Schlachthof: Wie Westfleisch ausländische Mitarbeiter integrieren will

Lübbecke. Seit Westfleisch zwischen Jockweg und Roter Mühle nur noch Rinder und keine Schweine mehr schlachtet, hat sich die Zahl der Mitarbeiter von 520 auf 940 erhöht. In zwei Schichten töten, zerlegen und verpacken sie jährlich fast 200.000 Tiere und erwirtschaften damit fast eine halbe Milliarde Euro Umsatz. "Geht es Westfleisch gut, geht es auch den Bauern gut", sagt Standort-Chef Christoph Clemens, der alle Zahlen im Kopf hat und betont, das Unternehmen sei eine Genossenschaft: "Bei uns gibt es keinen Herrn Westfleisch." Dafür Mitarbeiter aus aller Herren Länder. Etwa 60 Nationen seien unternehmensweit vertreten, sagt Cristian Opris. Er muss es wissen, denn seine Aufgabe als Integrationsbeauftragter ist es, dafür zu sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen sich in der neuen Heimat zurecht finden. Dabei unterstützen die Neuen sogenannte "Kümmerer", in Lübbecke beispielsweise der aus dem Elsass stammende Marc Bugna (59). Der berichtet: "Ich bin zwei Tage in der Woche freigestellt und spreche mit den Mitarbeitern in ihren Wohnungen und Unterkünften." An den beiden Tagen legt der gebürtige Franzose etwa 150 Kilometer zurück - vor allem im Lübbecker Land. Unterkunft mit gravierenden Mängeln Espelkamp kennt Bugna gut, einschließlich der Westfleisch-Sammelunterkunft für 19 Werksarbeiter auf engstem Raum, die die Bezirksregierung Detmold im Mai vergangenen Jahres nach einer Kontrolle umgehend geschlossen hatte. Wegen "gravierender Mängel" in mehreren Bereichen. "Da haben wir vielleicht nicht genau genug hingeschaut", räumt der Leiter der Unternehmenskommunikation, Meinhard Born, ein. Danach sei das Gebäude komplett saniert worden, ergänzt Bugna: "Das ist ein richtiges Schmuckstück geworden." Auch mit Neubauten inklusive Hausmeister reagiert das Unternehmen auf den gewachsenen behördlichen und öffentlichen Druck, unter anderem in Pr. Oldendorf-Hedem und im Lübbecker Ortsteil Alswede. Noch befinden die Unterkünfte sich im Planungsstadium. Doch die Anwohner sind schon jetzt alles andere als begeistert. Der gleichzeitige und plötzliche Zuzug von 90 Personen bereitet den Hedemern deutliches Unbehagen. Sie haben einen Anwalt beauftragt, um sich ein Bild von der baurechtlichen Lage zu verschaffen und die rechtlichen Möglichkeiten auszuloten. Nachbarn melden nächtliche Ruhestörung Und auch in Alswede gebe es einige Bedenken, bestätigt Ortsvorsteher Michael Tiemeier auf nw.de-Anfrage. Ob die Dorfgemeinschaft wie in Hedem auch in Alswede eine Bürgerversammlung zu den Westfleisch-Plänen organisieren wird, ist Tiemeier zufolge noch nicht entschieden. Ein Stichwort, das im Zusammenhang mit Westfleisch-Unterkünften fällt, sind befürchtete Ruhestörungen. So hat eine Nachbarin am letzten Maiwochenende das Lübbecker Ordnungsamt über "lautstarke Diskussionen bei geöffnetem Fenster, teilweise auch mit lauter Musik" in der Niedertorstraße informiert. In einer Art Wohnheim seien Mitarbeiter verschiedener Nationalitäten untergebracht. Da ihrer Meinung nach auch Corona-Regeln verletzt wurden, erstattete sie Anzeige. Vermieterin und Hausverwaltung erhielten Kopien des Schreibens. Darin schildert die Anwohnerin, dass "lautes Mitsingen und Schreien alkoholisierter Personen" sie und ihren Mann um den Schlaf brachten. Kurz vor Mitternacht hätten sie die Polizei gerufen: "Danach trat Ruhe ein." Rumänen als größte Ausländergruppe Polizei und Ordnungsamt ist der Vorgang bekannt, findet als kleinere Verfehlung aber