Bad Oeynhausener Totschlag: Akten zeigen laut Anwalt keine eindeutige Beweislage

Bad Oeynhausen. Die Akten zeigen, was den Tathergang im Kurpark angeht, offenbar ein unklares Bild. &bdquo;Die Beweislage ist keinesfalls eindeutig“, sagt der Marler Strafverteidiger Burkhard Benecken. Der 48-Jährige ist zusammen mit seinem Vater Siegmund neuer Wahlverteidiger des mutmaßlichen Kurparkschlägers. Zur Sache selbst möchte sich Benecken derzeit nicht äußern: &bdquo;Dafür ist es noch zu früh.“ Gut sechs Wochen sind seit dem tragischen Tod von Philipos T. (20) vergangen – nur wenige Tage nach dem Totschlag wurde ein 18-jähriger Syrer verhaftet, der mit seiner Familie in der Kurstadt lebt. Unmittelbar danach entbrannte eine politische Diskussion über kriminelle junge Migranten, auch im Bundes- und Landtag. Wie berichtet, soll der Beschuldigte den 20-jährigen Philipos in der Nacht zum 23. Juni auf den Kurhausterrassen aus bislang unbekannten Gründen attackiert, auf dessen Kopf eingeschlagen und eingetreten haben. Der Mindener erlitt so schwere Kopfverletzungen, dass er zwei Tage später im Mindener Klinikum verstarb. Hintergründe zur Tat sind bisher nicht bekannt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft kannten sich Täter und Opfer nicht. Lesen Sie auch: Opfer stirbt nach Attacke am Bad Oeynhausener Kurpark Wie die Ermittler kurz nach der Festnahme mitteilten, soll der Beschuldigte in der Vergangenheit bereits durch Gewalt-, Eigentums- und Betäubungsmitteldelikte aufgefallen sein, ist aber nicht vorbestraft. Nun wird gegen den Bad Oeynhausener wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Der Beschuldigte war laut Ermittlern 2016 im Rahmen einer Familienzusammenführung mit Eltern und Geschwistern nach Deutschland gekommen, lebte in Pforzheim und zog erst im Herbst 2023 nach Bad Oeynhausen. Verteidiger hat ein erstes Bild von den Vorwürfen Kurz nach der Festnahme wurde der Bad Oeynhausener Rechtsanwalt Baris Devletli zum Pflichtverteidiger des Syrers berufen, nun ergänzen Burkhard und Siegmund Benecken als Wahlverteidiger das Team. Bei Fällen dieser Art und dieses Tatvorwurfes sei das keinesfalls ungewöhnlich, erklärt Burkhard Benecken im Gespräch mit der NW seine Rolle. &bdquo;Die Familie hat ihre Fühler ausgestreckt und ist dann auf uns gekommen.“ Quasi für eine weitere Meinung. Benecken arbeitet seit 17 Jahren als Strafverteidiger in der Kanzlei Benecken & Reinhardt in Marl, einer der renommiertesten Strafrechtskanzleien der Bundesrepublik. Gemeinsam mit rund zehn Kollegen vertritt er jährlich mehr als 5.000 neue Mandanten. Zahlreiche Fälle seiner Kanzlei haben Rechtsgeschichte geschrieben: der Mauerschützenprozess um DDR-Flüchtling Werner Weinhold, der Solinger Brandstiftungsprozess, die Krankenschwester als Todesengel von Wuppertal, der Satanistenmord von Witten, die Panama-Papers, Gina Lisa Lohfink oder die &bdquo;Nein heißt nein“-Debatte. Nun also gibt es erneut einen medienwirksamen Fall für Burkhard Benecken. Bisher hat sich der beschuldigte 18-Jährige aber nicht zu den Vorwürfen geäußert und auch Benecken sagt nichts zur Tat an sich. &bdquo;Wir hatten vor einiger Zeit Akteneinsicht und haben uns ein erstes Bild von den Vorwürfen gemacht“, so der Verteidiger. Jüngst hat der Anwalt ergänzende Akteneinsicht beantragt, um auf den aktuellen Stand zu kommen. Die in seinen Augen bisherige unklare Beweislage habe man gerade bei nächtlichen Schlägereien sehr oft. &bdquo;Die Zeugenaussagen gehen grundlegend auseinander.“ Zudem gebe es viele Zeugen, die kaum oder nur partielle Erinnerungen hätten. &bdquo;Die meisten Zeugen hatten dem Alkohol zugesprochen – was sie in den Vernehmungen auch zugaben.“ Schlägereien seien oft Tumultgelage, mit schnellen Handlungen, die es Zeugen schwierig machten, alles zuzuordnen. Die Zeugenaussagen gehen auseinander Ein Kernbild aber zeige sich definitiv im Bad Oeynhausener Fall: &bdquo;Es war Nacht, es waren offenbar viele beteiligt, allein mein Mandant soll eine Gruppe von zehn Personen um sich gehabt haben. Und auch Philipos T. war mit mehreren Personen im Park“, erklärt Burkhard Benecken. Was sie alle übereinstimmend ausgesagt haben: &bdquo;Es soll um Nichtigkeiten gegangen sein, um eine verbale Auseinandersetzung vorab.