nach oben gebogenen Hörnern zeigt gut, warum es in Deutschland manchmal nicht so einfach ist, Wunsch und Wirklichkeit unter einen Hut zu bekommen. Denn um eine Weideschlachtung, die ja erstmal nach einer guten Sache klingt, überhaupt durchführen zu dürfen ist, muss zunächst ein ganzer Katalog an Kriterien erfüllt sein. Zunächst braucht es eine spezielle Genehmigung des Kreis-Veterinäramts und jemanden, der sachkundig ist, sagt Amtsleiter Dr. Detlef Grote. Im Fall der Biologischen Station war Letzteres recht einfach, da Dirk Esplör als Jäger ohnehin über eine waffenrechtliche Erlaubnis und Ausrüstung verfügt. Eine entsprechende Weiterbildung für den Kugelschuss auf der Weide hatte der Esplör ebenfalls. Schießgenehmigung des Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke Damit aber nicht genug, denn um abdrücken zu dürfen, bedarf es einer Schießgenehmigung der Kreispolizeibehörde. Aus Sicherheitsgründen darf das Rind außerdem nur aus einer vorgeschriebenen Maximalentfernung getötet werden, es darf nur gegen gewachsenen Boden geschossen werden, um das Hinterland nicht zu gefährden. Binnen 60 Sekunden muss der Kehlschnitt zur Entblutung des Bullen erfolgen und innerhalb von zwei Stunden zum Schlachthof gebracht und dort ausgeschlachtet werden. Das alles schreibt das Gesetz vor. Auf der Weide getötet werden dürfen außerdem nur Tiere, die 365 Tage im Jahr auch dort gehalten werden und keine Bindung zu ihrem Besitzer haben. "Wenn wir sehen würden, dass die Tiere auch ohne Probleme auf einen Anhänger verladen werden können, würden wir keine Genehmigung ausstellen", sagt Tierarzt Grote. "Man muss sehen, was in der Masse machbar ist" Nicht verwunderlich also, dass Weideschlachtungen im Kreis derzeit nur die Biologische Station durchführt. Und selbst dort würden manche Tiere, die besonders zahm seien, auf Hänger verladen und zum Schlachthof gebracht, so Grote. Ihm und seinen Kollegen im Veterinäramt, das schwingt ein bisschen mit, ist das auch gar nicht so unrecht. "Man muss auch immer sehen, was in der Masse machbar ist", sagt der Amtsleiter. Eine Weideschlachtung sei immerhin auch mit erhöhtem zeitlichen Aufwand verbunden und der müsse dem Halter auch berechnet werden. Auch dafür können die Mitarbeiter im Amt wenig, das Gesetz will es so. In Deutschland muss jedes Tier unmittelbar vor und nach der Schlachtung von einem Tiermediziner begutachtet werden. Das soll verhindern, dass kranke Tiere getötet werden oder gar in den Verzehr gelangen. Im Fall von Schlachthöfen wie Westfleisch in Lübbecke kümmern sich dort ansässige Tierärzte und amtliche Fachassistenten um die Durchsetzung der Richtlinien, rund 30 Mitarbeiter hat die Dependance des Veterinäramts. "Die kontrollieren alles: Von den Transportbedingungen bis zur Betäubung, sie begutachten die Tiere und nehmen nachher Proben", sagt Grote. Bei kleineren Metzgereien, von denen es im Kreis nur noch weniger als eine Handvoll gibt, werden zu den Schlachttagen Tierärzte entsandt. Und bei einer Schlachtung auf der Weide rücken Kolleginnen und Kollegen aus dem Kreishaus aus. Die Tiermedizinerinnen Dr. Gunda Mühl und Tatjana Wegener zum Beispiel fahren nach Windheim und geben die Tiere zum Abschuss frei. Esplör schießt sie dann aus kurzer Entfernung von einem Traktor aus. Früher kam dazu extra noch ein Metzger, um den Entblutungsschnitt am Hals zu setzen. Esplör hat auch hierzu mittlerweile eine Fortbildung gemacht, um den Aufwand zu sparen. Dann wird es verladen. Tote Tiere nimmt kaum ein Fleischer an Womit die Biologische Station schon beim nächsten Problem angekommen wäre. Die meisten Schlachtereien können nämlich nur Lebendvieh annehmen, weil das noch selbst in den Schlachthof laufen kann. Ein totes Tier, noch dazu ein sperriges Hochlandrind mit Hörnern tot ins Gebäude zu bekommen, ist meist gar nicht möglich. Und die allerwenigsten nehmen einzelne Tiere an, nur kleine Privatbetriebe tun das noch. Im Kreis Minden-Lübbecke gibt es nur noch zwei bis drei solcher Metzger im Westkreis. Der nächste Fleischer von Petershagen aus, der einzelne Rinder schlachtet und auch tote Tiere unterbringen kann, ist Holger Schumacher in Hoysinghausen. 