Kritik an Freikirchen wegen Corona-Lage: So gehen Betroffene damit um

Espelkamp. Auf dem Tisch von Familie Wall brennen rote Kerzen. Daneben steht der Teller mit selbst gebackenen Keksen. Es weihnachtet im Haus der vierköpfigen Familie aus Espelkamp. Normalerweise würde jetzt in der Adventszeit auch ein großes Familientreffen in Gummersbach stattfinden, denn Nelli Wall hat sechs Geschwister. Doch dieses Jahr ist für sie wie für viele Familien alles anders. Wegen Corona. Schon der 19. Hochzeitstag von Nelli und Arthur Wall am 10. November fiel völlig anders aus als sonst. Das lag nicht allein am Lockdown, der es unmöglich machte, wie sonst zum Essen auszugehen. Das Ehepaar Wall und die Kinder Laureen (17) und Jonas (15) befanden sich zu dieser Zeit quasi in &bdquo;Hausarrest". Denn Nelli Wall hatte sich mit Corona infiziert. Woher kann sie nicht sagen, nur vermuten. Alles begann mit ein bisschen Husten Alles begann mit ein bisschen Schnupfen und Husten an einem Sonntag. In normalen Zeiten hätte sich die 45-Jährige, die selten krank wird, auch nicht viel dabei gedacht. Doch weil sie als Integrationshelferin in einer Grundschule arbeitet, fuhr sie vorsichtshalber ins Corona-Testzentrum nach Minden und ließ dort einen Abstrich machen. Am darauf folgenden Montag blieb sie vorsichtshalber zu Hause und abends kam das Ergebnis: Es war positiv. "Zum Glück hatten wir am Samstag noch reichlich eingekauft" Schnell stellten sich auch die ersten Symptome wie der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns ein. &bdquo;Das war schon komisch", erzählt Nelli Wall. Man merke plötzlich erst, wie sehr man auf die Sinne angewiesen sei, zum Beispiel beim Kochen. Zum Glück verlief die Infektion bei ihr mild, doch mit ihr mussten auch ihr Ehemann Arthur Wall und die beiden Kinder in Quarantäne. Das galt auch für ihre Schwiegermutter (82), die im gleichen Haus in der unteren Etage wohnt. &bdquo;Zum Glück hatten wir am Samstag vorher reichlich eingekauft", erzählt Nelli Wall. Mit den Vorräten im Keller reichte es, um die Familie, die das Haus nicht mehr verlassen durfte, in der Zeit zu versorgen. Arthur Wall, der negativ getestet wurde, zog vorsichtshalber in sein Bürozimmer ein. Nelli Wall konnte ein zweites Badezimmer nutzen. Für den 47-Jährigen, der im internen Bereich bei der Volksbank Lübbecker Land arbeitet, hieß es nun 14 Tage &bdquo;Homeoffice" und für die Kinder &bdquo;Home-Schooling". Aber das kannten die beiden Gymnasiasten bereits aus der ersten Phase des Lockdowns im Frühjahr. Da hatte sich Laureen, die damals die Q1 (Klasse 11) besuchte, noch große Sorgen wegen ihres Abiturs gemacht, weil der persönliche Kontakt mit Lehrern und Schülern fehlte und die digitalen Strukturen am Söderblom-Gymnasium für das Home-Schooling noch im Aufbau waren. &bdquo;Der Server war gar nicht für 1.200 Schüler ausgerichtet", erzählt Arthur Wall, der am Gymnasium Schulpflegschaftsvorsitzender ist. "Man lernt Freiheit schätzen, wenn man sie nicht mehr hat" Die Quarantänezeit war nicht ganz einfach und &bdquo;natürlich ist die Stimmung auch mal auf Grundeis gegangen." Den Kindern fehlten besonders die ohnehin schon durch Corona eingeschränkten sozialen Kontakte, hinzu kam das Gefühl eingesperrt zu sein und jeden Tag das gleiche zu sehen. Denn die Wohnung durfte nicht verlassen werden. &bdquo;Man lernt die Freiheit, wie einen Spaziergang in der