Wie Syrer in Bad Oeynhausen auf Assads Fall reagieren

Bad Oeynhausen. Die Nacht auf den 8. Dezember wird Kawa Chikha nie vergessen. Denn der Sturz des Diktators Baschar al-Assad in seinem Heimatland Syrien, der selbst für die US-Geheimdienste überraschend kam, war und ist für ihn und seine Landsleute einfach nur unfassbar. Zumindest eine schlaflose Nacht hatten vermutlich alle der rund 1.200 Syrer, die nach Schätzungen von Kahraman Tsikha, dem Integrations- und Rassismusbeauftragten der Stadt Hüllhorst, in Bad Oeynhausen leben. Auch weil viele von ihnen Freunde und Verwandte in Syrien haben. Aber trotz der erfreulichen Ereignisse blicken nicht alle optimistisch in die Zukunft: Vor allem die Kurden fürchten sich vor den Entwicklungen in dem vorderasiatischen Staat. &bdquo;Das ist ein Moment, den wir nie vergessen werden. Denn Assad war ein Krimineller, der gegen sein eigenes Volk gekämpft hat“, sagt Moneeb Khalaph über den plötzlichen Umsturz in Syrien. Der 37-Jährige ist vor zehn Jahren nach Deutschland gekommen. Ganz offiziell. Und per Flugzeug. Denn als Mediziner war er aufgrund des Ärztemangels in Deutschland hier sehr willkommen. Seit 2019 arbeitet er als Facharzt für Elektrophysiologie im Herzzentrum. So wie sein Kollege und Landsmann Hussien Shekhmous, der ebenfalls vor zehn Jahren nach Deutschland kam und inzwischen als Oberarzt in der Gastroenterologie des Herzzentrums beschäftigt ist. Viele Syrer in Deutschland arbeiten überwiegend in systemrelevanten Berufen. Viele Syrer sind traumatisiert Dass der Siegeszug der Aufständischen unter der Führung von Abu Mohammed al-Dschaulani die Syrer nicht nur erleichtert, sondern auch beängstigt, weiß auch Kahraman Haji Hasan, dessen Oma und Onkel in Aleppo wohnen. &bdquo;Die waren völlig verunsichert, weil Assad immer davor gewarnt hat, was passieren wird, wenn die Radikalen die Regentschaft übernehmen. Sie haben sich dann solange in ihren Häusern eingeschlossen, bis sie sicher sein konnten, dass die Situation ungefährlich ist“, weiß der 29-Jährige. Das kann Milad Kanzoua nur bestätigen. Der über eine Familienzusammenführung nach Deutschland gekommene Krankentransportfahrer sagt: &bdquo;Durch 54 Jahre Assad-Regime sind die Syrer so traumatisiert, dass sie nicht glauben, was die Medien berichten. Manche von ihnen hielten die neusten Nachrichten sogar für ein Produkt der künstlichen Intelligenz“. Bei allem Jubel über den Sturz des Diktators: Welchen Kurs die Rebellen in Syrien jetzt nehmen werden, ist nur schwer einschätzbar. &bdquo;Dahinter steckt ein riesiges Fragezeichen. Allein schon beim Umgang mit den Frauenrechten“, sagt Kahraman Tsikha. Denn: &bdquo;Immerhin steht Dschaulani auf der Terrorliste in Europa und den USA“, gibt Moneeb Khalaph zu bedenken. Und bekennt, dass die radikalen Islamisten auch ihm als Moslem Angst machen. Aber: &bdquo;Sollten sie demokratischen Grundsätzen folgen, sind sie herzlich willkommen“, räumt der Arzt ein. Keine Illusion macht sich Milad Kanzoua, der den Rebellen &bdquo;eine Mentalität wie vor 1.400 Jahren“ bescheinigt. &bdquo;Wir Syrer haben zu viel erlebt, um an Wunder zu glauben“, sagt der 52-Jährige. Was sie sich wünschen? &bdquo;Einen Staat, der uns Bürgerrechte garantiert“, formuliert Hussien Shekhmous seine Herzensangelegenheit. Oder wie sein Kollege Moneeb Khalaph sagt: &bdquo;Eine Art von Föderalismus, ohne dass sich die Nachbarländer einmischen, und der unter internationaler Beobachtung bleibt“. Eins steht aber für Kahraman Tsikha fest: &bdquo;Die Methode Verschwindenlassen wird es aber in Syrien nicht mehr geben“, ist sich der 54-Jährige mit Blick auf das Foltergefängnis Saidnaja sicher. Aber: &bdquo;Für eine verlässliche Zukunft brauchen wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft“. Große Verzweiflung in kurdischen Gebieten Große Sorgen machen sich die Kurden: &bdquo;Die Verzweiflung in den kurdischen Gebieten ist so groß wie nie zuvor“, weiß der Integrationsbeauftragte Tsikha. Denn: &bdquo;Jetzt hat die Türkei freie Hand. Das kann man auch daran sehen, dass die erste Botschaft, die in Damaskus wieder eröffnet wurde, die türkische war. Das Land nutzt die Gunst der Stunde, wie unter anderem die von Ankara unterstützte Milizengarde gerade in Tall Rifaat zeigt“. Dem kann Kawa Chikha nur beipflichten. Der 54-Jährige, der früher als Journalist für den Sender der kurdischen Regierung gearbeitet hat und heute in einer Kindertagespflege in Bad Oeynhausen beschäftigt ist, sagt: &bdquo;In Syrien war es für uns Kurden immer schlimmer als in anderen Ländern. Wir hatten keine Hoffnung mehr“. Dazu kommt die Angst vor dem Hunger. &bdquo;Putin liefert keinen Weizen mehr. Die Menschen werden verhungern“, befürchtet Kahraman Tsikha. Kritisch sehen die in Bad Oeynhausen lebenden Syrer die Abschiebe-Pläne aus Teilen der deutschen Politik: &bdquo;Die Instrumentalisierung der Situation durch manche Parteien finde ich sehr enttäuschend. Bevor sie über humanitäre Hilfe nachdenken, sprechen sie über Rückführungen“, sagt Kahraman Haji Hasan, der vor zehn Jahren vor den Terroranschlägen in seiner syrischen Heimatstadt Aleppo über Umwege nach Deutschland und nach Bad Oeynhausen geflohen ist und heute als Referent des Wedemarker Bürgermeisters arbeitet - inzwischen mit deutschem Pass.

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