Jahrhunderte altem Familienbetrieb droht das Ende

Lübbecker Land. Gegen 9 Uhr morgens versammeln sich rund 30 Landwirtinnen und Landwirte am Getreidesilo der Raiffeisen Ostwestfalen-Lippe AG. Von dort aus machen sich die Landwirte in Traktoren und Begleitfahrzeugen schließlich auf den Weg zur angekündigten Demonstration auf dem Mindener Simeonsplatz. Auf dem Weg dorthin kommen der Gruppe nur wenige Fahrzeuge entgegen, die Straßen sind deutlich weniger frequentiert, als üblich. Hin und wieder reiht sich an Ampelkreuzungen ein Pkw ein. Einige Landwirte machen Halt, um anderen Verkehrsteilnehmern die Vorfahrt zu gewähren, Rettungsfahrzeugen machen sie schnellstmöglich Platz. Gelegentlich stehen einige Passanten am Straßenrand, winken und strecken die Daumen in die Höhe. Von bedrohlichen Szenarien, wie sie in sozialen Netzwerken teils von den Vortagen geschildert wurden, keine Spur. Ob er sich Sorgen um eine mögliche Instrumentalisierung der Proteste für rechte Zwecke mache? &bdquo;Nein, eigentlich nicht“, sagt der Preußisch Oldendorfer Wald- und Ackerbauer Christian Niermann. Von all den Landwirten, die ihm bekannt sind, würde er sich bei keinem Sorgen über eine derartige Gesinnung machen, versichert er. Während sein Traktor langsam über die Straßen ruckelt, erzählt er von seinem Verständnis der Landwirtschaft, von seiner Beziehung zum landwirtschaftlich geprägten Dorf und davon, wie sehr zwei seiner Töchter sich für den Ackerbau begeistern. &bdquo;Wenn geackert werden muss, dann wird vorher genau verhandelt, wer welche Fläche machen darf, damit beide genug zu tun haben“, lacht er. Am Ende würden seine Töchter dann meistens gemeinsam auf dem Traktor sitzen und sich beim Fahren abwechseln. Den Familienbetrieb aufrechterhalten Aktuell studieren sie noch Bioverfahrenstechnik und Psychologie, möchten den Betrieb aber irgendwann, zumindest im Nebenerwerb, weiterführen. Er hoffe, dass die Attraktivität des Berufes bis dahin nicht so sehr gelitten habe, dass er zu einer Belastung für seine Töchter würde. Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, die Verbundenheit seiner Töchter zum Land und zur Landwirtschaft aufrechtzuerhalten, sei sein Wunsch. Die &bdquo;Hofstelle Niermann“ in Schröttinghausen sei bereits auf einer Karte aus dem 18. Jahrhundert verzeichnet. Bis in seine Generation hat es noch geklappt, mit dem Erhalt des landwirtschaftlichen Betriebes, den er neben einem forstwirtschaftlichen Betrieb im Nebenerwerb führt. &bdquo;Ich wünsche mir, dass auch meine Kinder und Kindeskinder den Beruf noch mit Freude ausüben können“, sagt er. Dafür sei es aus seiner Sicht notwendig, eine sachliche und faktenbasierte öffentliche Debatte zu führen, auf der politische Entscheidungen zukünftig fußen können. Aktuell sei diese aus seiner Sicht zu ideologisch und praxisfern. Das habe auch dazu beigetragen, dass viele Verbraucher inzwischen ein verzerrtes Bild von der Landwirtschaft haben. &bdquo;Es möchte garantiert kein Landwirt etwas Schlechtes für sein Land“, ist er sicher. Es sei absurd zu glauben, dass ein Landwirt durch übermäßigen Gebrauch von Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln unnötig den Boden belaste, der ihm sein Auskommen sichern soll. Situation der Landwirte spitzt sich zu Christian Niermann, der unter anderem ein Chemiestudium mit Staatsexamen absolvierte, hält es für wichtiger, sich vor Augen zu führen, dass viele importierte Lebensmittel mit Stoffen belastet seien, die in Deutschland schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten nicht mehr eingesetzt werden dürften. Je weiter die regionale Lebensmittelerzeugung durch kleine bis mittlere landwirtschaftliche Unternehmen zurückgehe, desto mehr müsse jedoch importiert werden. Eine Entwicklung, die aus seiner Sicht nur durch mehr Wertschätzung und Verständnis der Verbraucher und ein Einlenken der Politik erreicht werden könne. In einer Aufzählung versucht er zu vermitteln, durch welche politischen Entscheidungen die Wirtschaftlichkeit der Betriebe in den vergangenen Jahren eingeschränkt worden sei. Die jetzt angekündigten, und zum Teil bereits revidierten, Pläne bezüglich der Kürzung von Agrardieselsubventionen und Kfz-Steuerbefreiung seien dabei aus seiner Sicht nur der Gipfel einer jahrelang verfehlten Agrarpolitik gewesen. Schon Maßnahmen