So bewertet ein Krankenhaushygieniker vom Mindener Klinikum die Corona-Lage

Die Corona-Pandemie hat Deutschland weiterhin fest im Griff. Zwar sind die Infektionszahlen längst nicht so hoch wie in manch anderen Ländern, an Kontaktbeschränkungen und weiteren Einschränkungen hat dennoch kein Weg vorbeigeführt. Was bedeutet das? Und welches Risiko geht wirklich von der neuen Omikron-Variante aus? Dr. Peter Witte, Direktor des Instituts für Krankenhaushygiene am Johannes-Wesling-Klinikum, ordnet die Situation ein. Das Interview wurde schriftlich geführt. Die Sieben-Tage-Inzidenz im Kreis Minden-Lübbecke pendelt sich seit einigen Tagen um einen 200er-Wert ein. Wie ist der Wert in der momentan Lage zu beurteilen? Ist das die Ruhe vor dem Sturm? Grundsätzlich erwarte ich ein Ansteigen der Fallzahlen Anfang Januar. In den aktuell veröffentlichten Zahlen des Robert-Koch-Instituts sieht man bereits exponentielles Wachstum der Omikron-Variante. Diese wird relativ rasch die vorherrschende Delta-Variante verdrängen. Gleichzeitig wird es zu einem Fallzahlanstieg kommen. Von einer Ruhe vor dem Sturm würde ich allerdings nicht sprechen, da wir zum einen aktuell keine Ruhe haben und die Metapher Sturm halte ich in diesem Zusammenhang für zu hoch gegriffen. Bilden die derzeitigen Infektionszahlen im Kreis überhaupt die Realität ab? Im vergangenen Jahr haben die Feiertage das Bild ja ebenfalls verzerrt. Aktuell werden in den Schulen keine Testungen durchgeführt, so dass allein schon hierdurch geringe Infektionszahlen festgestellt werden. Weiterhin ist auch von anderen Infektionswellen bekannt, dass über die Weihnachtsferien die Infektionen tatsächlich abnehmen, um im Nachgang dann wieder deutlich anzusteigen. Insofern glaube ich weniger, dass sie verzerrt sind, als dass tatsächlich die Infektionszahlen leicht zurückgegangen sind. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass nach Ende der Weihnachtsferien und Wiederaufnahme der vollen Arbeit in den Betrieben die Fallzahlen wieder nach oben gehen werden. Etwa in England liegt die Inzidenz mittlerweile bei ca. 1.900. Warum sind die Infektionszahlen dort weiterhin so hoch, während bei uns im Vergleich zu den Vormonaten die Tendenz absolut sinkend ist? Die hohen Fallzahlen in England hängen mit der Omikron-Variante zusammen. Momentan sieht es so aus, dass Omikron deutlich ansteckender ist. Wir machen die gleiche Beobachtung auch bei der Ermittlung von Kontakten. Erfreulicherweise gehen aber nicht die Zahlen der schweren Erkrankungsverläufe und die Notwendigkeit zur Krankenhausbehandlung in die gleiche Richtung, auch nicht in England. Man geht davon aus, dass die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bei Omikron ungefähr nur halb so hoch wie bei der Delta-Variante ist, muss allerdings berücksichtigen, dass durch die höhere Ansteckungsfähigkeit die Fallzahlen an Omikron insgesamt deutlich höher sind, was dann wieder zu einer insgesamt höheren Belastung der medizinischen Einrichtungen führen wird. Weiterhin wird berichtet, dass die Zahl der geboosterten Menschen in Großbritannien mit Einsetzen der Omikron-Variante noch nicht hoch war. Wir wissen aus Untersuchungen, dass der Schutz gegen Omikron für zweifach geimpfte Menschen wahrscheinlich um die 30 Prozent liegt, für dreifach geimpfte, also &bdquo;geboosterte“, bei 80 Prozent. Wenn also Omikron in England auf viele zweifach Geimpfte getroffen ist, erklärt dies die erhöhten Zahlen. Allerdings bleibt festzuhalten, dass auch die zweifach geimpften Menschen in der Regel nicht schwer an der Omikron-Variante erkranken, sodass sie einen erheblichen Nutzen haben von ihrer Impfung, auch wenn sie (noch) nicht &bdquo;geboostert“ sind. Werden sich die Zahlen bei uns in ähnliche Höhen entwickeln? Wenn ja, warum? Ich gehe von einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen aus. Zur genauen Höhe kann man in Moment noch keine validen Aussagen machen. Ich erwarte den starken Anstieg ab Mitte Januar mit einer schnell zunehmenden Tendenz und dem beschriebenen exponentiellen Wachstum der Infektionszahlen. Wie gesagt, wird die Wiederaufnahme der Schule, zunehmende berufliche Tätigkeit und die gleichzeitige Verbreitung der Omikron-Variante zu diesem Anstieg führen. Derzeit wird viel über die Gefährlichkeit von Omikron diskutiert. Wie schlimm ist die Variante wirklich? Omikron ist als Virus wahrscheinlich nicht gefährlicher als die bisher bekannten Varianten. Allerdings ist sie deutlich leichter zu übertragen. Umso wichtiger ist die Einhaltung der bekannten Hygiene – und Abstandsregeln. Insbesondere für geimpfte Menschen sehe ich durch Omikron keine besorgniserregende Gefährdung. Es wird eine Vielzahl von Infizierten, aber auch Erkrankten geben, deren Verlauf, aber in der Mehrzahl der Fälle nicht schwer ist. Was bereitet Ihnen derzeit am meisten Sorgen? Die Impf-Quote, die Omikron-Variante oder etwas ganz anderes? Die Impfquote, gerade im Kreis Minden-Lübbecke, wird durch die intensiven Maßnahmen der Kreisverwaltung und des Krisenstabes immer besser. Sie ist mit bundesweit 70 Prozent trotzdem weit entfernt von den erforderlichen mehr als 90 Prozent, sodass wir bei dieser Impfquote letztlich immer wieder Wellen von verschiedensten Coronavirusvarianten haben werden, bis fast die gesamte Bevölkerung entweder geimpft oder infiziert gewesen ist. Haben Sie mit Blick auf die Pandemie einen Wunsch fürs kommende Jahr? Ich wünsche mir für 2022, dass wieder sachlicher über die Pandemie gesprochen und in den Prognosen kommuniziert wird und weniger Horrorszenarien ausgemalt werden. Ich wünsche mir, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass es sich bei SARS-CoV-2 Virus inzwischen um eine endemische Infektion handelt, die nicht so schnell verschwindet und mit der wir uns arrangieren müssen. Wir brauchen dauerhafte Regelungen, die akzeptieren, dass es ein &bdquo;Null-Covid“ nicht geben kann, sondern es einer Abwägung aller gesellschaftlichen Erfordernisse, insbesondere der Bedürfnisse unserer Kinder bedarf.

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