So gefährlich schätzen zwei Polizisten ihren Job mittlerweile ein

Minden. Hat Corona den Polizeijob gefährlicher gemacht? Und wie sehr wirkt sich eine gespaltene Gesellschaft auf die Arbeit derer aus, die für Recht und Ordnung sorgen sollen? Volkan Yalcinkaya (29) und Ilka Wandtke (45) sind Streifenpolizisten – er seit fünf Jahren in Minden, sie bereits seit mehr als 25 Jahren. Zunächst arbeitete sie in Köln, dann in Bielefeld und seit 2003 in Minden. Die beiden Beamten sprechen über Angriffe auf Polizisten, Montagsspaziergänge, Corona-Alltag und wie es ist, wenn Kollegen im Dienst sterben. Vor knapp zwei Wochen wurden eine junge Polizeistudentin und ihr 29-jähriger Kollege in Rheinland-Pfalz bei einer Polizeikontrolle erschossen. Wie sehr trifft so etwas auch bei Ihnen einen Nerv? Wandtke: Ich wüsste niemanden, den so etwas kalt lässt. Das sind zwei von uns. Die Situation und die ganze Tragik dahinter nehmen mich sehr mit. Allgemeine Verkehrskontrollen sind die Situationen, die am häufigsten im Berufsalltag am schwersten einzuschätzen sind. Denn letztlich wissen wir nie, wem wir da begegnen und in welcher Verfassung derjenige gerade ist. Deswegen werden diese Kontrollen auch regelmäßig trainiert. Aber natürlich hätte das hier im Kreis genauso passieren können. Yalcinkaya: Als ich das erste Mal davon gehört habe, musste ich direkt an meinen Polizeistudenten denken. Und ich selbst bin ja auch 29, genau wie das zweite Opfer. Das nimmt einen dann schon mit – auch, weil man vom Alter her so ähnlich ist. Wir halten so viele Leute bei Verkehrskontrollen an, das kann man gar nicht zählen. Bei mir hat der Fall Kusel dafür gesorgt, dass ich noch konzentrierter bin und mir die Situation noch genauer bewusst mache, in die ich gerade gehe. Hatten Sie in ihrem Berufsalltag schon einmal richtig Angst? Yalcinkaya: Man hat Respekt, weil man weiß, wie schwer manche Situationen abzuschätzen sind. Wenn wir hören, dass ein Team zu einem Randalierer oder einem Streit gerufen wird, dann kann es sein, dass wir uns auch mit unserem Wagen in die Nähe begeben, um schnell helfen zu können. Da hat man dann eher Angst um die Kollegen, denn so etwas kann immer eskalieren. Ich selbst habe aber vor einem Einsatz erstmal keine Angst um mich und auch nicht um Bürger. Wandtke: Ja, meistens ist es die Angst um die Kollegen. Wenn ich am Funk höre, dass jemand um Unterstützung bittet und man schon am Ton merkt, dass es schnell gehen muss, dann habe ich Angst um die Kollegen. Da beeilt man sich dann sehr. Und in einer Situation hatte ich in 25 Jahren auch mal Angst um mich. Das war in der Innenstadt in Minden, kurz nachdem George Floyd in Amerika bei einer Polizeikontrolle getötet wurde. Wir wollten jemanden in Gewahrsam nehmen, der sich aber mit allen Mitteln gewehrt hat. Wir wollten ihm dann Handschellen anlegen, auch da war er sehr aggressiv und hat geschrien. Und dann wollten plötzlich Passanten eingreifen, die die Situation falsch eingeschätzt hatten. Da habe ich schon Sorge gehabt, dass es jetzt eskaliert und gegen uns geht. Viele Menschen provozieren Polizeibeamte auch ganz bewusst. Begegnet Ihnen das oft? Wandtke: Ja, aber das war schon immer so, dass Menschen mit der Polizei diskutiert haben und uns provozieren wollten. Das gehört dazu. Was aber seit ein paar Jahren dazugekommen ist, ist das alles mögliche gefilmt wird. Sofort werden die Handys gezückt. Und dann drehen die Leute richtig auf. Sobald die Kameras dann wieder aus sind, kann man meistens wieder ganz vernünftig mit ihnen reden. Wünschen Sie sich eine Zeit zurück, in der nicht alles hochgeladen wird? Wandtke: Oh ja. Wobei ich sagen muss, dass ich selbst als Beamtin noch nie irgendwo online in einem Video aufgetaucht bin. Da hatte ich bisher Glück, dass ich immer nur am Rande bei solchen Einsätzen dabei war. Yalcinkaya: Das ist immer Thema, aber ich versuche mich von den Aufnahmen nicht provozieren zu lassen. Denn das sollen sie ja tun: Provozieren. Am besten ignoriert man es einfach. Es sei denn es wird zum Beispiel eine Einsatzbesprechung gefilmt und das &bdquo;nicht öffentlich gesprochene Wort“ verletzt, dann handelt es sich um Straftaten. Diese Fälle werden zur Anzeige gebracht. Gegebenenfalls wird das Handy konfisziert und der Inhalt gelöscht. Letztlich versuche ich mir aber zu denken: Das geht hier nicht persönlich gegen mich. Die rebellieren gegen den Staat oder protestieren gegen wen auch immer, aber nicht gegen mich als Person.Die Montagsspaziergänge sind auch eine Protestbewegung, die mit ihren vielen – teils unangemeldeten – Treffen zum Ziel hat, die