100 Jahre Freilichtbühne Nettelstedt: Langweilig war’s in Lübbecke nie

Lübbecke-Nettelstedt. Die Freilichtbühne Nettelstedt ist in Feierlaune. 100 Jahre alt wird das Open-Air-Amateurtheater auf dem Hünenbrink in diesem Jahr. 100 Jahre? Ins Vereinsregister wurde der Verein &bdquo;Freilichtbühne-Spielgemeinde Nettelstedt“ 1951 eingetragen. Das wären 72 Jahre. Andererseits reichen die Anfänge der Bühne sogar bis ins Jahr 1919 zurück: Da wurden auf &bdquo;Surmeiers Deele“ zum Erntefest zwei Stücke aufgeführt. Das wären dann 104 Jahre. Der offizielle Beginn &bdquo;Sonntag, 9. September 1923, 16.15 Uhr – das ist für uns die offizielle Geburtsstunde der Freilichtbühne“, sagt Jana Wehmeyer, die im Verein zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit ist. Da begann nämlich die erste Vorstellung auf einem &bdquo;ungestaffelten Grünhang vor der zufälligen Waldkontur des Spielhügels“, wie es ein bisschen umständlich in den Annalen heißt. Ganz am Anfang wurde noch auf einer Bretterbühne gespielt, die sich ungefähr auf dem heutigen Platz vor der Aufgangstreppe befand: &bdquo;Die Zuschauer standen am Hang und blickten auf die Bühne hinunter“, erläutert Thomas Kracht, langjähriges Vorstandsmitglied der Freilichtbühne. Große Erfolge, große Krisen Gleich zwei Väter hatte das Neugeborene: Karl Meyer-Spelbrink und Wilhelm Korte. Beide übernahmen Hauptrollen in dem ersten Stück, &bdquo;Wilhelm Tell“, und prägten den Start und weiteren Lebensweg der Bühne maßgeblich. Jede Menge Paten sorgten dafür, dass das Kind behütet groß werden konnte: 300 Mitwirkende standen allein beim &bdquo;Tell“ auf der Bühne, Generationen engagierter Amateurschauspieler und -schauspielerinnen sollten ihnen folgen, sodass bis heute 196 Stücke aufgeführt werden konnten. Es gibt also einiges, auf das die Freilichtbühne in ihrem Jubiläumsjahr zurückblicken kann. Große Erfolge zum Beispiel – wie die Wilhelm-Tell-Aufführung 1928. Damals pilgerten sage und schreibe 113.000 Besucher zur Spielstätte. &bdquo;Die Leute kamen mit Sonderzügen, die unten am Bahnhof Nettelstedt hielten, und von da aus zogen die Karawanen hier hoch“, erzählt Thomas Kracht. Solche Zahlen seien nie wieder erreicht worden. &bdquo;Wenn wir heute 12.000 Zuschauer in einer Saison haben, dann ist das solide. 20.000 sind sehr gut.“ Oder große Baumaßnahmen: Im Jahr 1929 wurde der Turm auf dem Hünenbrink vollendet, 1962 wurde den Zuschauern ein Dach über dem Kopf spendiert, 1979 der Eingangsbereich und der Bühnenvorplatz völlig neu gestaltet. Und so weiter und so weiter – ein bisschen gebaut wird immer. Die Bühne am Scheideweg Auch große Krisen gab es: Ende der Sechziger/Anfang der Siebziger gingen die Zuschauerzahlen immer mehr zurück. Die Bühne stand am Scheideweg: aufgeben oder weitermachen? Die finanzielle Lage war dramatisch. Hätte der Vorstand nicht persönlich gebürgt, wäre damals Schluss gewesen. &bdquo;Aus dieser Krise hat uns vor allem das Kinderstück, wie es damals noch hieß, herausgeholfen, das von Wolfgang Hovemeyer eingeführt wurde“, erinnert Kracht an den bis ins hohe Alter aktiven Amateurschauspieler, der im April gestorben ist. &bdquo;Sein Tod hat uns alle sehr getroffen. Sein erstes Kinderstück war übrigens Schneewittchen“, fügt Jana Wehmeyer an. Eine moderne Fassung des Märchens wird auch im Jubiläumsjahr aufgeführt. &bdquo;Da schließt sich ein Kreis.“ Immer wieder wagte sich der Verein an Neues. 1987 wurde mit Karlheinz Komm zum ersten Mal ein Regie-Profi engagiert – damals ein Experiment, heute fast eine Selbstverständlichkeit. 1997 gab es den ersten Krimi, 2001 das erste Musical als Abendstück (&bdquo;Prairie Saloon“). An die &bdquo;Feuerzangenbowle“ erinnern sich alle gern Heiß geliebt vom Publikum und von den Akteuren war die &bdquo;Feuerzangenbowle“ (2002): &bdquo;Die Stimmung war grandios. Egal obs Sturzbäche geregnet hat und das künstliche Grau aus den Haaren übers Gesicht lief, wir haben weitergespielt.“ Aber nicht alle Stücke waren Selbstläufer. Ganz und gar ungeliebt blieb die &bdquo;Schatzinsel“ zehn Jahre später. Die sei, um eine der Figuren zu zitieren, &bdquo;Fromage“ – Käse – gewesen, gibt Thomas Kracht rückblickend zu. Und was war sonst noch in diesen hundert Jahren? Viele frivole Wintertheater-Komödien; eine vollständig vom Winde verwehte Kulisse (1976); eine Premiere, die wegen eines Fußballweltmeisterschaftsspiels ausfallen musste (1978); ein Zwei-Personen-Stück auf der großen Naturbühne während der Corona-Zeit; eine sehr aktive Jugendgruppe, die mit &bdquo;The Lightning Thief“ 2022 sogar eine deutsche Uraufführung auf die Beine gestellt hat, und und und. Langweilig waren diese 100 Jahre nicht. Und wenn am Pfingstsonntag Premiere des neuen Familienstücks ist und es wieder heißt &bdquo;Das Spiel beginne!“, wird auch der Start in eine ganz besondere Saison eines ziemlich sicher nicht: langweilig.

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