Herr Universitätsprofessor Dr. Soergel, was genau ist ein Perinatalzentrum Level 1 – und was unterscheidet es von einer normalen Geburtsklinik?
Ein Perinatalzentrum Level 1 ist die höchste Versorgungsstufe für Schwangere und Neugeborene. Hier sind Geburtsmedizin und Neonatologie räumlich und organisatorisch eng verzahnt, direkt Tür an Tür. Wir sind darauf spezialisiert, extrem frühgeborene Kinder ab der minimalen Überlebensmöglichkeit in der 24. Schwangerschaftswoche und Mütter mit schweren Risikoschwangerschaften optimal zu betreuen.
Das bedeutet: Wenn es plötzlich kritisch wird, sind alle Expertinnen und Experten sofort vor Ort – ohne Zeitverlust, ohne Verlegung. Das Universitätsklinikum Minden ist eines von drei Perinatalzentren Level 1 in Ostwestfalen-Lippe. Die nächsten Zentren sind in Paderborn und Bielefeld.
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Wie läuft eine Geburt ab, wenn klar ist, dass ein Baby zu früh kommt?
In solchen Situationen zählt jede Minute. Wir bereiten uns gemeinsam mit der Neonatologie genau vor: Der Kreißsaal wird auf die Frühgeburt abgestimmt, geburtshilfliche Spezialisten und das neonatologische Team stehen bereit. Wenn das Kind geboren ist, wird es sofort von den Kinderärzten übernommen, stabilisiert und gegebenenfalls intensivmedizinisch versorgt.
Die Eltern bleiben dabei immer eingebunden – das ist uns ganz wichtig. Und es ist mir noch mal wichtig zu betonen, dass wir immer dafür kämpfen, dass das Kind so lange wie möglich im Bauch der Mutter bleibt. Denn jeder Tag im Bauch ist gut für das Kind und seine Entwicklung.
Wie begleiten Sie Eltern in dieser extremen Situation?
Mit viel Empathie, Zeit und Ehrlichkeit. Wir erklären jeden Schritt, nehmen Sorgen ernst und schaffen Transparenz. Die Eltern befinden sich in einer emotionalen Ausnahmesituation, umso wichtiger ist es, dass sie gut aufgeklärt sind und wissen, welche Optionen es gibt.
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Viele werdende Eltern haben Angst vor einer Frühgeburt. Wie sehen die Chancen heute tatsächlich aus?
Diese Sorge ist verständlich – aber sie muss heute nicht mehr mit Verzweiflung verbunden sein. Dank des medizinischen Fortschritts haben selbst sehr früh Geborene ab der 24. Schwangerschaftswoche inzwischen gute Überlebens- und Entwicklungschancen. Wichtig ist, dass das Kind in einem Perinatalzentrum Level 1 zur Welt kommt. Dort, wo alle Fachdisziplinen unmittelbar zusammenarbeiten. Das erhöht die Chancen erheblich.
Wie ist die Geburtshilfe bei Ihnen im Maximalversorger strukturiert?
Wir betreuen jährlich rund 2.000 Geburten. Von der unkomplizierten Spontangeburt bis zur hochkomplexen Risikogeburt. Das geht nur mit einem starken Team. Unsere Geburtshilfe ist ärztlich und pflegerisch durchgehend besetzt, 24 Stunden am Tag. Wir haben ein sehr erfahrenes Team aus Ärzt*innen, Hebammen und Pflegefachpersonen.
Zudem nutzen wir modernste Diagnostik und Überwachungstechnik, die uns erlaubt, Komplikationen frühzeitig zu erkennen und gezielt zu handeln. Dabei dient uns dieses Wissen und die Technik nur als „Sicherungsseil“, das wir meistens nicht brauchen und dann auch nicht anwenden wollen: Unser Ziel ist immer eine natürliche, interventionsarme und frauenzentrierte Geburtshilfe.
Das Ergebnis ist eine hohe Versorgungsqualität bei gleichzeitig persönlicher, individueller Betreuung. Wir bieten Familien die Sicherheit, dass sie bei uns in den besten Händen sind.
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