Polizei zu zermürben. Wie sehr nervt sie das? Yalcinkaya: Ich war schon einige Male dabei und habe die Einsätze unterstützt. Und es ist wichtig, dass die Menschen ihre Meinung kundtun können in einer Demokratie. Demonstrationen zu beschützen und sie neutral und objektiv zu begleiten ist unsere Aufgabe. Aber natürlich ist man bei den Spaziergängen angespannt, weil man nie weiß, wie reagiert wird, wenn wir auf Verstöße hinweisen. Oder welche Dynamik die Versammlung nimmt. Wandtke: Es ist einfach ein immens hoher Aufwand, weil jedes Mal die dienstlichen Stärken hochgefahren werden müssen. Und wegen Corona werden bei uns ja auch so schon Lücken durch Ausfälle gestopft. Demos in friedlichem Rahmen gehören dazu und wenn da Mütter mit Kindern und Kerzen laufen, ist das auch alles okay. Nur wenn sich dann andere Strömungen darunter mischen und Botschaften senden, die nichts mit der Sache zu tun haben, sondern extrem sind, dann weiß man eben nie, was einen erwartet. Die Gesellschaft spaltet sich ja ohnehin mehr und mehr in Interessengruppen, der Ton wird rauer. Merken Sie das auch? Wandtke: Ja, das kann man schon merken. Als ich vor 25 Jahren in Köln angefangen habe, da war das ein Sprung ins kalte Wasser. Da passiert einfach unheimlich viel. In Bielefeld war auch viel los, aber das ist es hier in Minden jetzt auch. Manche Bürger auf der Straße sind nicht mehr so nett zu uns. Die sind gar nicht polizeifreundlich gestimmt. Dass Menschen es schätzen, wenn wir kommen, gibt es zwar noch, aber es wird seltener. Und Corona hat das nicht leichter gemacht. Denn wenn wir zu häuslicher Gewalt ausrücken, dann sind das manchmal ganz normale Familien, die seit Monaten aufeinander hocken. Da ist die Stimmung dann schon am Anschlag und wir kommen noch dazu. Das hatten wir gerade am Anfang der Pandemie oft. Yalcinkaya: Ich bin ja erst fünf Jahre dabei, aber ich merke das auch. Allerdings bin ich auch viel an Schulen zur Präventionsarbeit unterwegs. Und da rechnen die Kinder und Jugendlichen nicht mit mir und sind erstmal neugierig. Da wird niemand ausfallend, weil aber auch der Blick anders ist. Ich komme ja nicht in eine ohnehin schon aufgeheizte Situation. Was empfinden Sie als besonders schlimm? Die persönlichen Angriffe der Menschen oder bestimmte Einsätze? Wandtke: Das ändert sich teilweise mit der Lebenssituation. Als ich noch keine Kinder hatte, haben mich manche Sachen weniger gestört als heute, wo ich gesehen habe, was alles passieren kann, zum Beispiel im Straßenverkehr. Für mich ist es immer schlimm zu Unfällen zu fahren und nicht zu wissen, ob da Bekannte betroffen sind. Manchmal ist man auch durch Erfahrungen vorbelastet. Wir versuchen immer frisch und objektiv in eine Situation zu gehen, aber wenn man etwas schon mehrfach erlebt hat, dann ist man natürlich auch irgendwie durch Erfahrung geprägt. Da ist es wichtig, das nicht mit nach Hause zu nehmen und Hilfe anzunehmen, wenn man sie braucht. Man merkt sich als Polizist schlechte Erfahrungen, aber man darf sie beim nächsten Einsatz nicht über einen Kamm scheren. Wie viel Hilfe bekommen Sie denn, wenn Sie sie brauchen? Yalcinkaya: Die Angebote sind immer da. Man kann mit Kollegen sprechen, mit den hiesigen Polizeipfarrern oder weiteren Spezialisten, das kommt immer auf die Situation an. Ich habe in meiner Ausbildung einen besonders schweren Unfall auf der B239 erlebt, danach habe ich auch die Hilfe eines Seelsorgers in Anspruch genommen. Schwächen zeigen ist kein Tabuthema mehr wie früher. Wandtke: Die älteren Kollegen helfen den jungen auch viel und nehmen sie zur Seite, wenn sie wissen: Das war jetzt eine harte Situation. Und das ist ja auch für jeden anders. Nicht immer sind es schwere Unfälle. Man muss auch damit umgehen können, wenn man einen Betrunkenen im Gewahrsam hat, der zuvor seine Frau verprügelt hat. Aber auch das ist in der Ausbildung viel mehr Thema als früher: Ethik und Psychologie. Einsatzbewältigung nimmt mittlerweile einen großen Teil der Lehre ein, das habe ich im Studium gemerkt. Da war das viel mehr Thema als bei meiner Ausbildung in den 90ern. Würden Sie den Job jungen Menschen trotz der Probleme noch empfehlen? Wandtke: Doch, das würde ich auf jeden Fall. Wer Polizist werden möchte, der sollte das auch tun. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass es auch viele unangenehme Situationen gibt. Mit denen muss man umgehen können. Yalcinkaya: Ja, man muss wissen, was der Beruf mit sich bringt. Die rosarote Brille hilft da nicht, aber die positiven Aspekte überwiegen absolut. Daher kann ich es nur jedem anraten.

Meistgelesen