Weltfrauentag

Nur wenige Lübbecker Straßenschilder erinnern an Frauen

Die Lübbecker Grünen hatten eine Stadtführerin eingeladen, um sich auf die Spuren starker Frauen zu begeben. Was sie fanden, war außergewöhnlich.

Tanja Behring (v. l.), Ines Spilker, Katia Bahari, Jutta Meinhardt, Margret Möllering, Kerstin Wöbbeking und Christiane Brune-Wiemer kamen im Lübbecker Büro der Grünen zusammen. | © Ilka Gülker

14.03.2023 | 15.03.2023, 11:31

Lübbecke. Mit „Meine Damen“ begann der Vortrag von Stadtführerin Margret Möllering am Abend des Weltfrauentages. In diesem Jahr fiel er außerdem auf den Folgetag des sogenannten Equal Pay Days, der symbolisch für die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen steht. Das zu ändern, erfordert Aufmerksamkeit. Und die wollten die Ratsfrauen, die im Büro der Grünen zusammengekommen waren, in diesem Jahr insbesondere den Frauen schenken, die in der Lübbecker Geschichte viel bewegt haben.

Straßennamen in Lübbecke erinnern an die Frauen

„Stille Heldinnen“ nannte Margret Möllering die Frauen, über deren Lebensgeschichte und Engagement sie erzählte. Nur vier ihrer Namen würden sich bislang auf Lübbecker Straßenschildern verewigt finden, ein fünfter Name sei beantragt, bislang aber nicht berücksichtigt worden. Letzterer ist der von Freiin Caroline von der Recke, die gemeinsam mit ihrer Schwester Luise im Jahr 1856 das Obernfelder Pflegehaus gründete. Damit durchbrachen die beiden ledigen Frauen die Normen und das ständische Denken ihrer Zeit. Weil sie sich finanziell weitgehend unabhängig machen wollten, soll ihre Mutter in Adelskreisen um Handarbeitsspenden gebeten haben, deren Erlös in den Bau des Pflegehauses geflossen sein soll, das noch heute pflegebedürftige Menschen beherbergt.

Weitere Projekte, die die Schwestern planten, ließ man sie trotz des realisierten Pflegehauses nicht umsetzen – weil sie keine Männer waren. Als Visionärinnen ihrer Zeit wollten sie auch ein Männerwohnheim und Armenhäuser errichten, in denen junge Frauen zu Diakonissen hätten ausgebildet werden sollen. Frauen, die diese Ausbildung anstrebten, gingen beispielsweise nach Berlin, um sie zu absolvieren, kehrten aber nur selten in das Lübbecker Land zurück. Das karitative Gelöbnis, das Caroline von der Recke ablegte, hielt sie bis an ihr Lebensende.

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Stiftung zum Bau der Isenstedter Kirche

Ein Beispiel an ihrem Werk wollte sich der Stadtführerin zufolge auch Agathe Stille nehmen, die es ebenfalls als ihre christliche Pflicht ansah, sich um die Armen und Bedürftigen zu kümmern. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie mit Herausforderungen zu kämpfen, die in aktuellem politischen Kontext aufhorchen lassen: Vor rund 150 Jahren fiel die Ernte im Lübbecker Land schlecht aus und der Krim-Krieg trieb die Lebensmittelpreise in die Höhe. Verarmung und Verwahrlosung waren die Folgen, gegen die die damalige Gutsherrin Renkhausen etwas unternehmen wollte. Sie gründete allen Widrigkeiten ihrer Zeit zum Trotz eine Stiftung zum Bau der Isenstedter Kirche. Seit deren Einweihung im Jahr 1880 war es für die Frotheimer und Isenstedter nicht mehr nötig, den langen Fußweg zur Gehlenbecker Kirche zurückzulegen. An den Namen der Gründerin erinnern heute die Agathe-Stille-Straße, an der die Kirche steht, sowie der Agathe-Stille-Weg in Lübbecke.

Stadtführerin Margret Möllering erzählte die Geschichten beeindruckender Frauen aus Lübbecke und stieß dabei auch auf erstaunliche Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen. - © Ilka Gülker
Stadtführerin Margret Möllering erzählte die Geschichten beeindruckender Frauen aus Lübbecke und stieß dabei auch auf erstaunliche Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen. | © Ilka Gülker

Einen direkteren Weg, für das eigene Andenken zu sorgen, fand die langjährige Lübbecker Bibliothekarin Gretchen Holle, die vielen der anwesenden Frauen noch in lebhafter Erinnerung war. Nach ihrer Pensionierung habe sie angeboten, der Stadt eine beachtliche Summe zu hinterlassen, sollte ihr Name dafür auf einem Straßenschild verewigt werden. Vom Erfolg ihrer pragmatischen Herangehensweise zeugt heute der Dr.-Gretchen-Holle-Platz.

Erste Lübbecker Ratsfrau

Margret Möllering stellte den Lübbecker Ratsfrauen auch Anna Haddewich vor, die 1927 als erste Frau Mitglied des Lübbecker Stadtrats war. Unter den Nationalsozialisten musste sie ihr Amt niederlegen und wurde erst nach Kriegsende von der britischen Militärregierung wieder eingesetzt. Im Jahr 1952 zog sie als erste Frau in den Kreistag ein. Damit sei sie die erste politisch aktive Lübbeckerin gewesen, die Spuren hinterlassen hat. Die prominenteste aber sei Antje Vollmer, ehemalige Vizepräsidentin des Bundestags.

Neben Agathe Stille und Gretchen Holle waren Elisabeth Rausch und Emmy Zehden Namensgeberinnen zweier Lübbecker Straßen. Die Lehrerin Elisabeth Rausch führte als ledige Frau ein selbstbestimmtes Leben, das ihrer Zeit weit voraus war. Sie baute zwei Wohnhäuser, die noch heute stehen sollen, und setzte sich aktiv für die Sauberkeit der Stadt ein. Damit sei sie das vielleicht erste „grüne Vorbild“ in Lübbecke gewesen, scherzte die Stadtführerin.

Emmy Zehden versuchte, drei junge Männer, darunter ihren Ziehsohn, vor dem Kriegsdienst zu bewahren, indem sie sie versteckte. Dafür wurde sie zum Tode verurteilt und 1944 mit dem Fallbeil hingerichtet. Ihr Ziehsohn Horst Schmidt sei dabei gewesen, als der Emmy-Zehden-Weg eingeweiht wurde, weiß Margret Möllering.

Schulbesuch in Minden-Lübbecke nur mit Erlaubnis möglich

Auch Hilde Ruben, die als erste Lübbecker Frau eine Promotion schaffte, fand Erwähnung, ebenso wie die Hausherrin der Familie Kemner, die während der Boykotte an den Geschäften ihrer jüdischen Mitbürger demonstrativ weiterhin dort eingekauft haben soll.

Dass die Zeiten, in denen Frauen über deutlich weniger Rechte verfügten als Männer, noch gar nicht so lange zurückliegen, wurde im anschließenden Gespräch unter den Frauen deutlich: „Als ich hier an der Realschule angefangen habe, hätte ich theoretisch noch meinen Mann um Erlaubnis fragen müssen“, sagt die ehemalige Realschullehrerin Möllering. Sie befürwortet die Aktion anlässlich des Frauentages: „Es ist gut, etwas zu machen, damit die Aufmerksamkeit bleibt.“ Die Lübbecker Ratsfrauen können sich vorstellen, die interfraktionellen Treffen zum Weltfrauentag zur Tradition zu machen.