Mehr Polizei erschüttert das Sicherheitsgefühl

In irrationalen Zeiten braucht es keine rationalen Lösungen. In einer Welt, in der der gefühlten Wahrheit mehr Bedeutung zukommt als Fakten, sind Emotionen wirkmächtig. Deshalb widmen sich Landrat Ali Dogan (SPD) und Bürgermeister Lars Bökenkröger (CDU) dem gestörten &bdquo;Sicherheitsgefühl“ der Kurstädter. Wie gesagt, es geht um ein Gefühl, denn Bad Oeynhausen ist laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik eine sichere Stadt, deutlich sicherer als der Landesdurchschnitt. Doch der brutale Angriff auf Philipos Tsanis, der am 23. Juni 2024 auf den Kurhausterrassen so brutal zusammen geschlagen und getreten worden war, dass er drei Tage später seinen Verletzungen erlag, hat die Bad Oeynhausener nachhaltig verunsichert. Der Täter schlug zu, wo Bad Oeynhausen noch immer den Prunk und Pomp längst vergangener Zeiten zelebriert - vorm Kaiserpalais. Das ist wahrlich kein Kriminalitätsschwerpunkt, auch kein Angstraum. Die brutale Tat lässt dennoch Gewissheiten wanken: Sie erzeugt Angst, die kollektive Züge trägt. Es geht nicht um Furcht, die einen Gegenstand hat, sondern um gegenstandslose Angst. Man fürchtet sich &bdquo;vor“ etwas, aber man &bdquo;hat“ Angst. Diffuse Angst oder konkrete &bdquo;Kriminalitätsfurcht“? Das Bundeskriminalamt versucht vergeblich, der Verunsicherung eine Richtung zu geben und spricht seit mehr als 30 Jahren von &bdquo;Kriminalitätsfurcht“, die die Bevölkerung ergriffen habe. Die ist aber schon mit Blick auf ihre schiere Größe eine diffuse Erschütterung - eine Angst: So ist es in Bad Oeynhausen nach dem Totschlag im Kurpark &bdquo;irgendwie“ anders, als es war, obwohl sich an der objektiven Bedrohungslage nichts verändert hat. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard veröffentlichte unter Pseudonym 1844 seine programmatische Schrift &bdquo;Der Begriff Angst“: Darin beruft er sich auf das Grimmsche Märchen von &bdquo;Einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“: &bdquo;Dies ist ein Abenteuer, das jeder Mensch zu bestehen hat: Dass er lerne sich zu ängsten, denn sonst geht er dadurch zugrunde, dass ihm nie angst war, oder dadurch, dass er in der Angst versinkt; wer hingegen gelernt hat, sich recht zu ängstigen, der hat das Höchste gelernt“. Lesen Sie auch: Mehr Polizeipräsenz soll Sicherheitsgefühl in Bad Oeynhausen stärken Für Kierkegaard war Angst die Bedingung der Freiheit, zwingt sie uns doch zu Entscheidungen. Doch Kierkegaard kannte die Algorithmen sogenannter sozialer Netzwerke nicht. Und wer sich in diesen herumtreibt, dem wurde und wird angst und bange, wenn er sich für Kriminalität in Bad Oeynhausen interessiert. Hier herrschen die Algorithmen unkontrolliert über die Angst, treiben sie durch zigtausendfache Verstärkung in ungeahnte Höhen und jeder Klick lässt die Spirale wachsen. Und man tritt Ali Dogan und Lars Bökenkröger nicht zu nahe, wenn man ihnen unterstellt, dass sie die Klaviatur der Algorithmen im Metaverse kennen, nutzen und verstärken. Paradoxe Forschungsergebnisse Und dort, wo die Gefühle getriggert werden, kann es den beiden Politikern herzlich egal sein, wenn hier in der Gegenwelt (einstmals Realität genannt) noch irgendwer auf Fakten verweist. Deshalb verstärken sie die Polizeipräsenz in Bad Oeynhausen, um das gestörte Sicherheitsgefühl zu heilen. Was das konkret bedeutet, tut nichts zur Sache, geht es doch um das gute Gefühl, etwas getan zu haben. Vielleicht das Falsche: Die Wahrnehmung von Polizeipräsenz kann zu einem größeren Unsicherheitsgefühl führen, selbst wenn Bürger sich die Präsenz gewünscht haben. Zu diesem Ergebnis kam vor gut einem Jahr eine Studie, die den Einfluss von Polizeipräsenz auf das Sicherheitsgefühl und die Kriminalitätslage in Kassel untersucht hat. &bdquo;Mehr Polizeipräsenz führt demnach zu mehr Unsicherheitsgefühl bei den Menschen“, sagte der Kriminologe Tim Pfeiffer von der Justus-Liebig-Universität in Gießen bei der Vorstellung der Ergebnisse. &bdquo;Es scheint die Meinung vorzuherrschen: Wo Polizei ist, da passiert auch was.“ Das sei paradox, wünschten sich doch bei internationalen Befragungen knapp zwei Drittel der Teilnehmer mehr Polizeipräsenz, um die Sicherheit in ihrer Stadt zu verbessern. Der Kriminologe ging noch weiter: &bdquo;Stellen Sie sich vor, das Sicherheitsgefühl nimmt ab, die Bevölkerung wünscht sich mehr Polizei. Sie setzen mehr Polizei ein. Die Bevölkerung fühlt sich unsicher, nimmt verstärkt Probleme wahr und wünscht sich deswegen Polizei, damit die diese Probleme löst. Das ist ein Teufelskreis.“ So verstärkt der Kampf gegen die Angst die Angst. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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