Einbürgerung eines Bad Oeynhauseners: Eine Erfolgsgeschichte mit Schattenseite

Bad Oeynhausen. Wer lange genug in der Kurstadt lebt, kann einen Antrag auf Einbürgerung stellen. Sie soll der letzte Schritt der rechtlichen Eingliederung in die Gesellschaft sein. Migrantinnen und Migranten werden somit gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. Zumindest auf dem Papier. Denn im gelebten Deutschland gibt es trotzdem Schattenseiten – wie der Bad Oeynhausener Kahraman Haji Hasan weiß. Vor neun Jahren vor den Terroranschlägen in seiner syrischen Heimatstadt Aleppo über Umwege nach Deutschland geflohen. In Löhne das Abitur ein weiteres Mal abgelegt. Einen Doppel-Bachelor in International Business Studies in Hannover und Madrid. Jede Menge Praktika in Ländern wie Bolivien, Kanada und Deutschland. Eine Festanstellung als Referent des Bürgermeisters in der Gemeinde Wedemark. Und seit 2021 in einem sehr seltenen, beschleunigten Einbürgerungsverfahren den deutschen Pass. Eigentlich hört sich Kahraman Haji Hasans Biografie wie eine Erfolgsgeschichte an. Wenn da nicht die Schattenseite wäre. Denn wirklich in die Gesellschaft integriert fühlt sich der 28-Jährige, der inzwischen zwölf Sprachen spricht, immer noch nicht. Der Kreis hat in der Einbürgerungsbehörde ein Personalproblem 2021 wurden 237 Menschen aus Bad Oeynhausen eingebürgert. Ein Jahr später waren es 340. Dass im Folgejahr nur 70 Personen den deutschen Pass bekamen, lag, wie Sabine Ohnesorge, die Leiterin der Pressestelle im Kreis Minden-Lübbecke weiß, daran, dass sich &bdquo;in der Sachbearbeitung aufgrund einer mehrmonatigen Stellenvakanz ein Antragsstau aufgebaut hatte“, der seit vergangenem Herbst aufgearbeitet wird. Nachdem der Bundestag jetzt eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts beschlossen hat, können Zugezogene schon nach fünf statt bislang acht Jahren den deutschen Pass bekommen. &bdquo;Das geänderte Staatsangehörigkeitsgesetz wird voraussichtlich im zweiten Quartal des Jahres in Kraft treten. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen Einbürgerungen nach Maßgabe der derzeit noch gültigen Gesetzeslage vorgenommen werden“, weiß die Pressesprecherin. Beschleunigte Einbürgerungen hat es in der Vergangenheit in der Kreisbehörde gelegentlich gegeben. &bdquo;Meist in Fällen, wo der Ehepartner bereits die deutschen Staatsbürgerschaft hatte“, nennt Sabine Ohnesorge Details. Damit konnte Kahraman Haji Hasan nicht aufwarten. Seitdem der Politikwissenschaftler den deutschen Pass hat, reist er viel. Davon zeugen die zahlreichen Stempel in seinem Ausweis: Ukraine, Kolumbien, Finnland, Tschechoslowakei, Polen, Niederlande, Mexiko, Bolivien, Rumänien, Portugal. Und auch Peru. Nur nach Syrien, in sein Heimatland, wo seine Großeltern und sein Onkel noch leben, zieht es den Politikwissenschaftler nicht. Zu düster sind die Erinnerungen an die Bedrohungen, die seine Familie dort zu erwarten hatte. &bdquo;Außerdem hätte jeden Moment eine Bombe einschlagen können“, beschreibt er die gefährliche Situation. Und zu düster ist auch der immer noch tobende wirtschaftliche Krieg. Auf der Suche nach einem neuen Leben Mit dem Auto sind seine Eltern, seine beiden Schwestern und er Ende 2012 &bdquo;auf der Suche nach einem neuen Leben“ über einen illegalen Grenzübergang in die Türkei geflohen. Und obwohl die Eltern als Ingenieure eine gute Ausbildung haben und gerne arbeiten wollten, fanden sie keinen Job. Der Vater machte sich auf den Weg nach Deutschland, beantragte und erhielt hier Asyl und wollte die Familie nachholen. Seine Frau und die beiden Töchter bekamen die Erlaubnis. Kahraman Haji Hasan allerdings nicht. &bdquo;Weil ich schon 18 Jahre alt war“, weiß der Verwaltungsangestellte. Zuerst nutzte er die Zeit in der Türkei, um das Abitur, dessen abschließende Prüfungen er in Syrien wegen der Flucht versäumt hatte, nachzuholen. Dann setzte er sich nach Brasilien ab – eine