Sonne, erst schätzen, wenn man sie nicht mehr hat." Ablenkung im heimischen Sportraum Arthur Wall und sein Sohn lenkten sich mit Tischtennis und Kickern im heimischen Sportraum ab, Laureen mit Handlettering und Nelli mit Backen. Für die 82-jährige Seniorin im Haus sei besonders schlimm gewesen, dass keine Nähe zum Rest der Familie möglich war. &bdquo;Aber wir mussten keine Not leiden und es fehlte uns ansonsten an nichts in dieser Zeit", sagt Nelli Wall. Das unterscheide ihre Situation auch von der manch anderer Menschen, sagen die Walls im Rückblick auf das Corona-Jahr. &bdquo;Wir mussten zu keiner Zeit um unseren Arbeitsplatz bangen und wir haben alles – auch die Quarantänezeit – gut geschafft, weil wir eine funktionierende Familie sind. Dafür sind wir dankbar." Die 45-Jährige durfte nach zehn Tagen in Quarantäne das Haus wieder verlassen aber noch nicht arbeiten, die restliche Familie musste noch vier Tage länger im Haus ausharren. Keiner hatte sich angesteckt – auch nicht die Seniorin, um die sich alle besonders Sorgen machten. Ein Halt sei auch ihr Glaube, erzählt Nelli Wall. Die Familie gehört der evangelischen Freikirche im Martinshaus an. Als Ratsvertreter der CDU kennt Arthur Wall die Kritik an den Gottesdiensten der Freikirchen in Corona-Zeiten und die Diskussionen in den sozialen Netzwerken darüber nur zu gut und er findet sie nachvollziehbar. Denn Espelkamp sei nun einmal ein Hotspot. "Wünsche mir einen respektvolleren Umgang miteinander" Doch er ist überzeugt, dass das Infektionsrisiko bei privaten Feiern und Treffen großer Familienverbände deutlich höher ist, weil dort keine Schutzmasken getragen würden. In den Gottesdiensten der Freikirchen – und die seien ja nun mal erlaubt – würden alle vorgeschriebenen Regeln eingehalten, das habe eine erst unlängst vom Ordnungsamt unangekündigte Kontrolle aller Kirchen und Bethäuser an einem Sonntag gezeigt. Seine eigene Gemeinde sei zudem bereits im März dazu übergegangen, die Predigten digital über YouTube in die Wohnzimmer zu übertragen, was auch seine Familie gerne nutze. Ihn persönlich stören die Hasskommentare, die er manchmal lesen müsse und er wünscht sich einen respektvolleren Umgang miteinander statt einer Verhärtung der Fronten. &bdquo;Das hilft überhaupt nichts und wir sollten lieber gemeinsam unsere Stadt voran bringen, statt mit Worten aufeinander einzuprügeln." Besuch vom Ordnungsamt in gelber Weste Besuch vom Ordnungsamt in gelber Weste erhielten auch die Walls zweimal während ihrer Quarantäne-Zeit. &bdquo;Wir haben kurz unsere Köpfe gezeigt und damit war das erledigt." Der 47-Jährige sieht in der Kontrolle in Privatwohnungen, ob die Quarantäne eingehalten wird, auch keine Beschneidung der Grundrechte – wie manch anderer. &bdquo;Wofür sind denn Vorschriften da, wenn die Einhaltung nicht überprüft wird?" Arthur Wall hofft wie alle, dass die Pandemie bald ein Ende findet und die Menschen wieder zusammen kommen können. Bis es soweit ist, wollen die Walls auch die im Blick haben, die in Quarantäne müssen – vor allem die, die alleine sind. Ihnen habe es gut getan, dass Freunde und Nachbarn an sie gedacht haben und Kleinigkeiten wie Tee oder Schokolade vor die Haustür legten. Was es heißt auf Gewohntes zu verzichten, sei eine wertvolle Erfahrung für sie gewesen, aber sie schreie nicht nach einer Wiederholung.

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