Nach dem Tod eines 20-Jährigen in Bad Oeynhausen: Wahre Größe im Angesicht des Entsetzens

Bad Oeynhausen. Ein junger Mann wird auf den Kurhausterrassen brutal erschlagen und anstatt in Trauer, Mitgefühl und Fassungslosigkeit angesichts dieser Tat zu verharren, um die Dimension zu begreifen, wird der Tod des 20-Jährigen rücksichtslos gegenüber dem Opfer und seinen Angehörigen in den asozialen Medien ausgeschlachtet. Wenn diese Reaktion der Netzwerke auf ihr Konstruktionsprinzip schließen lässt, dann führt die Vernetzung der Hetzer vorbei an deren Großhirnen und bedient ein abstoßendes und durch und durch primitives Reiz-Reaktionsschema. Da ist einiges falsch verschaltet. Es geht vor allem den rechtsextremen Hetzern und ihren Followern nicht um die Bestialität der Tat, sondern um eine übergriffige Einverleibung des Schmerzes derer, die Philipos gekannt haben. Die üblichen Verdächtigen melden sich ungefragt mit einer Geschwindigkeit zu Wort, die eine vorherige Reflexion über das Geschehene unmöglich machen dürfte. Ein Thema wie ein Grillanzünder: leicht entflammbar Obwohl selten so viele Polizeibeamte in Bad Oeynhausen Dienst tun, wie während der Innenstadtfete, geißelt der AfD-Lautsprecher Markus Wagner die 2016 vollzogene nächtliche Schließung der Polizeiwache an der Blücherstraße - ein Thema wie ein Grillanzünder: leicht entflammbar. Dabei gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Polizeipräsenz in der Kurstadt nach der Schließung verringert habe, nur weil die Einsatzleitung in Minden sitzt. Ganz im Gegenteil: Immer wieder hat die Kreispolizeibehörde in den vergangenen Jahren auf die zunehmende Jugendkriminalität in Bad Oeynhausen reagiert und - soweit juristisch zulässig - Wiederholungstäter dingfest gemacht. Doch welchen Wert haben Fakten, wenn Hetzer Gefühle triggern? Ein gesellschaftlicher Verrohungsprozess Das Unfassbare der Tat, die menschverachtende Hemmungslosigkeit, mit der die oder der Täter zugetreten und -geschlagen haben, als sein oder ihr Opfer sich schon längst nicht mehr wehren konnte, lässt sich nicht über zu geringe Polizeipräsenz erklären, sondern ausschließlich über einen gesellschaftlichen Verrohungsprozess, der zuvorderst von jenen betrieben wird, die ihn dann für ihre Sache instrumentalisieren. Wenige Stunden nach der Tat nötigte eine Leserin die NW-Redaktion, die Nationalität der Täter preiszugeben. Die waren aber noch nicht ermittelt. Nur wenige Stunden vor der Tat pflasterten Neonazis während der Innenstadtfete Schaufenster mit &bdquo;Remigrations-Aufklebern“ zu. Der Ton ist längst gesetzt und es ist nun völlig gleichgültig, was sich vor dem Kaiserpalais abgespielt hat, denn die Deutungshoheit liegt längst bei den Hetzern in den sozialen Netzwerken. Amtsträger demonstrieren Handlungsbereitschaft und suchen Schutz Doch nicht nur der rechte Mob mobilisiert seine Trolle, auch Amtsträger treten vor Kameras und demonstrieren so wie Landrat Ali Dogan (SPD) auf Instagram Handlungsbereitschaft: &bdquo;Wir werden als Kreispolizeibehörde auch unsere Maßnahmen, die wir ergreifen, noch einmal evaluieren und gegebenenfalls für die Zukunft, auch in Bad Oeynhausen, anpassen. Ich kann nur sagen, dass diese Gewalt ein Ende haben muss. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.“ Zwei Tage später wird Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) den NRW-Landräten, darunter auch Ali Dogan erklären, dass er sich zu &bdquo;massiven Einsparungen“ bei der Polizei gezwungen sieht. Der Landrat spielt mal mehr, mal weniger virtuos mit den Netzwerken. Dass seine Posts zum Totschlag im Kurpark Reaktionen aus der ganz rechten Ecke zeitigen werden, hätte er sich deshalb denken können. Nun fragt er nach einem Shitstorm der Erregten, wer denn die postenden Hauptverwaltungsbeamten schütze. Instrumentalisierung des Opfers für rechtsextreme Propaganda Das Raunen über gewalttätige Migranten und eine verfehlte Asyl- und Flüchtlingspolitik wird auch in gemäßigten Kreisen lauter. Die Vorstellung, dass man Menschen Zuflucht bietet, die dann die eigenen Kinder erschlagen, macht Angst. Und diese manifeste Angst ist der Nährboden für die Debattenvergifter, deren Thesen nur selten die Hirnschranke passiert haben. Umso mutiger ist die Familie des Opfers, die der deutschen Justiz vertraut und sich von Trauer gebeugt, gegen die Instrumentalisierung des Opfers für rechtsextreme Propaganda zu Wehr setzt. &bdquo;Wenn wir zulassen, dass die Rechten Philipos Tod ausschlachten, dann sind wir bald alle Opfer“, sagt Georgios Tsanis, der Onkel des Opfers und fordert alle auf, gegen rechte &bdquo;Mahnwachen“ aufzustehen. Im Mahlstrom der vergifteten Entrüstungsökonomie hat diese Familie eine Haltung und keine Meinung von der Stange. Das ist im Angesicht des Entsetzens wahre Größe.

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