Mehrere Babys gerettet: So funktioniert die Babyklappe in Minden-Lübbecke

Hüllhorst. Anfang Januar erst wurde in Bielefeld ein Baby bei klirrender Kälte in der Nähe einer Schule ausgesetzt. Für den unterkühlten Säugling bestand akute Lebensgefahr. Um Schwangeren in Not einen Ausweg zu bieten, wurden schon vor mehr als 20 Jahren Babyklappen in Deutschland eingerichtet. Auch in Hüllhorst gibt es seit Dezember 2000 in einem Wohnhaus an der Hauptstraße eine solche Einrichtung. Im Interview spricht Annette Tietze vom Team der Babyklappe über das Angebot. ++UPDATE: Nach wenigen Monaten wurde das 15. Neugeborene in die Hüllhorster Babyklappe abgelegt +++ Frau Tietze, was gab vor 20 Jahren den Anstoß, in Hüllhorst ein solches Angebot einzurichten? Annette Tietze: Wir haben im Bekanntenkreis darüber gesprochen, dass so viele Babys zu Tode kommen, weil sie ausgesetzt werden. Im April 2000 wurde vom SterniPark (ein freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe) in Hamburg die erste moderne Babyklappe in Deutschland eröffnet. Anlass war seinerzeit, dass ein Baby tot im Müll gefunden worden war. Der SterniPark war sehr großzügig und hat Interessierten angeboten, sein Wissen weiterzugeben. Wir sind damals zu zweit nach Hamburg gefahren und sind mit dem Gedanken zurückgekehrt in meinem Wohnhaus ein Babykörbchen einzurichten. Unser Windfang am Haus schien der ideale Platz dafür. Im Unterschied zu Hamburg planten wir keine Klappe, sondern einen Raum, der durch eine Tür betreten wird. Hier ist es auch sehr diskret, weil wir keine Nachbarn drumherum haben. Wie ging es weiter? Wir mussten zunächst das Jugendamt mit ins Boot holen und das Vorhaben auch in unserer Gemeinde der Freien Christen Gemeinde Eickhorst besprechen, denn ohne Träger lässt sich das nicht umsetzen. Zur gleichen Zeit gab es übrigens auch in Minden die Idee einer Babyklappe, doch wir waren in Hüllhorst dann etwas früher in der Umsetzung. Auf der bunten Adventsstraße haben wir unser Projekt erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und es wurde in der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen. Es gab nur wenige Bedenkenträger. Das Körbchen für das Kind hat 37 Grad Wie genau funktioniert das Babykörbchen? Der Raum mit der Wiege ist nachts auf 26 Grad beheizt, das Körbchen für das Kind hat 37 Grad. Das ist wichtig, falls ein Baby unterkühlt sein sollte. Die Tür zum Raum ist rund um die Uhr geöffnet. Wenn die Mutter ihr Kind in die Wiege gelegt hat, wird durch eine Lichtschranke die Telefonanlage mit mehreren nachgeschalteten Rufnummern aktiviert, sodass wir wissen, dass ein Baby abgelegt wurde. Drei Minuten nach Betreten verschließt die Tür aus Sicherheitsgründen von außen automatisch. Die Mutter kann den Raum aber zu jeder Zeit von innen wieder verlassen. Welche Gefühle beschleichen Sie, wenn Sie ein Neugeborenes im Babykörbchen sehen? Man ist immer ein bisschen aufgeregt und freut sich darüber, dass ein Neugeborenes angekommen ist und nicht ausgesetzt wurde und Schaden genommen hat. Dann läuft aber auch schon fast automatisch das weitere Programm ab. Die Auffindesituation muss zu Dokumentationszwecken fotografiert werden und wir vergewissern uns als Erstes, dass es dem Baby gut geht. Die Kinder sind oft in recht unterschiedlichem Zustand. Manche Babys sind perfekt angezogen, andere noch nicht einmal abgenabelt. Im nächsten Schritt bringt der jeweilige Bereitschaftsdienst das Neugeborene unverzüglich ins nächste Krankenhaus, wo es weiter untersucht und versorgt wird. Wie geht es für das Neugeborene anschließend weiter? In der Regel verbleibt das Baby ein bis zwei Tage im Krankenhaus. Früher haben wir die Babys dann anschließend in eine Bereitschaftspflegefamilie gebracht. Das ist heute anders, die Rechtslage hat sich geändert. Gemeinsam mit dem Jugendamt holen wir das Kind ab und geben es in die Pflege potenzieller Adoptionseltern. Dadurch soll zum Wohle des Kindes ein unnötiger Wechsel von Bezugspersonen vermieden werden. Eine Mutter wollte ihr Baby wieder