Trotz vielen Austritten: Wie der evangelische Kirchenkreis Lübbecke handlungsfähig bleiben möchte

nw.de interviewte den Superintendenten des Kirchenkreises Lübbecke Mitte August im Kreiskirchenamt am Geistwall. Themen waren Kirchenaustritte, die Finanzen und die Situation in den Kitas in evangelischer Trägerschaft. Herr Gryczan, die Austritte aus den &bdquo;Volkskirchen“ nehmen seit Jahren zu, wie ist es im Kirchenkreis Lübbecke? Wie sehen die Statistiken der letzten Jahrzehnte aus? UWE GRYCZAN: Das ist leider ein Trend, der auch uns betrifft. Im Vergleich mit dem Landesdurchschnitt haben wir uns im Kirchenkreis Lübbecke zwar noch verhältnismäßig gut gehalten, denn wir haben prozentual weniger Austritte als viele andere Kirchenkreise, aber das sind statistische Feinheiten und ändert nichts an dem Trend. Um das Thema abnehmende Kirchenmitgliederzahlen richtig einordnen zu können, müssen wir alle Entwicklungen genau betrachten. Dazu gehört, dass ungefähr ein Drittel der Gesamtzahl zulasten des allgemeinen &bdquo;demografischen Faktors“ in unserer Gesellschaft geht, sprich es versterben mehr Menschen als neue hinzukommen. Zwei Drittel sind Austritte, die haben in den vergangenen Jahren zugenommen, während es früher vergleichsweise wenige Kirchenaustritte gab. Warum treten so viele Menschen aus der Kirche aus? Welche Altersgruppen sind betroffen? Unserer Beobachtung nach gibt es dafür mehrere Gründe. Insgesamt glauben nicht mehr so viele Menschen an Gott. Außerdem ist heute die Bindung an die Kirche nicht mehr so hoch. Viele Leute machen aber auch eine ganz einfache Rechnung auf, zum Beispiel frei nach dem Motto: Wenn ich nicht ins Fitnessstudio gehe, brauche ich auch kein Studiomitglied zu sein und spare mir die Beiträge – und wenn ich nicht in die Kirche gehe, kann ich auch auf die Kirchenmitgliedschaft verzichten und zahle keine Kirchensteuer. Das finde ich sehr schade, weil dadurch sehr viel Geld für seelsorgerische, diakonische und soziale Hilfeleistungen verloren geht. Aber letztendlich ist es in einer Demokratie die freie Entscheidung einer jeden Person, was sie mit ihrem Geld macht. Insgesamt kann man aber sagen, es gibt bei der Kirchensteuer eine gewisse Solidarität und Gerechtigkeit: Wer viel verdient, zahlt auch mehr. Wer zum Beispiel Rentner ist, zahlt gar keine Kirchensteuer mehr, es sei denn, er oder sie ist einkommensteuerpflichtig. In Lübbecke gab es gerade ein Tauffest auf dem Hünenbrink, hier wurden fast 30 Menschen neu in die Kirche aufgenommen. Ist das Interesse an solchen Formaten auch anderswo zu spüren? Ja, das Tauffest hat eine gute Resonanz gefunden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen für besondere Projekte der Kirche durchaus ansprechbar sind. Ein anderes Beispiel ist der &bdquo;Konfi-Ball“. Das Team vom Evangelischen Jugendpfarramt organisiert für alle Konfirmandinnen und Konfirmanden aus unseren Kirchengemeinden ein großes Fest, im vorigen und in diesem Jahr fand es in Nettelstedt statt. Das war ein voller Erfolg! Alle Jugendlichen kamen in ihren eleganten Anzügen und Kleidern und hatten reichlich Spaß. So behält man Kirche in guter Erinnerung. Auch Kinderbibelwochen sowie andere neue Aktionen finden gute Resonanz in den Gemeinden. Wir sind offen für neue Veranstaltungsformate und sehen uns auf einem guten Weg, immer auch mal wieder etwas Neues zu wagen. Planung der Kita-Plätze heute schwieriger als früher Sind die evangelischen Kindergärten auf die &bdquo;Schwemme“ neuer Kinder vorbereitet? Wir tun, was wir können. Wie alle Träger von Kitas spüren wir den Fachkräftemangel. Wir bilden in unseren Kitas junge Menschen aus und ermöglichen unseren Mitarbeitenden Fort- und Weiterbildungen. Das ist wichtig und kommt auch gut an. Wir haben sehr gute Teams in den Kitas, aber es ist trotzdem so, dass die Teams manchmal an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen, vor allem, wenn mehrere Mitarbeitende gleichzeitig erkranken. Wir brauchen eigentlich einen großzügigeren Personalschlüssel, der von der öffentlichen Hand finanziert wird. Außerdem ist es heute deutlich schwieriger, die korrekte Zahl an notwendigen Kita-Plätzen vorauszuplanen. Früher kamen Kinder erst mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten, heute werden Kinder teilweise schon mit einem halben Jahr in die Betreuung gegeben. Um es ganz klar zu sagen: Es ist gut, dass es diese Möglichkeit gibt, es macht bloß das Planen für die zuständigen Jugendämter und Kita-Träger nicht einfacher, weil die Zeit zwischen Geburt, Kita-Anmeldung und