Kurpark-Prozess: Doppelt tödliche Gewalt im Kurpark Bad Oeynhausen

Bad Oeynhausen/Bielefeld. Es sind Bilder, die der Vorsitzende Richter niemand Unbeteiligtem zumuten möchte. Mehrfach weist Carsten Glashörster darauf hin, dass die Fotos aus der Gerichtsmedizin schwer zu ertragen sind. Philipos’ Vater und eine Zuschauerin verlassen darauf den Saal. Philipos’ Mutter aber schaut hin. Ganz anders als der Hauptangeklagte. Der junge Mann aus Bad Oeynhausen schaut nicht einmal auf, als der Gerichtsmediziner von &bdquo;massivster Gewalteinwirkung“ spricht und die schweren Kopfverletzungen von Philipos Tsanis erläutert. Der mittlerweile fünfte Verhandlungstermin vorm Landgericht Bielefeld gegen drei Angeklagte, die verantwortlich für die tödlich geendete Schlägerei im Kurpark am Tag der Innenstadtfete im Juni 2024 sein sollen, beginnt mit dem Gutachten zur Todesursache. Philipos starb demnach an einer doppelten Schädel-Hirn-Fraktur und heftigen Einblutungen ins Gehirn, das nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden konnte. Mindestens vier schwere Gewalteinwirkungen auf den Körper von Philipos hat der Münsteraner Gerichtsmediziner Maximilian Hagen gezählt. Zwei davon waren tödlich. Aber nur eine kann durch den Sturz entstanden sein. Zur Erinnerung: Der Hauptangeklagte hat beim letzten Prozesstermin erklärt, als erster Philipos geschlagen zu haben. Dieser sei geflüchtet, gestolpert und mit dem Kopf auf den harten Steinboden der Rampe am Wasserspiel vorm Kaiserpalais gestürzt. Der Hauptangeklagte will noch gesehen haben, dass zwei seiner Begleiter bei ihm waren. Weitere Gewalt will der Syrer, der in Untersuchungshaft seinen 19. Geburtstag hatte, nicht gesehen haben. Gericht zweifelt an Aussage des Hauptangeklagten Noch bevor er dem Gerichtsmediziner das Wort gibt, wendet sich der Vorsitzende Richter Carsten Glashörster an den Hauptangeklagten mit dem Hinweis, &bdquo;noch einmal in sich zu gehen“. Teile seiner Darstellung passten nicht zu den Ermittlungsergebnissen, so der Richter. Das Landeskriminalamt habe beispielsweise an seinen Schuhen DNA von Philipos’ Blut festgestellt. &bdquo;Das muss alles nichts heißen“, sagt Glashörster. Im Falle einer Verurteilung sei aber jetzt die Gelegenheit zu sprechen, später im Prozess werde das schwierig. Außerdem gelte das alte Sprichwort: &bdquo;Wenn man mit einem Finger auf andere zeigt, zeigen drei auf einen zurück!“ Und das gelte auch für die beiden Mitangeklagten aus Staßfurt in Sachsen-Anhalt und Bad Oeynhausen. Der Hauptangeklagte hatte den Staßfurter beschuldigt, über Täterwissen zu verfügen. Der dritte Mitangeklagte, ein junger Mann aus Bad Oeynhausen ohne Migrationsgeschichte, behauptet dagegen, er habe nur schlichten wollen und sei bei der Schlägerei früh zu Boden gegangen. Bislang hat also bloß der 19-jährige Syrer einen Schlag zugegeben. Seine Darstellung der Kurpark-Schlägerei wurde allerdings bloß von seinen Verteidigern Baris Devletli und Burkhard Benecken verlesen. Darin behaupteten sie, ihr Mandant sei vorverurteilt worden, was einen Eklat auslöste. Staatsanwalt Christoph Mackel widersprach empört. Die Verteidiger ruderten daraufhin zurück und beschuldigten Teile der Medien vorzuverurteilen. Fragen der Nebenkläger war nicht zugelassen. Die Gelegenheit, noch einmal das Wort zu ergreifen, lassen alle drei Angeklagten verstreichen. Dabei haben zumindest die beiden Mitangeklagten in ihren polizeilichen Vernehmungen bereits ausgesagt. Auch die Appelle von Philipos’ Mutter und Vater, Stunden später, verhallen im Gerichtssaal. Sie werden als Zeugen zu den Lebensumständen