zurück Welche Beweggründe haben die Frauen, die ihr Kind in eine Babyklappe legen? Die Gründe kennen wir im Einzelnen nicht. Es hat aber Fälle gegeben, in denen Frauen uns an einem vorher abgesprochenen Übergabepunkt ihr Baby in den Arm gelegt haben und über ihre Notsituation gesprochen haben. In einem Fall spielten religiöse Hintergründe eine Rolle, in zwei anderen Fällen war es die Sorge vor dem sozialen Abstieg durch ein weiteres Kind, zumal in den Fällen der Vater die Mutter noch während der Schwangerschaft verlassen hatte. Die Frauen hatten Angst, dass ihr Umfeld etwas mitbekommen könnte, was für sie auch gegen eine Adoption und eine Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt sprach. Was ist, wenn es sich eine Mutter im Nachhinein anders überlegt. Kann sie ihr Kind noch zurückbekommen? Die Möglichkeit besteht so lange, wie die Adoption noch nicht rechtsgültig ist. Das kann bei der Ablage in der Babyklappe durch die Anonymität der Mutter, die ja nicht ihre Zustimmung zur Adoption geben kann, bis zu einem Jahr dauern. Wir hatten einmal eine Mutter, die acht Wochen nach der Geburt ihr Baby wieder zurückwollte. Die Bekundung, die leibliche Mutter zu sein, reichte da aber nicht. Es bedurfte in diesem Fall auch eines DNA-Testes und das Jugendamt prüft natürlich, ob es die Lebensumstände der Mutter zulassen, dass sie ihr Kind zurückbekommt. Erfahren die Kinder jemals, dass sie in einer Babyklappe abgelegt wurden? Das liegt in der Hand der Adoptiveltern. Es wird aber propagiert, es den Kindern zu sagen, und das auch möglichst schon in jüngeren Jahren. Ich erinnere da an den Bibelvers ’die Wahrheit wird euch frei machen’. Es reicht ja, es innerhalb der Familie zu kommunizieren. Das Kind wächst dann bereits mit dem Wissen um seine Herkunft auf und es wird irgendwann zur Normalität. Wir hatten einmal ein Kind, das sich nach vielen Jahren das Babykörbchen angeguckt hat, in das es zusammen mit einem Schnuller als Säugling abgelegt wurde. Den Schnuller hat der junge Mensch mit den Worten ’der ist für das nächste Kind’ bei uns gelassen. Kinder spüren ja sehr schnell, dass irgendetwas nicht stimmt und je älter ein Kind wird, umso mehr Fragen stellt es. Das Wissen um die eigene Identität ist enorm wichtig. Auch gerade, wenn man auf der Suche nach Erklärungen - zum Beispiel für Verlustängste - ist. Vertrauliche oder anonyme Geburt Wie finanziert sich Ihr Angebot? Wir erhalten keine öffentliche Förderung. Das war damals eine Vorbedingung bei Gründung der Babyklappe. Wir finanzieren uns über Spendengelder – zumeist von Privatpersonen und die Freie Christengemeinde unterstützt uns als Träger mit einem festen Betrag. Gibt es etwas, was Sie sich für die Zukunft vorgenommen haben? Wir würden gerne verstärkt die anonyme Geburt anbieten, bei der Mutter und Kind bestmöglich medizinisch versorgt werden. Es gibt ja bereits an vielen Krankenhäusern die vertrauliche Geburt. Dabei nehmen im Vorfeld Beratungsstellen die Personalien der Schwangeren vertraulich auf und leiten diese dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) zur Verwahrung zu. Mit 16 Jahren kann ein Kind dann einsehen, wer seine leibliche Mutter ist. Diese wiederum erhält für die Entbindung im Krankenhaus ein Pseudonym, das sie sich selber wählt. Die Kosten trägt der Bund. Bei der anonymen Geburt hingegen muss die Mutter nichts von ihrer Identität preisgeben. Es ist aber nicht unbedingt einfach, ein Krankenhaus zu finden, dass anonyme Geburten anbietet, weil es sich dabei rein rechtlich um eine Grauzone handelt und den Ärzten und Hebammen zumeist auch nichts über den Gesundheitszustand der Mutter wie Vorerkrankungen bekannt ist. Die Entbindung muss zudem selbst gezahlt werden. Wenn wir als Hüllhorster Babykörbchen eine anonyme Geburt vermitteln würden, müssten wir auch die Kosten dafür tragen. Das wiederum ginge nur über Spenden. Für Schwangere in ausweglosen Situationen und ihr Kind würde das aber noch mehr Sicherheit bedeuten.

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