“ Danach drifteten die Zeugenaussagen auseinander. &bdquo;Einige Zeugen wollen einen Schlag meines Mandanten gesehen, ein Zeuge will darüber hinausgehend auch Tritte gesehen haben.“ Die Zeugen stammten allesamt aus dem Umkreis des Täters und des Opfers. &bdquo;Außenstehende Zeugen gibt es meines Wissens bisher nicht, keine neutralen Beobachter haben sich gemeldet.“ Zwei Mädchen tauchten in der Akte auf, die den mutmaßlichen Täter ebenfalls an dem Abend getroffen haben wollen: &bdquo;Allerdings erst später und somit nach der Tat.“ Den Vorfall selbst hätten sie nicht erlebt, berichtet Benecken. Auch der Strafverteidiger hat gehört, dass es ein Video von der Tat geben soll. &bdquo;Offenbar soll ein Mädchen aus der Gruppe einen Teil der Schlägerei gefilmt haben.“ Dieses Gerücht gehe vor allem durch die Reihen der Beteiligten. &bdquo;In den Akten ist nichts dieser Art vermerkt“, weiß Benecken. Mehr zum Thema: Alle Artikel zum Fall Philipos T. Nach derzeitigem Stand geht Burkhard Benecken von einer Anklageerhebung gegen seinen Mandaten aus. &bdquo;Auf der Akte steht der Verdacht des Totschlags und da erhebt die Staatsanwaltschaft erfahrungsgemäß Anklage – selbst wenn es Unsicherheiten in der Beweisführung gibt.“ Was Benecken nur unterstützen kann: &bdquo;Das Geschehen muss aufgeklärt werden.“ Wie es ausgehen könnte, da möchte sich der Marler ungern aus dem Fenster lehnen. &bdquo;Wir brauchen noch etwas Zeit, aber es wird sicherlich irgendwann eine Erklärung unsererseits geben.“ Ob der mutmaßliche Täter verurteilt werde, müsse die Justiz entscheiden. &bdquo;Mein Mandant hat ein sauberes Führungszeugnis, daran gilt es, sich strafrechtlich zu orientieren.“ Hier gehe es um keinen Mehrfachtäter, da müsse man fair sein. &bdquo;Er hat nicht eine Vorstrafe – auch wenn in der Vergangenheit schon gegen ihn ermittelt und er eine Verwarnung bekommen hat.“ Strafverteidiger ist positiv vom Beschuldigten überrascht Auch Burkhard Benecken war positiv überrascht, als er seinen Mandanten kennenlernte. Ähnliche Worte fand vor einigen Wochen auch Pflichtverteidiger Baris Devletli gegenüber der NW. Benecken: &bdquo;Ich habe einen sehr ruhigen und besonnen wirkenden jungen Mann getroffen, der zudem sehr nachdenklich war.“ Als Strafverteidiger habe er, so Benecken, viel mit Gewalttätern zu tun &bdquo;und oft auch sehr aggressive Mandanten vor mir sitzen“. Das sei hier nicht der Fall. Der 18-Jährige spreche nach so wenigen Jahren in Deutschland perfekt Deutsch, so als sei er hier geboren. &bdquo;Ich habe bisher niemanden getroffen, über den ich das sagen könnte.“ Lesen Sie auch: Hendrik Wüst zur Attacke von Bad Oeynhausen: &bdquo;Tat verdient harte Strafe“ Benecken habe mit einem gänzlichen anderen Typen gerechnet. &bdquo;Die ganze Familie ist schockiert, vor allem über den Tod eines jungen Menschen, und auch meinen Mandaten macht das sehr betroffen“, betont Burkhard Benecken. Als am 26. Juni die Handschellen klickten, hatte die Öffentlichkeit eigentlich schon ein Urteil gefällt. Allein die von Polizei und Staatsanwaltschaft kurz nach der Tat herausgegebene Pressemitteilung, in der eine Gruppe junger Männer mit südländischem Aussehen gesucht wurde, trug dazu bei. Es entbrannten hitzige Diskussionen über kriminelle Flüchtlinge und Abschiebemöglichkeiten. &bdquo;Die Politik hat sich darauf gestürzt, um es auszuschlachten“, bemängelt Strafverteidiger Benecken. &bdquo;Für den Beschuldigten und die Verteidiger alles andere als schön, weil es für vorgefertigte Meinungen sorgt und der Druck – auch für die Justiz – enorm hoch ist.“ Die Justiz müsse erst einmal ihre Arbeit machen – danach könne diskutiert werden. &bdquo;Grundsätzlich finde ich Diskussionen über Jugendkriminalität richtig“, betont der Anwalt, &bdquo;aber nicht am Beispiel eines nicht abgeschlossenen Strafverfahrens eines Heranwachsenden. Das sehe ich sehr problematisch.“ Der Tod von Philippos in Bad Oeynhausen muss aufgeklärt & geahndet werden. Und es muss besser gelingen, Intensivstraftäter – wo immer möglich – abzuschieben. Aber: Wir dürfen & werden nicht zulassen, dass durch die abscheuliche Tat ein Keil in unsere Gesellschaft getrieben wird. pic.twitter.com/b2wx7XlHZE Hendrik Wüst (@HendrikWuest) July 5, 2024

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