75 von ihnen hat der 53-Jährige 2022 zerlegt, ein paar Jahre zuvor waren es noch 25. "Mehr geht jetzt auch langsam nicht mehr", sagt der Fleischermeister, der Anfragen von überall bekommt.Holger Schumacher lässt den Bullen dann 14 Tage abhängen, bevor er ihn verarbeitet. Dann packt er die Kisten, Trampe holt das Fleisch bei ihm ab und bringt es zu den Kunden nach Hause. Das hat sich bewährt. "Wir dürfen das Fleisch bei uns nicht lagern, es muss sofort ausgeliefert werden", sagt der Landwirt. Genaugenommen dürfe er die Kisten nicht mal selbst öffnen, um den Inhalt anzusehen. Schumacher hat zuvor "ein bisschen von allem" eingepackt. Hack, Filets ebenso wie Beinscheiben und was das Tier sonst noch hergibt. "Wir verwerten alles, was geht und jeder bekommt dann möglichst ein bisschen von allem." Schlachter klagen über hohe Auflagen und wenig Wertschätzung Wer mit dem Fleischermeister redet, hört einen Mann, der von Landwirten gefragt und trotzdem von der Welt enttäuscht ist. Die Menschen hätten einfach keine Wertschätzung mehr für das Handwerk, findet der 53-Jährige. Außerdem seien die Auflagen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr geworden, die Bürokratie und Hygienevorschriften für einen kleinen Betrieb kaum noch zu machen. "Die meisten Menschen halten Fleischer für dumm, meiden uns. Gleichzeitig lohnt es kaum noch, weil wir so viele Auflagen und Vorschriften erfüllen müssen", sagt der Fleischer. Mitarbeiter seien auch immer schwerer zu finden. "Ich habe ja eigentlich noch 13 Jahre im Job, ob ich mir das in der Größenordnung aber so lange antue, weiß ich noch nicht", sagt Schumacher. Auch ein Kollege ein paar Orte weiter sieht das so. Heiko Denker ist Fleischermeister aus Warmsen und schlachtet für zahlreiche Höfe der Region Schweine, darunter Hof Pape, Klostermeier oder auch die Gebrüder Hormann. Bis Dezember ist sein Betrieb bereits ausgebucht, wie viele Tiere er im Jahr verarbeitet, möchte er nicht sagen. Die Anfragen würden aber immer mehr, weil viele Landschlachtereien aufgäben. Denker kann das verstehen. Auch er klagt über zu hohe Auflagen und mangelnde Wertschätzung. Die Menschen wollten zwar Fleisch essen, mit dem Prozess an sich aber nichts zu tun haben. Alle paar Jahre stelle das Veterinäramt den halben Laden auf den Kopf, das koste dann rund 2.000 Euro. Alles mögliche müsse dokumentiert werden. Auch Schumacher sagt: "Im Wesentlichen hat sich seit Jahrzehnten nichts daran geändert, wie man ein Tier tötet und zerlegt. Trotzdem muss ich alle vier Jahre nachweisen, dass ich das noch kann." Kein anderes Handwerk werde ständig wieder grundlegend geprüft. Detlef Grote wirbt für Verständnis, denn gerade im Bereich Schlachtung seien Kontrollen wichtig, um die Gesundheit der Menschen zu gewährleisten. Für die Überwachung seien deshalb große Einheiten auch besser zu händeln. "So ein System wie einen Schlachthof können sie ja viel besser in sich abschließen", sagt er. So ließen sich auch Seuchenfälle effektiver eindämmen. "Und der Verbraucher muss sich auch fragen, wie viel Fleisch er essen möchte. Masse ist in der Breite einfach nicht zu tragen." Hunderte kleine Weideschlachtungen zu überwachen könne niemand leisten. "Stellen Sie sich vor, jeder könnte sein Tier auf der Weide schlachten, wer soll das vernünftig überwachen?" Man müsse daher immer das Für und Wider abwägen. "Natürlich ist eine Weideschlachtung für Tiere und Halter eine gute Sache. Wenn sich Tiere gut verladen lassen und einen kurzen Transportweg haben, haben Schlachthöfe und Metzgereien aber auch große Vorteile." Bei der Biologischen Station sei der Vorteil, dass nur geschlachtet würde, wenn die Tiere auch einen Abnehmer hätten. "Das ist natürlich ideal." Aber auch das sei nichts für die breite Masse an Kunden. Und der Aufwand der Überwachung sei groß. Zumal auch im Veterinäramt und bei den Schlachtern kein Personal da sein. "Sie finden einfach niemanden." Der Bulle mit den nach oben gebogenen Hörnern wird also wohl auch weiterhin recht allein mit seiner Art zu sterben sein. Abnehmer für ihn gibt es bereits, Esplör und Trampe führen eine Warteliste. Und wenn er noch im März leblos auf die Weide kippt, wird es seine Brüder wohl tatsächlich nicht rühren, das bestätigen auch die Tierärzte aus dem Veterinäramt. "Man wundert sich, die zucken überhaupt nicht. Die bringen das Geräusch und den Tod einfach nicht zusammen", sagt Gunda Mühl.

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