Rollstuhlfahrer aus Bad Oeynhausen bremst Sattelzug im Autobahnkreuz aus

Bad Oeynhausen. Szenen wie diese gibt es viel zu viele auf den deutschen Autobahnen: Ein schnelles Auto überholt kurz vor der Autobahnabfahrt noch rasch einen allerletzten Lastwagen, schert aus und tritt auf die Bremse. Aus Sicht des Autofahrers ist das gerade noch einmal gut gegangen. Aus Sicht des Lkw-Fahrers dahinter wird es jetzt aber erst richtig brenzlig. Auf Filmaufnahmen der Bordkamera eines Lastwagens aus den Niederlanden ist eine ähnliche Szene festgehalten. Der Richter führt den Film auf einem kleinen Klapprechner den Beteiligten vor, obwohl im Hintergrund ein großer schwarzer Flachbildschirm im Gerichtssaal hängt. Offenbar lässt sich die Technik aber nicht ohne weiteres miteinander verbinden. Auf dem Film ist zu sehen, wie das Auto den Lkw-Fahrer auf den letzten Drücker auf der A2 im Kreuz Bad Oeynhausen überholt und ein erstes Mal ausbremst. Etwas später auf dem Zwischenstück zur A30 bremst der Pkw so stark, dass der 40-Tonner auffährt. Der Autofahrer verletzt sich dabei leicht, am Lkw entsteht Sachschaden in Höhe von mehreren Tausend Euro, das berichten zwei Beamte der Autobahnpolizei. Die Polizei kassiert später auch den Führerschein des Autofahrers ein. Der Vorwurf: Nötigung und Gefährdung des Straßenverkehrs. Der Angeklagte ist kein hitzköpfiger Jungspund Angeklagt ist aber nicht etwa ein hitzköpfiger Jungspund, der mit quietschenden Reifen und tiefergelegtem Fahrwerk Wildwest auf der Autobahn gespielt hat. Nein, in Saal 24 des Amtsgerichts Bad Oeynhausen rollt ein 54-jähriger Schwerbehinderter im Rollstuhl hinein. Der Bad Oeynhausener hat, wie er später dem Gericht erklärt, bei einer Herzoperation einen zweifachen Schlaganfall erlitten und kann sich nur noch wenige Schritte selbst bewegen. Autofahren kann er, darf es aber seit dem Verkehrsunfall im März nicht mehr. Er hat sich eine Rechtsanwältin genommen und hofft darauf, seinen Führerschein zurück zu bekommen. An diesem Tag war der Angeklagte mit einem Firmenauto, einem Dacia mit Dieselmotor und Schaltgetriebe unterwegs. Privat fahre er aber nur Benziner mit Automatikgetriebe, erklärt er dem Richter. Mit dem Schaltgetriebe sei er nicht klargekommen und habe in der Situation deshalb den Motor abgewürgt. Das sei der Grund, warum sein Auto im Autobahnkreuz tatsächlich kurz stillstand, obwohl der Verkehr vor ihm rollte. Das erklärt allerdings nicht, warum der Autofahrer zweimal bremste. Das erste Mal auf der Verzögerungsspur der A2 und das zweite Mal auf dem Verbindungsstück zur A30. Der Angeklagte gibt freimütig zu, dass er Spitz auf Knopf auf der A2 in eine Verkehrslücke auf der rechten Fahrspur gestoßen sei, um in Bad Oeynhausen abzufahren. Die Staatsanwältin hält ihm dagegen vor, dass er dabei nicht nur den Sicherheitsabstand des Lkw-Fahrers verletzt habe, sondern diesen zugleich gefährlich ausgebremst habe. Vor Schreck den Motor abgewürgt - auf der Autobahn Der Angeklagten erklärt dazu: &bdquo;Ich hatte Bammel, dass er mir hinten reinfährt.“ Er sei deshalb zunächst sehr dicht auf den vorausfahrenden Pkw aufgefahren, habe dann aber abrupt abbremsen müssen, um nicht selbst aufzufahren. Dieses Fahrmanöver wiederholte sich allerdings auf dem Verbindungsstück zur A30. Der Lkw-Fahrer, das ist auf dem Video der Bordkamera zu hören, nimmt die Hand gar nicht mehr von der Hupe. Offenbar drückt er auch gleichzeitig die Lichthupe. Sein Sattelzug jedenfalls kommt dem Dacia immer näher, der plötzlich stehen bleibt und dann einen Satz nach vorn macht. In diesem Moment kracht es. Der Autofahrer kommentiert die Bilder am Richtertisch so: Er sei durch das Gehupe des 40-Tonners nervös geworden und von der Lichthupe geblendet worden, habe angehalten und dann den Motor abgewürgt: &bdquo;Ich habe keinesfalls beabsichtigt zu nötigen oder jemanden zu gefährden.“ Die Staatsanwältin dagegen fasst das Fahrmanöver mit Blick auf den Angeklagten so zusammen: &bdquo;Sie haben ihr Auto als Hindernis benutzt.“ Die Einstellung des Verfahrens, wie von der Verteidigerin vorgeschlagen, lehnt die Staatsanwältin aber ab und fordert eine Geldstrafe von 1.800 Euro. &bdquo;Ausbremsen eines 40-Tonners ist suizidal“ Die Verteidigerin des Angeklagten zählt die Sekunden bis zum Aufprall und schätzt, der Lkw habe trotz aufleuchtender Bremslichter am Fahrzeug ihres Mandanten mindestens fünf Sekunden Zeit zum Abbremsen gehabt. Stattdessen aber sei der Lkw unvermindert mit Tempo 50 weitergefahren. &bdquo;Der Lkw hätte bremsen können“, sagt die Verteidigerin. Außerdem sei es lebensfremd anzunehmen, ein Autofahrer würde absichtlich einen Sattelzug auf der Autobahn ausbremsen wollen. &bdquo;Mit dem Pkw einen 40-Tonner auszubremsen ist suizidal“, sagt die Anwältin. Sie fordert Freispruch. Der Richter spricht den Rollstuhlfahrer wegen Nötigung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr schuldig. &bdquo;Ich sehe das im Ergebnis wie die Staatsanwältin“, sagt er. Der Angeklagte habe zweimal &bdquo;zu stark abgebremst“ und dadurch den Lkw-Fahrer ebenfalls dazu gezwungen. &bdquo;Ich sehe für dieses extreme Abbremsen keinen Grund.“ Ein Stau sei in dem Video nicht ersichtlich, er gehe deshalb davon aus, dass der Angeklagte disziplinierend auf den Lkw-Fahrer habe einwirken wollen. &bdquo;Der Lkw-Fahrer musste auf dem Autobahnkreuz nicht damit rechnen, dass ihr Pkw bis zum Stillstand bremst.“ Der Angeklagte muss 90 Tagessätze zu 20 Euro (1.800 Euro) zahlen. Der Führerschein des Angeklagten bleibt eingezogen. Außerdem verhängt das Gericht eine Sperre von zehn Monaten für die erneute Bewerbung um eine Fahrerlaubnis. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Meistgelesen