Anwältin über AfD-Doktor in Bad Oeynhausen: „So eine Urkunde bestellt man nicht bei Amazon“

Frau Mehner, Sie sind Strafverteidigerin in Essen, Vizepräsidentin des Deutschen Anwaltvereins sowie Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss für Strafrecht. Haben Sie Erfahrungen mit falschen Doktoren? Sonka Mehner: Ich persönlich nicht, ich bin nicht adelig und führe keinen Titel. Beruflich habe ich im Mandat so einen Fall auch noch nicht verteidigt, hatte aber in einem Prozess als Nebenklagevertreterin mit dem Vorwurf zu tun. In Bad Oeynhausen geht es um eine möglicherweise gefälschte Promotionsurkunde, die der Bürgermeisterkandidat der AfD benutzt hat. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld prüft noch immer, ob sie ein Verfahren eröffnet. Was könnte einem falschen Doktor vorgeworfen werden? Ich kenne weder den Fall im Detail, noch die Akten, aber hypothetisch betrachtet könnte es um den Missbrauch von Titeln gehen. Das unberechtigte Führen eines akademischen Grades, also Doktor- oder Professorentitel, ist nach Paragraph 132a des Strafgesetzbuches strafbar. Das ist eigentlich ein ganz einfacher Straftatbestand. Was ist denn mit Urkundenfälschung? Missbrauch von Titeln ist das erste, wonach Juristen in so einem Fall gucken. Man kann so einen Titel auf dem Wahlplakat oder der Homepage missbrauchen, ohne dass eine Promotionsurkunde vorliegt. Es könnte aber auch eine Urkundenfälschung nach Paragraph 267 des Strafgesetzbuches vorliegen, wenn man sich den Doktor auf dem Personalausweis eintragen lässt und dafür eine gefälschte Promotionsurkunde verwendet. Das Bürgerbüro guckt zwar, ob das schlüssig ist, aber mehr auch nicht. Wenn die Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht eine offensichtliche Totalfälschung in der Hand haben, kann man das der Behörde auch nicht vorwerfen. Solche Promotionsurkunden sehen ja nicht alle gleich aus. Dann steht der Doktor erstmal im Personalausweis und der Titelträger arbeitet womöglich als Arzt, obwohl er keiner ist. Mehr zum Thema: Vermeintlicher AfD-Doktor aus Bad Oeynhausen hat offenbar keinen Uni-Abschluss &bdquo;Da müsste man jeden einzelnen Wähler fragen“ Wer sich den Titel in den Personalausweis eintragen lässt, spekuliert doch darauf, dass das Eindruck macht. Verschafft sich ein falscher Doktor nicht einen unberechtigten Vorteil? Ja, aber der Titel führt nicht immer dazu, dass der Nutzer auch einen besseren Job kriegt oder mehr Geld bekommt. Oder dass er bei der Kommunalwahl womöglich mehr Stimmen bekommt. Da müsste man dann jeden einzelnen Wähler fragen, ob der Doktortitel für seine Wahl ausschlaggebend war. Ist denn gar nicht wichtig, ob jemand geschädigt wurde? Nein. Für den Vorwurf des Titelmissbrauchs kommt es nicht darauf an, ob sich der Titelträger einen Vorteil verschafft. Diese Frage wäre womöglich zivilrechtlich relevant, wenn sich der falsche Doktor einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft hätte. Wenn er sich zum Beispiel mit dem Titel einen Super-Job in der Wirtschaft verschafft hätte, wo er ohne Titel womöglich weniger Gehalt bekommen hätte. Dann könnte der Arbeitgeber möglicherweise in Gehaltsregress gehen. Hier geht es aber um Wahlkampf und erstmal nicht um einen unmittelbaren Vermögensvorteil. Es sei denn, der falsche Doktor wäre zum Bürgermeister gewählt worden und hätte sich damit in eine höhere Besoldungsklasse gebracht. Insoweit ließe sich auch an einen versuchten Betrug denken. Herr Grove hat als Bürgermeisterkandidat immerhin 3.319 Wählerstimmen von 21.091 gültigen und damit 15,74 Prozent Zustimmung bekommen. Seine Partei, die AfD, hat sogar 17,84 Prozent der Wähler überzeugt. Herr Grove ist über die Parteiliste auf Platz 2 in den Rat eingezogen, hat auf sein Mandat aber inzwischen verzichtet. Das war wahrscheinlich schlau. Wieso? Weil ansonsten natürlich ein weiteres Verfahren gegen ihn laufen würde. So hat man keine Realisierung des Problems. Dann ist es so, als wäre er nicht angetreten. Haben denn nicht seine 3.319 Wähler einen Schaden, weil sie an einen möglicherweise falschen Doktor geglaubt haben? Nein. Er ist ja nicht zum Bürgermeister gewählt worden. Wenn er gewählt worden wäre, wäre das ein größeres