keine besondere Beachtung. Auch Westfleisch bestätigt die Ruhestörung. Man habe sich gekümmert und mit den Leuten gesprochen, ihnen gesagt, sie sollten die ab 22 Uhr geltende Nachtruhe beachten und ihre Nachbarn respektieren, so Bugna: "Seitdem ist Ruhe." Der Westfleisch-Kümmerer zeigt aber auch ein gewisses Verständnis. Die Leute hätten die ganze Woche gearbeitet: "Und ich war auch mal jung." Mit rund 140 Personen gehören Rumänen zur größten Gruppe ausländischer Werksarbeiter in Lübbecke. Einer von ihnen ist Cristian Brad. Der Vorarbeiter in der Zerlegung ist 28 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Das eine ist zwei Jahre alt, das andere wurde vor wenigen Monaten geboren. Brad ist seinem Vater nach Lübbecke gefolgt, der seit 2008 für Westfleisch arbeitet und seinen Sohn vier Jahre später nachholte. 2016 folgten Mutter Brad und der zweite Sohn. Beide sind ebenfalls für das Fleischunternehmen tätig. Mindestens 10,80 Euro pro Stunde Familie Brad stammt aus Sighi?oara (deutsch: Schäßburg). Das liegt in der durch die Legende um Graf Dracula bekannten Region Transsilvanien, auch Siebenbürgen genannt. "Es gibt dort keinen großen Betrieb", erzählt Cristian Brad. Auch sei der Verdienst in Deutschland besser. Obwohl er kein Deutsch sprach, folgte er seinem Vater nach Lübbecke, denn "ich träume von einem guten Leben". Seinem Traum ist er inzwischen ein gutes Stück näher gekommen. Aber nicht in Rumänien, wohin er ursprünglich zurückkehren wollte, um ein Geschäft zu eröffnen. Sondern im Lübbecker Land: Cristian Brad ist verheiratet, hat in Pr. Oldendorf ein Haus gekauft und fährt mit dem eigenen Wagen zur Arbeit. In seiner Freizeit spielt er Fußball in Alswede, geht mit seiner Frau und den Kindern spazieren oder besucht seine Eltern. Auch regelmäßig Sommerurlaub in der Heimat, wo die Menschen weniger distanziert seien als in Deutschland, kann der 28-Jährige sich leisten. 80 Prozent der Westfleisch-Mitarbeiter verdienten mehr als den gesetzlichen Mindestlohn, sagt Unternehmenssprecher Born: "Wir reden über 10,80 Euro. Ein guter Zerleger liegt deutlich darüber." »Das will keiner machen« Und warum stammen drei von vier Mitarbeiter, die in Lübbecke arbeiten, aus anderen Ländern? Weil sie einfach nicht genügend Deutsche finden könnten, versichern Born und Opris übereinstimmend. Das liege zum Teil an dem sehr hohen Lebensstandard in Deutschland, meint der Integrationsbeauftragte. Born nennt zudem Faktoren wie Image und Belastung durch die Arbeit im Schlachthof: "Das will keiner machen." Biete Westfleisch zum Beispiel über die Arbeitsagentur 350 Jobs an, kämen nach Info-Tag und Vertragsgesprächen am ersten Tag weniger als zehn Prozent, sagt Born. Folglich sehe man sich über Familienkontakte und internationale Netzwerke in anderen Ländern um. "Wir reden über Arbeitsmigration, nicht über Armutsmigration", betont Opris und meint: "Vorurteile gibt es in beide Richtungen." Welcher Müll gehört in welche Tonne? Als das Thema Mülltrennung angesprochen wird, müssen die Westfleisch-Leute schmunzeln. Natürlich wüssten sie, dass das in Deutschland wichtig sei, heißt es übereinstimmend. Cristian Opris verweist auf die firmeneigene Informationsbroschüre &bdquo;Leben in Deutschland”. Darin ist auf Deutsch und Rumänisch nachzulesen, welcher Müll in welche Tonne gehört. "Bürgerbüro, Girokonto, Krankenversicherung, Finanzamt - wir unterstützen die neuen Mitarbeiter und wir versuchen wirklich alles. Aber zwingen können wir niemanden."

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