wie die vierprozentige Flächenstilllegung haben die deutsche Landwirtschaft demnach im internationalen Wettbewerb benachteiligt. Auch viele Begrifflichkeiten halte er für missverständlich oder irreführend, wie etwa die Agrardieselsubvention. Es handele sich dabei vielmehr um eine Erstattung von durch die Landwirte zu viel gezahlten Steuern. Der Diesel würde zu 90 Prozent auf Ackerflächen verfahren und nicht auf den Straßen, für deren Instandhaltung die Steuern gedacht seien. Daher bekäme man sie als Landwirt erstattet. Landwirtschaft beeinflusst dörfliche Strukturen Hinzu kämen dann die Kfz-Steuern und damit auch steigende Versicherungskosten. Eine Absenkung der Umsatzsteuerpauschalierung von 10,7 auf 8,4 Prozent habe den Landwirten ebenfalls Einbußen beschert. Auch habe seit dem Ukrainekrieg eine extreme Verteuerung der Betriebsmittel stattgefunden, die Erzeugerpreise seien aber nicht entsprechend angehoben worden. Und eine Grundsteuererhöhung, wie sie in Preußisch Oldendorf bereits beschlossen ist, werde viele Landwirte bald zusätzlich belasten. Bei alldem gibt er zu bedenken, dass das Höfesterben nicht allein auf die Lebensmittelproduktion fatale Auswirkungen hätte. Landwirte spielen in seinen Augen eine entscheidende Rolle im Erhalt dörflicher Strukturen. Viele der Landwirte seien zur Stelle, wenn die Schäden durch Wetterereignisse eingedämmt werden müssten, würden sich ehrenamtlich engagieren und nicht zuletzt auch den Erhalt kleinteiliger landwirtschaftlicher Strukturen ermöglichen. &bdquo;Man könnte so viele intelligente Dinge mit den Landwirten zusammen machen. Für echten Klimaschutz muss man an einem Strang ziehen“, betont er. Kurz vor Minden erleben die Landwirte dann einen Moment der Verunsicherung. An einer roten Ampel steigt aus einem der Fahrzeuge, die sich unterwegs unter die Traktoren gemischt haben, ein Mann aus, steuert zielstrebig den nächsten Traktor an und klettert die Stufen hoch. Heiko Franke, ebenfalls Landwirt in Schröttinghausen, stellt sichtlich irritiert sein Radio aus, die beiden unterhalten sich kurz, dann steigt der Mann die letzte Stufe hoch und in die Kabine ein, um im Traktor bis zum Simeonsplatz mitzufahren. Landwirtschaft ist vielfältig Dort angekommen, hören die Landwirte sich die Kundgebung an. Dabei fallen die Reaktionen längst nicht einheitlich aus. Dass Landwirtschaft vielfältig sei, wird an vielen Stellen betont. Auch in der Debatte wird das deutlich. Einige anwesende Landwirte kritisieren etwa diejenigen, die die Redner mit lautstarken Zwischenrufen und Pfiffen stören. Iris Niermeyer, Teamsprecherin des Kreisvorstandes der Landfrauen, betont wie wichtig es sei, dass die Lebensmittelproduktion in Deutschland bleibt und nicht immer weiter abwandert, wie es in Teilen, wie der Gemüseproduktion, bereits der Fall sei. Landrat Ali Dogan hebt hervor, wie wichtig die Landwirtschaft nicht nur im Mühlenkreis, sondern deutschlandweit auch als Wirtschaftsfaktor sei. Als Leiter der Kreispolizeibehörde lobt er außerdem den friedlichen Ablauf der Proteste. Auch, dass er die Komplexität der Probleme überblickt, zu denen mehr gehört, als die Agrardieselsubvention, macht er deutlich. &bdquo;Wer heute einen Stall auf 20 Jahre Finanzierung bauen will, weiß nicht, ob seine Kalkulation morgen noch funktioniert. So kann und so darf das nicht gehen“, sagt er. CDU-Bundestagspolitiker Oliver Vogt betont, es gehe um die Ernährungs- und Versorgungssicherheit in Deutschland und kritisiert die Agrarpolitik, an der auch die CDU in der Vergangenheit einen Anteil gehabt habe. Passanten zeigen Solidarität Als Christian Niermann am Nachmittag zurückfährt, stehen viele Passanten an den Straßen und solidarisieren sich mit den Landwirten. Viele Kinder winken ihnen zu, zwei von ihnen stehen mit einem selbst gebauten Pappkarton-Traktor und blinkender Signalleuchte am Straßenrand. Kurz bevor er seinen Hof erreicht, fährt Christian Niermann durch die kleinen Dörfer im Preußisch Oldendorfer Umland. Hinter den Fenstern der verstreuten Höfe brennt Licht. &bdquo;Wenn diese landwirtschaftliche, dörfliche Struktur erst einmal zerstört ist, wird sie sich kaum wieder aufbauen lassen“, sagt er. Je weniger kleine Höfe erhalten blieben, desto mehr industrielle Betriebe würden es werden.

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