von Philipos gehört. In schicken weißen Turnschuhen zum Abiball Die Eltern leben seit 16 Jahren getrennt, Philipos blieb bei der Mutter. Eine Stunde erzählte sie aus dem Leben ihres Sohnes, von seinen Hoffnungen und Plänen und von Philipos’ eigentlicher Berufung: der Musik und dem Leben als Musikproduzent: &bdquo;In der Nacht hat er immer gearbeitet“, sagt sie. Trotzdem habe sie ihn angehalten, erstmal eine Ausbildung zu machen. Das Leben als Künstler sei hart, sie komme selbst aus einer musikalischen Familie und wisse, wovon sie spreche. &bdquo;Ich war glücklich, als er die Zusage zu einem Ausbildungsplatz als Hotelfachmann bekam.“ Den Abiball, also den Moment, den sie das letzte Mal zusammen waren, habe sie in außergewöhnlich guter Erinnerung, weil sie mit ihrem Sohn ausgelassen getanzt habe. Sie und ihre Tochter hätten ihn noch überreden müssen, seine alten Schuhe gegen die schicken weißen Turnschuhe seines Stiefvaters zu tauschen. &bdquo;Dass der Abend dann so endete, damit habe ich nicht gerechnet.“ Drei Tage später, am Dienstag, an dem Philipos für Tod erklärt wurde und seine Organe zur Spende freigegeben wurden, hätte er seine Führerscheinprüfung gehabt. Der Vater hatte zuletzt wenig Kontakt, er war in die Nähe von Pforzheim gezogen. Von dort war auch die Familie des Hauptangeklagten nach Bad Oeynhausen gezogen. Der Vater stellt aber klar, dass er sie nicht kannte. Er habe auch später nicht irgendwelche Verbindungen entdeckt. &bdquo;Ich liebe alle meine Kinder“, sagte der Vater. Zu seinem Erstgeborenen habe er aber eine besondere Beziehung, erzählt der Vater: &bdquo;Wir waren auch Freunde.“ Sein Tod habe ihn aus der Bahn geworfen, erzählt der Vater. Er habe sich psychische Hilfe gesucht. Unglücklicherweise sei seine Therapeutin derzeit aber selbst erkrankt. Cannabis-Konsum &bdquo;zum Runterkommen“ Beide Eltern wussten, dass ihr Sohn Cannabis rauchte. Philipos sei ein ruhiger Mensch gewesen, nicht aufbrausend, nicht aggressiv, im Gegenteil: ausgleichend und friedfertig. Cannabis habe er nachts wegen Schlafproblemen &bdquo;zum Runterkommen“ geraucht. Kurz vor dem Abiball hat die Mutter noch einen Blick in Philipos Tasche erheischen können und darin ein Tütchen Gras entdeckt. Philipos habe versprochen, es nicht vorher zu rauchen. Auf dem Ball selbst habe Philipos dann mit ihr getanzt. Beide hätten bloß einige Wodka-Shots und Orangensaft getrunken. Der Gerichtsmediziner stellte bei Philipos 0,7 Promille Alkohol im Blut fest. Die Probe war nur wenige Stunden nach der Einlieferung ins Klinikum genommen worden. Der Gerichtsmediziner stellte auch Abbauprodukte von Kokain in Philipos’ Blut fest. Der Hauptangeklagte hatte behauptet, Philipos habe ein &bdquo;weißes Pulver“ auf seinem Handy zurechtgeschoben. Nach Ansicht des Gerichtsmediziners hat Philipos aber nicht kurz vor der Schlägerei gekokst. Der Konsum müsse länger zurückliegen. Richter Glashörster fragt die Eltern auch nach dem Kokain. Davon haben sie beide nichts gewusst. Die Mutter wendet sich am Schluss noch einmal direkt an den Angeklagten aus Staßfurt und fordert ihn auf, die Wahrheit zu sagen, damit sie endlich mit dem Tod ihres Sohnes abschließen könne: &bdquo;Sag so wie’s war, dann hast du nichts zu befürchten.“ Ihre Worte gehen an dem Angesprochenen nicht spurlos vorüber. Mit sichtlich erröteten Wangen nickt er merklich in ihre Richtung. Nach Rücksprache mit seinem Verteidiger sagt er aber trotzdem kein Wort. Sein Anwalt kündigt stattdessen eine Einlassung &bdquo;zu einem späteren Zeitpunkt“ an.

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