Problem. Mit welcher Strafandrohung muss ein falscher Doktor rechnen? Strafrechtlich betrachtet, kämen bei dem von Ihnen geschilderten Fall womöglich beide Paragraphen in Betracht. Außerdem müsste die Zahl der Taten geprüft werden. Jede Tat wird einzeln betrachtet und anschließend eine Gesamtstrafe gebildet. Der Strafrahmen für Titelmissbrauch lautet von Geldstrafe bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe und für Urkundenfälschung Geldstrafe bis zu fünf Jahren. Im schlimmsten Fall würde eine Freiheitsstrafe ausgesprochen, die aber regelmäßig zur Bewährung ausgesetzt wird, wenn die Freiheitsstrafe nicht zwei Jahre überschreitet und noch keine einschlägigen Vorstrafen vorliegen. In der Regel wird das aber wohl eine Geldstrafe geben. Und die bemisst sich am Einkommen. Lesen Sie auch: Reaktionen auf den Fälschungsvorwurf gegen den Bad Oeynhausener AfD-Bürgermeisterkandidaten &bdquo;Urkundenfälschung setzt Wissen und Willen voraus“ Herr Grove behauptet, er wisse nicht, wie die Universität Bukarest ihm eine solche, möglicherweise gefälschte Urkunde ausstellen konnte. Ist er damit nicht aus dem Schneider? Urkundenfälschung setzt voraus, dass man das wissentlich und willentlich getan hat und nicht nur aus Versehen. Wenn einem so eine Urkunde untergejubelt worden ist, was ich mir bei einer Promotion nur schwer vorstellen kann, dann wäre das nicht strafbar. Weder eine Urkundenfälschung noch ein Titelmissbrauch wären bei solch einer Fahrlässigkeit strafbar. Das ist anders als zum Beispiel bei einer Körperverletzung. Ich kenne wie gesagt den Fall und die Akten nicht, aber das hört sich für mich doch weit hergeholt an, vorausgesetzt, die Urkunde war tatsächlich falsch. So eine Urkunde bestellt man ja nicht bei Amazon. Haben Sie schon mal bei Amazon nach Titeln gesucht? Nein. Klar kann man das im Internet bestellen, aber dann weiß man natürlich, dass die Urkunde falsch ist. Bei Führerscheinen ist so etwas beliebt. Wenn ich mich aber an einer Uni einschreibe und einen Promotionsstudiengang mache, dann kommt am Ende auch eine vernünftige Urkunde dabei raus, sofern man besteht. Besteht man aber nicht und bastelt sich was zusammen, weiß man das natürlich auch. Welche Möglichkeiten haben eigentlich Arbeitgeber, um akademische Titel von Bewerbern zu überprüfen? Ganz einfach, so wie Sie das auch gemacht haben: Die ausstellenden Institutionen anschreiben und fragen. Nicht jeder strebt ein öffentliches Amt an. Steht da nicht der Datenschutz vor? Ja, das ist so. Ich kenne Fälle von Berufskollegen, die in großen Kanzleien als Rechtsanwälte eine hervorragende Arbeit geleistet haben, aber nie ihren Abschluss gemacht haben. Lesen Sie auch: Fälschungsvorwurf gegen AfD-Doktor aus Bad Oeynhausen &bdquo;Die Wahlwerbung wird sicherlich etwas gekostet haben“ Die AfD hat einen Kandidaten nach vorn geschoben, der von sich behauptet hat, er sei Akademiker mit Doktortitel. Hätte die Partei das nicht vorher überprüfen müssen? Nicht zwingend. Die AfD ist wahrscheinlich genauso gutgläubig gewesen wie manche andere. Wenn es einem hinterher um die Ohren fliegt, ist das immer schlecht. Dann heißt es, man hätte genauer hinschauen müssen. Ich weiß aber nicht, welche Voraussetzungen in der Partei des Kandidaten gelten, ob sie sich dafür interessiert, was von Kandidaten vorgelegt wird und ob sie sich überhaupt etwas vorlegen lässt. Die Bürgermeisterbewerbung hat sich wenige Tage nach der Wahl in Luft aufgelöst. Hat die AfD dadurch einen Schaden erlitten? Könnte sie nicht womöglich zivilrechtlich Schritte einleiten? Die Partei ist womöglich getäuscht worden. Wenn es einen wirtschaftlichen Schaden gäbe, wäre das möglich. Die Wahlwerbung wird sicherlich etwas gekostet haben, das könnte man sicherlich zivilrechtlich zurückfordern. Das würde vielleicht aber nur mehr politischen Schaden verursachen. Und andersrum? Kann man die AfD verantwortlich machen dafür, dass ein womöglich falscher Doktor als Bürgermeisterkandidat angetreten ist? Wenn die AfD Mitwisserin war, ja. Ansonsten nein. Auch da müsste man aber Vorsatz nachweisen. Wochenkommentar: Der falsche Doktortitel des Bad Oeynhausener AfD-Kandidaten

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