Bereitstellung eines Kita-Platzes deutlich geringer ist als früher. Wie sieht es mit der Refinanzierung, den Trägeranteilen bei den Kindergärten aus? Zunächst muss man sehen, dass der Gesetzgeber von den Kirchen einen deutlich höheren Eigenanteil an den Kosten ihrer Kindergärten abverlangt als von den weiteren Trägern der Jugendhilfe. Die Kirchen leisten diesen Finanzierungsanteil aus ihrem zunehmend rückläufigen Kirchensteueraufkommen. Seit langem fordern die Kirchen landesweit von der Politik, die Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Elterninitiativen gleichzustellen und mehr Geld in die Kita-Finanzierung zu geben. Im Grunde genommen brauchen alle Träger von Tageseinrichtungen für Kinder mehr Unterstützung von der öffentlichen Hand, um Kitas auskömmlich und zuverlässig zu betreiben. Ich möchte jetzt hier aber keine Schuldzuweisungen machen, denn auch die Politik, das Land NRW und ausdrücklich auch die Kommunen bemühen sich, innerhalb ihrer Möglichkeiten gute Lösungen zu finden. Ich kann nur sagen, dass hier bei uns im Gebiet des Kirchenkreises zurzeit intensive Gespräche mit den Städten und Gemeinden geführt werden, was die Finanzierungsgrundlagen angeht. Da möchte ich jetzt nicht vorgreifen. Zu den Finanzen: Sind die vielen kirchlichen Gebäude nicht mittlerweile eine Last? Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes &bdquo;steinreich“! Wir besitzen jahrhundertealte Kirchen, die große Kosten bei Sanierungen und für den laufenden Unterhalt verursachen. Allein das Aufheizen dieser Gebäude für Gottesdienste ist nicht gerade günstig. Viele Gemeindehäuser sind in den 1970er Jahren gebaut worden, als wir deutlich mehr Mitglieder und Geld sowie niedrigere Energiekosten hatten. Nun arbeiten wir an einer Bestandsaufnahme: Was ist wirklich noch sinnvoll? Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass in den Gemeinden die Menschen an ihren liebgewordenen örtlichen Gemeindehäusern hängen. Das geht mir ja auch so. Allerdings haben wir nicht mehr die Mitglieder und auch nicht die Finanzmöglichkeiten, um alle Gebäude weiterhin bewirtschaften zu können. Deshalb haben wir uns im Kirchenkreis im vergangenen Jahr gemeinsam auf den Weg gemacht, um überörtliche Planungsräume zu bilden. Es geht bei dieser Zusammenarbeit nicht um die Fusion selbstständiger Kirchengemeinden. Die Kirchengemeinden sollen unberührt bleiben; aber es wird notwendig sein, über die Gemeindegrenzen hinaus mit den Nachbarn verbindlich zu planen. Das gilt nicht nur für die Nutzung von Gebäuden, sondern auch in personellen Fragen. &bdquo;Ziel ist handlungsfähig zu bleiben“ Was sind interprofessionelle Pastoralteams, was machen sie? Pastorale Aufgaben sollen in der Evangelischen Kirche von Westfalen zukünftig verstärkt im Miteinander von Pfarrerinnen und Pfarrern sowie Diakonen und Gemeindepädagoginnen oder Mitarbeitenden aus der Kirchenmusik wahrgenommen werden. Das Ziel ist, handlungsfähig zu bleiben und weiterhin flächendeckend evangelische Arbeit anzubieten, selbst wenn die Kirchenmitgliederzahlen, die finanziellen Mittel und die Mitarbeiterzahl weiter sinken, so wie von der Landeskirche prognostiziert. Landesweit können zum Beispiel nicht mehr alle Pfarrstellen neu besetzt werden, weil es zu wenige junge Leute gibt, die das Amt einer Pfarrerin oder eines Pfarrers anstreben. Deswegen hat die westfälische Landeskirche die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um Kirchengemeinden eine überörtliche Zusammenarbeit zu erleichtern und Pastoralteams zu bilden. Die organisatorischen Grundlagen dafür haben wir bei uns im Kirchenkreis durch die Einrichtung von Planungsräumen gelegt. Wir sind gemeinsam gut gestartet, ich bin zuversichtlich, dass es auch gut weitergeht. Es gibt ja zwei Kirchenkreise im Kreis Minden-Lübbecke, ist das noch zeitgemäß? Andere Organisationen arbeiten doch schon längst für den ganzen Mühlenkreis? Zunächst muss man sagen, dass es schon seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit der benachbarten Kirchenkreise Herford, Minden, Vlotho und Lübbecke gibt, zum Beispiel in der Erwachsenenbildung, Schul- und Telefonseelsorge. Das klappt sehr gut und wir können so den Menschen hier in der Region viele Angebote machen. Diese positive Erfahrung wollen wir nutzen, um die Zusammenarbeit weiter auszubauen. Im vergangenen Jahr haben die vier Kirchenkreise beschlossen, ab 2026 eine gemeinsame Verwaltung zu etablieren. Zurzeit sind wir intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt.

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