Einbahnstraße, wie sich herausstellte. &bdquo;Es klappte weder mit einer Arbeit noch mit einem Studium“, erinnert sich der 28-Jährige an den gescheiterten Versuch. Auf dem Rückflug in Richtung Deutschland wurden ihm in Spanien Finderabdrücke abgenommen und das Verhängnis nahm seinen Lauf: Mit dem Bus reiste er zu seiner Familie in Bad Oeynhausen. Doch sein Asylantrag wurde abgelehnt und er in die Türkei abgeschoben. Viele andere hätten an der Stelle aufgegeben. Nicht aber Kahraman Haji Hasan. Nach zähen Verhandlungen mit der Botschaft bekam er endlich doch ein Visum. &bdquo;Als ich in Hannover gelandet bin, hat mich meine Familie am Flughafen abgeholte und nach Bad Oeynhausen gebracht“, erinnert er sich noch an dem Moment als er ankam. Zuerst zurück auf die Schulbank Als erstes ging es für den damals 20-Jährigen zurück auf die Schulbank: An der Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Löhne wiederholte er die 12. und die 13. Klasse und legte sein Abitur noch einmal ab. &bdquo;Ich habe Tag und Nacht gelernt und fast schon in der Bibliothek geschlafen“, erinnert sich Kahraman Haji Hasan an die Zeit. Von dort ging es an die Uni. In Hannover und Madrid studierte er Internationales Business. Seine ersten Praktika absolvierte der Politikwissenschaftler im Bundestag, bei der Deutschen Botschaft in Kanada, bei einem Beratungsunternehmen in Berlin und im niedersächsischen Landtag – eine Biografie, die sich sehen lassen kann und die von einem Integrationswillen zeugt, den ihm seine Eltern vorleben: Der Vater, ein studierter Ingenieur, hat in Bad Oeynhausen eine Anstellung in einem Architekturbüro gefunden. Die Mutter, Ingenieurin der Elektrotechnik, hat sich umschulen lassen und unterrichtet jetzt Mathematik und Physik. Dass er in der Politik sein Ziel gefunden hat, steht für Kahraman Haji Hasan fest. Und auch mit seinem Job als Referent des Wedemarker Bürgermeisters und stellvertretenden Pressesprechers ist der 28-Jährige, der jeden Tag von Bad Oeynhausen aus in die Region Hannover pendelt, zufrieden. Wenn in einem öffentlichen Gebäude die Heizung ausfällt, wenn Ersatzverkehr für die Bahn zur Verfügung gestellt werden muss oder wenn die Straßenlage zu wünschen übrig lässt, landen die Probleme auf seinem Tisch. Beschleunigtes Verfahren Aufatmen konnte der 28-Jährige, als er vor vier Jahren in einem beschleunigten Verfahren die deutsche Staatsbürgerschaft bekam. Ausschlaggebend dafür war, dass er über &bdquo;außerordentliche Integrationsfähigkeiten“ verfügt, sich sozial engagiert – in Bad Oeynhausen hat Kahraman Haji Hassan die Vereinigung für Integration und Toleranz mitgegründet -, perfekte Sprachkenntnisse und einen Job hat. &bdquo;Im Alltag erleichtert das Dokument vieles. Etwa bei Behördenangelegenheiten. Oder wenn ich reisen möchte“ zählt der Verwaltungsangestellte die Vorteile auf. Aber: In die deutsche Gesellschaft aufgenommen fühlt sich der 28-Jährige trotz seiner steilen Karriere und seiner vorbildlichen Integration nicht. &bdquo;Das fängt schon in dem Moment an, in dem ich durch die Haustür gehe und die Nachbarn mich komisch angucken. Am Bahnhof und im Zug geht’s dann weiter. Dort werde ich auffällig oft kontrolliert und merkwürdig gemustert. So etwas kenne ich schon von der Uni“, beschreibt Kahraman Haji Hassan, der täglich in Richtung Hannover und zurück pendelt, seine Lebenssituation. In Deutschland, so die Einschätzung des gebürtigen Syrers, gibt es zwei Wege, sich zu integrieren: &bdquo;Den harten Weg mit extrem viel Leistung. Oder die Flucht in eine Parallelgesellschaft“. Dabei, sagt der Politikwissenschaftler, müssten wir uns in Deutschland alle integrieren. &bdquo;Die hier Geborenen. Und die zugezogenen Ausländer“. Ob er Heimweh nach Syrien hat? &bdquo;Nicht unbedingt nach Syrien. Aber nach einem Land, in dem ich so akzeptiert werde, wie ich bin“, sagt der Deutsche.

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